Lebendige Seelsorge 2/2021. Verlag Echter
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GESELL*INNEN EINES GESELLIGEN BUCHES
Vom „geselligen“ Gott, hat der vor hundert Jahren geborene Pfarrer und Dichter Kurt Marti gesprochen, er schreibt:
„Am Anfang: Beziehung.
Am Anfang: Rhythmus.
Am Anfang: Geselligkeit.
Und weil Geselligkeit: Wort.
Und im Werk, das sie schuf,
suchte die gesellige Gottheit sich
neue Geselligkeiten.
Weder Berührungsängste
noch hierarchische Attitüden.
Eine Gottheit, die vibriert
vor Lust, vor Leben.
Die überspringen will
auf alles,
auf alle.“
Warum steigen wir, die Pfarrer und Pastorinnen nicht von unserer inneren Kanzel herab und bereiten die Predigt im Gespräch vor? Mit Freundinnen, mit den Kindern, dem Partner oder in Netz-Foren? Warum trauen wir den Texten, die unsere Religion so lange getragen haben, so wenig zu? Ist es nicht gerade das Erbe Martin Luthers, die biblischen Texte aus der Umklammerung der klerikalen Lesart zu befreien?
Zurück zur Exegese. Mal wieder Kommentare lesen. Sich die Kontexte der biblischen Verse ansehen, ihre Wirkungsgeschichte wahr nehmen und die im Text verborgenen Dialoge entdecken. Es ist das Gespräch, und auch der Streit und der Zweifel, die jene alten Texte zum Klingen bringen. Nur ehrliche Fragen lassen uns Neues entdecken, nicht hermetische Antworten.
Das habe ich aus der Erfahrung mit dem Podcast für die eigene Predigt gelernt: Man kann Predigt als einen Akt der Kommunikation verstehen, ein inneres Gespräch, das in einer offenen Frage enden darf, und auch in hilfloser Wut und ohnmächtiger Klage über das eigene Leben. Wir sollten uns als fragende und begleitende Gesellen dieses geselligen Buches verstehen, die eine sehr turbulente Erzählgemeinschaft zwischen Himmel und Erde aufmacht und nicht die Erklär-Hierarchien der Kanzelrede nachvollzieht. Streng deinen eigenen Kopf an, Christ, dann redet Gott vielleicht mit dir!
Wir Pfarrerstöchter bekommen durchaus auch bitterböse Briefe, gerade weil wir die Texte vom Sockel holen, sie vom künstlichen Sound befreien, bei dem die Streicher im Hintergrund die Erhabenheit der Texte erzwingen wollen. Die biblischen Texte aber lieben es, wenn man sie ohne falschen Respekt behandelt und sie herausfordert. Die Bibel gehört mehr in die Welt, und weniger in die Kirche.
LITERATUR
Marti, Kurt, Die gesellige Gottheit. Ein Diskurs, Stuttgart 2004.
Die Texte vom Sockel holen für die, die nicht am Sockel stehen
Die Replik von Irmtraud Fischer auf Johanna Haberer
Die heute in der Liturgie – und damit auch in der Predigt – verwendete Sprache ist häufig in unerträglicher Weise floskelhaft. Sie paraphrasiert dogmatische Aussagen, die in Auseinandersetzung mit griechischer Philosophie entstanden sind und die heute niemand mehr versteht – außer wenige in antiker Philosophie Ausgebildete. Zu denen gehören im Normalfall aber nicht einmal die Absolvent*innen eines Theologiestudiums. Kein Wunder, dass Predigende Zuflucht in Phrasen suchen, die lehrmäßig zwar nicht falsch sind, aber mit denen ihre Zuhörer*innen nichts mehr anfangen können. Hier legt der Podcast Unter Pfarrerstöchtern den Finger präzise in die Wunde: Der „Tisch des Wortes“ ist mit Floskeln vollgeräumt, die in der ‚Echokammer der geistlichen Männer und Frauen‘ zirkulieren und kein Potential zur Sättigung mehr haben. Die Fragen der Menschen, insbesondere die großen Menschheitsfragen nach dem Leid und dem Tod, sind aber geblieben. Nur werden sie von den großen kirchlichen Institutionen, die sich vorrangig in moralischen Imperativen ergehen, nicht mehr so beantwortet, dass Menschen sie als hilfreich erfahren.
Johanna Haberer und Sabine Rückert haben es sich in ihrem Podcast zum Ziel gesetzt, biblische Texte „aus der klerikalen Fraglosigkeit“ zu befreien. Der Erfolg gibt ihnen Recht. Die Texte haben ihr Potential offenkundig nicht verloren, schließlich ist die Bibel ja auch auf weiten Strecken große Weltliteratur – man denke hier nur an die Bücher Ijob oder das Hohelied. Die beiden gebildeten Frauen erarbeiten mit ihrem Podcast das, was man beste Kommentarliteratur nennen könnte: Sie holen die Texte und ihre Botschaft ins Heute, fragen ohne Angst vor Abgründen und ohne falsche Scheu, den Texten ihre Heiligkeit zu nehmen, wo sie für uns Heutige problematisch sind. Das ist genau das, was Menschen in vergangenen Generationen auch taten und gerade damit die Bibel lebendig hielten. Wer, wie Haberer schreibt, meint, die Bibel in Watte packen zu müssen und deswegen Sonntag für Sonntag ins „Kinder-gartenformat“ presst, nimmt dem Text die kanonische Würde. Nicht jene, die keck fragen und ungeschönt realistische Antworten formulieren, sind die Totengräber*innen der Bibellektüre, sondern jene, die meinen, dass die Heilige Schrift nur „klein gemacht und handlich“ dem Gottesvolk – und vor allem der eigenen biederen Theologie – zumutbar ist. Wer aus der Bibel auf die Fragen von heute die Antworten von gestern herausliest, konserviert einen Glaubensstand (meist ist es der des 19. Jahrhunderts), der nur aus einem ganz bestimmten Kontext heraus verständlich wird. „Hermetische Antworten“ schützen nicht die Gläubigen mit ihren berechtigten Fragen individueller, aber auch gesellschaftspolitischer Natur, sondern die Predigenden vor dem Verlust ihres Kinderglaubens. Eine biblische fundierte Spiritualität kann es nur geben, wenn Menschen sich in ihrer je eigenen Situation vom Wort treffen lassen, seien sie Exeget*innen, Prediger*innen oder einfach an diesem wichtigsten Buch der europäischen Geistesgeschichte Interessierte. Weiter so mit dem ungezähmten Podcast – er ist wesentlich missionarischer als frommes Gewäsch!
Die beiden gebildeten Frauen erarbeiten mit ihrem Podcast das, was man beste Kommentarliteratur nennen könnte: Sie holen die Texte und ihre Botschaft ins Heute, fragen ohne Angst vor Abgründen und ohne falsche Scheu, den Texten ihre Heiligkeit zu nehmen, wo sie für uns Heutige problematisch sind.
Man kann die Bibel falsch verstehen – und manchmal will man es wohl auch
Die Replik von Johanna Haberer auf Irmtraud Fischer
Ich habe die Überlegungen der Kollegin Fischer mit Zustimmung, Freude und zugleich großer Betroffenheit gelesen. Etwas zugespitzt möchte ich auf den Aspekt resümieren, dass eine katholische Fakultät das Erkenntnisinteresse offenbar stärker auf systematische und rechtliche Disziplinen fokussieren kann, anstatt die Bibelwissenschaft als Königswissenschaft in der Theologie zu sehen. Irmtraud Fischer beschreibt die Folgen dieser Nichtachtung der jüdisch-christlichen Masterurkunde als einen Verlust der „Wurzeln“, als eine Entwicklung, die eine lebendige Dynamik zwischen den alten Texten und den zeitgenössischen Ausleger*innen „verdorren“ lässt.
Entsprechend dürr und schwach erscheinen demnach die Verstehensprozesse biblischer Texte in die kirchlichen Strukturen hinein und der Einfluss der Bibellektüre auf das Bewusstsein der Gemeinden und der Kirchenleitungen. Die radikalen und sensationellen machtkritischen Texte etwa im ersten und zweiten Testament (Amos, Nathan und David, Bergpredigt) werden durch die Steinbruchexegese kirchlicher