Gemeinsam mehr von der Welt wissen. Hans-Dieter Mutschler

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Gemeinsam mehr von der Welt wissen - Hans-Dieter Mutschler Ignatianische Impulse

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Sri Ramakrishna soll den größten Teil seines Lebens in Ekstase verbracht haben. Ich glaube, dass ihn Ignatius von Loyola nicht im Jesuitenorden geduldet hätte. Die Ideale gehen eben in eine andere Richtung. Es macht einen Unterschied, ob ich die Welt für eine Illusion halte, die es in tiefer Meditation zu überwinden gilt, oder ob ich die Welt als die gute Schöpfung Gottes ansehe. Dann muss ich an ihrer Dynamik tätigen Anteil nehmen und kann mich nicht an ihr vorbeimogeln.

      Dieser Gegensatz gilt übrigens nicht nur zwischen Christentum und ostasiatischen Religionen, er besteht auch zwischen Christentum und griechischer Philosophie. Plato und Aristoteles betrachteten das handwerkliche Herrichten als die niedere Arbeit von Sklaven. Der freie Grieche widmete sich der zweckfreien Kontemplation, die abgesondert war von niedriger, aufs Materielle gerichteter Arbeit. Hingegen war der Ziehvater von Jesus Tischler oder Paulus war Zeltmacher und blieb es auch dann noch, als er längst die unbezahlte Gastfreundschaft der Gemeinden in Anspruch hätte nehmen können, bei denen er missionierte.

      Dieses christliche Ideal des »ora et labora« hat aber einen hohen Preis. Wer sich ganz in diese Welt hineinbegibt, geht auch leicht in ihr auf. Wer sich auf Weltbewältigung konzentriert, verliert leicht den Überblick über das Ganze und wird zum blinden Organisierer, dem die Sorgen und Freuden dieser Welt den Blick aufs Eigentliche verstellen. Dementsprechend legt christliche Spiritualität großen Wert darauf, dass der Spagat zwischen Kontemplation und Weltbewältigung gelingt, und das geht eben nicht ohne Reibungsverluste. Ich glaube nicht, dass es in diesem Bereich glatte Lösungen gibt. Aber man könnte das Christentum definieren als eine Religion, die uns zeigt, wie man mit einer Welt umgeht, in der es nirgends glatte Lösungen gibt. Die Esoterik bietet uns hingegen solche glatten Lösungen an. Welt, Seele und Gott verschmelzen zur Einheit, Wissenschaft und Weisheit werden vertauschbar und mit der Subjekt-Objekt-Spaltung verschwinden alle Gegensätze, die uns so sehr zu schaffen machen. Das riecht nach Rauschgift. Auch Rauschgifte bringen die Kanten und Ecken der Welt zum Verschwinden, aber nur um den Preis, dass sie sich im nüchternen Zustand beträchtlich verschärfen.

      Wenn wir uns, wie wir sollten, ganz in die Weltbewältigung hineinstürzen, unseren Mann oder unsere Frau stehen wollen, dann sind wir in dieser Hinsicht der Transzendenz entfremdet. Daher klingt es so absurd, wenn jemand ein Buch schriebe mit dem Titel »Differentialgleichungen und Spiritualität« oder »Jesus und Steuererklärung«. Die Serie der ersten Titel, die ich erfunden habe, schließen durchweg Weltbewältigung und Kontemplation kurz. Die Serie der zweiten Titel verweist hingegen auf Selbstzwecklichkeit als den Platzhalter des Spirituellen.

      Weltbewältigung schreibt sich ein in Zweckrationalität. Zweckrationalität heißt: Wir sind, um unser Leben zu bewältigen, genötigt, gewisse Ziele zu verfolgen. Dazu wählen wir die besten Mittel aus, um erfolgsorientiertes Handeln zu gewährleisten. Im zweckrationalen Zusammenhang gibt es nichts, was für sich selber steht. Alles ist nur um eines anderen willen da. Häufig sind die Zwecke, die wir uns setzen oder die uns gesetzt sind, nur Mittel zu noch höheren Zwecken usw. Mit einem Wort: Weltbewältigung und Zweckrationalität sind nicht der Ort, wo die Dinge als sie selbst in den Blick kommen, sondern immer nur als Funktion von etwas anderem.

      Ganz anders die Kontemplation. Der Kontemplative erfährt die Welt, als wäre sie gerade in diesem Moment erschaffen. In kontemplativer Einstellung interessiert mich z.B. nicht, ob ein schöner Baum, den ich betrachte, eine genetisch programmierte Maschine ist, deren Eigenschaften möglichst überlebenstauglich eingerichtet sind. Das ist natürlich auch der Fall und könnte z.B. einen Biologen interessieren. Oder wenn ich nachts zum Sternenhimmel emporblicke, dann interessiert mich in kontemplativer Einstellung nicht, dass das Sternenlicht durch eine Kernfusion zustande kommt, in der nämlich der Stern Wasserstoff zu Helium verbrennt. Die Kontemplation durchbricht den Kausalzusammenhang oder die zweckrationale Einbindung des Realen. Sie betrachtet alles als es selbst, nicht nur als Funktion und Wirkung eines anderen. Sie betrachtet es nicht nur, als wäre die Welt in ebendiesem Augenblick aus dem Nichts entstanden. Sie betrachtet überdies die Objekte der Kontemplation so, als gäbe es nichts anderes. Der Baum wird zum Repräsentanten des Ganzen, das Sternenlicht zum Symbol der Transzendenz.

      Es ist natürlich nicht so, dass es gottfreie Zonen gäbe oder dass Gott nur an bestimmten heiligen Orten oder in heiligen Zeiten präsent wäre. Dass wir Raum für Kontemplation schaffen müssen, dass wir bestimmte Zeiten und Orte aussparen, wo wir die Feier des Heiligen inszenieren, das hat einfach nur psychologische Gründe. Wir sind eben nicht fähig, in jeder kognitiven und vor allem in jeder praktischen Einstellung Gott zu erfahren. Ich möchte nicht ausschließen, dass ein Mensch auch während des Ausfüllens einer Steuererklärung jäh vom Heiligen Geist erfasst wird. Aber das wird doch eher die Ausnahme sein. Deutlich häufiger erleben wir, dass uns die Kunst in eine kontemplative Stimmung versetzt, die dem Religiösen verwandt ist. Das ist ja auch der Grund dafür, weshalb Kunst in den Kirchen und Tempeln auf der ganzen Welt eine große Rolle spielt.

      Was bedeutet das nun in Bezug auf die Naturwissenschaft? Naturwissenschaft hat verschiedene Aspekte. Penetrant und dominierend ist auch hier der Aspekt der Weltbewältigung. Ganz nüchtern: Wofür werden denn 99 % aller Forscher bezahlt? Dass sie das Wesen des Kosmos in zweckfreier Kontemplation auf den Punkt bringen? Oder nicht vielmehr dafür, dass sie die Grundlage zu technischer Weltbewältigung liefern, also um eines praktischen, zumeist ökonomischen, wenn nicht gar militärischen Zweckes willen? Es gibt zwar eine Selbststilisierung des Wissenschaftlers als desjenigen, dem nur an zweckfreier Wahrheit liegt, nämlich zu wissen, »was die Welt im Innersten zusammenhält«. Aber das sind Sonntagsreden und dafür wird der Wissenschaftler schlichtweg nicht bezahlt.

      Ich bin trotzdem nicht der Meinung, dass Wissenschaft in praktischer Weltbewältigung aufgeht. Insofern sie es nicht tut, gibt es Querverbindungen zwischen Spiritualität und Wissenschaft. Realistischerweise muss man sehen, dass dieser Aspekt von Wissenschaft nicht der dominierende ist. Das erklärt auch ganz leicht, weshalb hier nicht direkt und unmittelbar zur ›Spiritualität‹ übergegangen werden kann.

      Es kommt noch etwas anderes hinzu: Nicht nur das praktische Handeln legt uns aufs Diesseitige fest, auch das Verstandesdenken hat eine ähnliche Konsequenz. Man könnte ja vielleicht sagen: Der Forscher ist ein Denker und Denken ist etwas Geistiges und insofern verwandt mit Spiritualität. Aber das wäre zu kurz geschlossen. Auch zwischen diskursivem Denken und Kontemplation gibt es ein Spannungsverhältnis.

      Sehr deutlich wird dieses Spannungsverhältnis im Werk von Nikolaus Cusanus. Cusanus war Wissenschaftler, Philosoph und Mystiker zugleich und hat wie kaum ein anderer diese Spannung ausgemessen. Er lehrt drei Erkenntnisvermögen: Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft. Die Sinne erkennen das Konkrete, Vorliegende, die Substanzen in Raum und Zeit. Der Verstand arbeitet zergliedernd, analysierend, er ist diskursiv. Lateinisch »discurrere« heißt im Deutschen »durchlaufen«. Der Verstand durchläuft also verschiedene Vorstellungen und verknüpft sie miteinander. Er bewegt sich im Wechsel zwischen Einheit und Vielheit. Er begreift die Einheit nie direkt, sondern immer nur mit Hilfe von Analysen der Gegensätze. Selbst so einfache Erkenntnisse wie »Alle Raben sind schwarz« haben diesen Charakter, denn das Urteil »Alle Raben sind schwarz« beruht darauf, dass wir imstande sind, Raben zu identifizieren, dass wir ihr Gemeinsames (im Kontrast zu Tauben etwa) namhaft machen können und dass wir diesen Allgemeinbegriff des Raben mit dem der Schwärze in Übereinstimmung bringen. Der Verstand ist also analysierend, d.h. zergliedernd, und synthetisierend, d.h. zusammenführend, zugleich.

      Anders die Vernunft, jedenfalls nach Cusanus. Unser heutiger Vernunftbegriff ist von der Aufklärung her geprägt. In diesem Sinn betrachtet z.B. Kant die Vernunft als das Vermögen der höchsten Prinzipien. Aber so denkt Cusanus nicht. Für ihn ist ›Vernunft‹ gleichbedeutend mit ›anschauender Vernunft‹. Vernunft ist das Vermögen, die Einheit der Gegensätze zu erkennen. Was der Verstand trennt, bringt die Vernunft zur Einheit, aber so, dass die Vielheit ausgeschlossen wird. Cusanus hat das mit Vorliebe anhand von mathematischen Vergleichen erläutert: Für den Verstand sind Gerade und Kreis Gegensätze wie A und nicht-A. Eine Gerade ist kein Kreis und umgekehrt. Aber im Unendlichen fallen diese

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