Balancieren statt ausschließen. Hildegard Wustmans

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Balancieren statt ausschließen - Hildegard Wustmans Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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vorbereitet, das Thema gewählt, den Raum, die Mitte gestaltet. Eine Ordensfrau, die diese Gruppe ins Leben rief und seither begleitet, sorgt für Absprachen und Koordination mit der Ordensgemeinschaft und unterstützt die Frauen, wo immer sie Hilfe benötigen. Die Frauen, die kommen, nehmen zum Teil einen langen Anfahrtsweg in Kauf, um dabei zu sein. Der feste Kern der Gruppe trifft sich nun schon seit mehreren Jahren.

      Auch in einer Kleinstadt in Deutschland treffen sich einmal im Monat Frauen, um Frauenliturgie zu feiern. Zwei Frauen haben die Liturgie vorbereitet. Sie haben das Thema gewählt, den Ablauf durchdacht, den Raum gestaltet. Es sind in der Regel 12 bis 15 Frauen, die an diesen Abenden zusammenkommen. Die Gruppe wurde von einer Gemeindereferentin initiiert und seither begleitet sie die Frauen. Auch hier hat sich ein fester Kern herausgebildet, der sich schon über viele Jahre hinweg trifft.

      Beiden Gruppen ist gemeinsam, dass die Frauen aus ungleichen Bezügen kommen und dass sie unterschiedlich alt sind. In der brasilianischen Gruppe sind alle Frauen katholisch, in der deutschen Gruppe fast alle, wenige sind evangelisch. Einige der Frauen sind in ihren Pfarrgemeinden aktiv. Sie alle sind sehr verschieden und doch gibt es eine entscheidende Gemeinsamkeit: den Wunsch, im Glauben das Leben zu feiern, sich mit religiösen Traditionen und Formen auseinanderzusetzen und dafür eigene, neue Formen zu entwickeln. Sie denken sich rituelle Handlungen vor dem Hintergrund ihrer konkreten Lebenserfahrungen aus, ganz konkret im geschützten Raum einer Gruppe von Frauen. Viele tausend Kilometer, ganz andere kulturelle, wirtschaftliche und soziale Hintergründe trennen die Frauen und doch sind ihre spirituellen Sehnsüchte so ähnlich. Alle diese Frauen suchen ihren spirituellen Ort und wollen ihn selbst gestalten. Sie tun dies selbstbewusst und entschieden, manchmal auch in bewusster Abgrenzung zur Kirche und deren spirituellen Formen und Angeboten.

      Diese Blitzlichter sowie weitere Facetten und Orte werden im Verlauf der Arbeit noch sehr viel deutlicher in den Blick genommen und analysiert. Aber diese Orte sind allesamt signifikant in ihrer Bedeutung für das, was Kirche ist und wie sie wahrgenommen wird. Sie zeigen an, wie es um den einen oder anderen Ort bestellt ist, an dem Menschen zusammenkommen, um liturgische Feiern miteinander zu gestalten und zu erleben. Damit geben sie unmittelbar Auskunft über einen zentralen Bereich von persönlicher Glaubenspraxis und Kirche. Die Beispiele sprechen beim genaueren Hinsehen eine sehr deutliche Sprache in Bezug auf Liturgien, denn sie sagen alle auf die eine oder andere Art, dass die Liturgien ein Lebensmittel sind, das Menschen brauchen, um gut leben zu können. Dem Anschein nach gibt es bei Frauen diesbezüglich ein besonderes Interesse; die Frauen, die in dieser Arbeit zu Wort kommen, suchen nach neuen, nach anderen Orten in Form und Inhalt als die „gewöhnliche“ Liturgie. Es sind Frauen, denen die Nahrung in den gewohnten Strukturen und Formen nicht mehr ausreicht, denen sie sogar manchmal unbekömmlich ist. Sie suchen nach Orten, an denen sie belebende Nahrung bekommen, weil sie wissen, dass sie sie brauchen, um wirklich leben zu können. Auch die Kirche braucht solche Orte, weil sie ein lebendiger Organismus ist. Jedes Lebewesen braucht Nahrung, um am Leben zu bleiben. Das Nahrungsmittel der Kirche ist die Liturgie (vgl. Wustmans 22005a, 238–254). Und in der Liturgie geht es dabei um nichts Geringeres als um Gott selber.

      Der Wunsch von Frauen nach einem eigenen Ausdruck ihrer Spiritualität und Religiosität ist nicht neu. Diese Sehnsucht ist so alt wie die Kirche. Dies zeigen die Ordensgemeinschaften von Frauen in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit, aber z. B. auch die weibliche Mystik. Auf diesem langen Weg standen und stehen Frauen immer wieder vor der Frage, wie sie das Eigene entwickeln, ins Wort bringen können und wie sie sich zugleich auf den Ort beziehen, der ihre Herkunft markiert – die katholische Kirche. Allerdings gibt es einen auffälligen Unterschied zwischen den vorausgegangenen Bestrebungen von Frauen nach weiblicher Spiritualität und Religiosität und den heutigen Formen; denn diese sind nur noch punktuell an kirchliche Kontexte gebunden. Ordensgemeinschaften von Frauen sind ein Ort weiblicher Spiritualität, aber es gibt viele weitere Orte, die für sich Autorität beanspruchen. Dies ist eine Konsequenz der bereits beschriebenen gesellschaftlichen und religiösen Pluralisierung. So ist es nicht verwunderlich, dass z. B. Einführungen in die Meditation sowohl in kirchlichen Kontexten angeboten werden wie auch in Frauenbildungshäusern, die sich im feministischen Spektrum beheimaten. Die teilnehmenden Frauen wählen unter den verschiedenen Angeboten aus und das Kriterium für die Wahl ist das, was passt, was momentan anspricht.

      Frauen feiern Liturgien, begehen Rituale, weil sie erkannt haben, dass diese in ihren Nöten und Sorgen, ihren Freuden und Hoffnungen ein Segen sind. In diesen Situationen greifen Rituale. Sie helfen den Menschen, die durch sie hindurchgehen, wieder mit sich und der Umwelt in eine Balance zu kommen. In ihren Liturgien und Ritualen erschließen sich Frauen einen Raum, in dem sie ihre Anliegen zum Ausdruck bringen können. Damit überschreiten sie die bestehende Ordnung institutionalisierter Religion und sie wagen viel, weil sie Unerhörtes zum Ausdruck bringen. Sie gehen das Risiko ein, ausgegrenzt, ausgeschlossen und diszipliniert zu werden. Oder aber ihr Tun und Handeln wird abgetan, nicht ernst genommen. Und damit stehen sie in der Spannung von Macht und Ohnmacht (vgl. Sander 2001). Die Macht kommt in ihren Erfahrungen zum Ausdruck, die als befreiend erlebt werden. Die Ohnmacht wird in ihrer Position der Institution gegenüber greifbar.

      In dieser Arbeit sollen unterschiedliche Orte und Positionen von Frauen in den Blick genommen und analysiert werden. Zugleich soll ein Ausweg, ein kreativer Umgang mit der Macht und Ohnmacht vorgeschlagen werden. Konstitutiv für den Vorschlag ist es, die Bedeutung der randständigen Orte der Frauenliturgien aufzudecken und zugleich das Verhältnis von Rand und Mitte, Innen und Außen nicht über den gegenseitigen Ausschluss zu bestimmen, sondern diese in eine jeweils neu herzustellende Balance zu bringen. Die Balancen sind dann möglich, wenn die Stärken ausbalanciert werden. Eine Konzentration auf die Schwächen führt ins Ungleichgewicht. Das Ressentiment, die schielende Seele, wie Nietzsche es genannt hat, kann keine Basis für eine Balance sein (Nietzsche 1999, 270 ff.). Ein vom Ressentiment geprägtes Handeln schielt auf die Schwächen der anderen, um die eigenen Stärken zu finden. Ein solches Handeln bohrt kundig nach den Schwächen bei den anderen, um sich selbst groß und vor allem besser zu fühlen (vgl. Sander 2003, 14). Ein solches Handeln definiert sich über Fremddenunziation (vgl. Bucher 2004b, 21).

      Ein Blick in das Neue Testament zeigt, dass auch Jesus um die Versuchungen des Ressentiments weiß. Er benennt die schielende Seele in einem Gleichnis (vgl. Sander 2003, 14): „Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: ‚Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal die Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.‘ (Lk 18,10–12) Hier zeigt sich, dass die Stärke des einen von der Schwäche des anderen abhängt. Die Schwächen der anderen gibt es tatsächlich, aber eine schielende Seele macht deutlich, dass sie selber über keine wirklichen Stärken verfügt. Wächst der andere über seine Schwächen hinaus, dann zeigt sich die eigene Schwäche erst richtig. Der Zöllner betet im Gleichnis: ‚Gott, sei mir armem Sünder gnädig!‘ (Lk 18,13) und wächst damit über sich hinaus. Wenn die Kirche oder die Frauen auf den jeweils anderen schielen, dann blüht ihnen das, womit Jesus sein Gleichnis beschließt: ‚Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wir erhöht werden.‘ (Lk 18,14)“

      Auch in der Beziehung zwischen Kirche und Frauen lockt das Ressentiment. Frauen nähren es dadurch, dass sie vielfach ihre Verbindung mit dem Ursprung ihres Glaubens und der Tradition verloren haben. Sie sind nicht mehr in der Lage oder bereit, sich in produktiver Art und Weise auf diesen Ort zu beziehen. In Bezug auf die Kirche ist festzustellen, dass sie ihre Sprachfähigkeit in der Gegenwart mehr und mehr zu verlieren scheint, und manchmal hat es den Anschein, dass sie gar nicht versteht, was die Bedürfnisse der Frauen sind. Sowohl von den Frauen wie auch von der Kirche her lässt sich deutlich das Problem der Zweiheit und der Differenz identifizieren. Dieses Problem zeigt sich gerade auch in der Lösungsstrategie, die für Frauen und die Kirche in der Regel darin besteht, den jeweils anderen Pol mit seinen Schwächen, aber ohne seine Stärken zu sehen, wie auch in dem Mechanismus, ihn auszuschließen (vgl. Sander 2005c, 6).

      In

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