Lebendige Seelsorge 6/2018. Verlag Echter

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Lebendige Seelsorge 6/2018 - Verlag Echter

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für den eigenen Monolog will, und zieht daraus sinnvolle Konsequenzen.

      Bei Gesprächen in Gruppen ist es sinnvoller, mit erreichbaren Menschen zu diskutieren, als sich in Wortgefechte mit besonders Hartgesottenen zu verbeißen und ihnen so einen unverhältnismäßig großen Rederaum zu bieten, den man anderen dadurch nimmt. Wichtiger als einzelne unerreichbare Gegenüber sind zudem die zuhörenden und oft noch unentschiedenen Dritten im Raum. Ihnen durch die eigenen Diskussionsbeiträge gute Argumente gegen Menschenfeindlichkeit an die Hand zu geben, ist das lohnende Ziel.

      Das individuell passende Gesprächsformat finden. Eine öffentliche Podiumsdiskussion politischer Kontrahent/innen unter Beteiligung rechter Gruppierungen und Parteien ist immer eine heikle und oft keine konstruktive Form, um sich als Gemeinde oder kirchlicher Bildungsträger mit Rechtspopulismus auseinanderzusetzen oder gar Emotionen, Erfahrungen und mögliche soziale Verwerfungen hinter diesem Phänomen zu thematisieren. Protagonist/ innen der rechten Szene wird dadurch eine Bühne geboten, der kirchennahe Auftritt verhilft ihnen zu einem bürgerlichen Image, ggf. wird einer gedanklichen Normalitätsverschiebung nach Rechts und sprachlicher Verrohrung Vorschub geleistet.

      Unabhängig von Persönlichkeit und Argumenten der Gegenredner/innen haben die rechten Redner/innen immer einen Benefit: Tritt ihr Gegenüber defensiv und schwach auf, so erscheinen sie stark und deshalb „überzeugend“; tritt ihr Gegenüber stark auf, so können sie die „Opferkarte“ spielen und empathische Reaktionen des Publikums aktivieren. Eine mögliche organisierte Unterwanderung von Veranstaltungen hinterlässt im Publikum zudem Ohnmachtsgefühle. Wer dennoch ein solches Gesprächsformat anbieten will, muss es gründlich vorbereiten.

      Deshalb die Erinnerung: Neben öffentlichen Veranstaltungen haben auch Gespräche in geschlossenen Gruppen und vertrauter Atmosphäre ihr Recht, neben politischen Diskussionen auch der persönliche Erfahrungsaustausch, der geschützte Rahmenbedingungen braucht, neben einer direkten Auseinandersetzung mit Andersdenkenden auch der Informationserwerb „über“ Rechtspopulismus, rechte Gruppen, Medien und Parteien, die Bestärkung unter Gleichgesinnten oder der „Workshop gegen Stammtischparolen“. Sozialtherapeutisch inspirierte Dialogformate wiederum, die Angehörige von Konfliktparteien miteinander ins Gespräch bringen wollen, brauchen neben einem geschützten Raum in Gestalt einer festen geschlossenen Kleingruppe und verbindlichen Gesprächsregeln, deren Einhaltung eingefordert wird, auch ein speziell geschultes erfahrenes Leitungsteam.

      Wer als Einzelperson, Seelsorger/in, Gemeinde oder kirchlicher Bildungsträger Veranstaltungen mit Protagonisten der rechten Szene ablehnt, verweigert damit noch lange nicht das Gespräch. Das nämlich kann auch ohne Publikum unter vier oder sechs Augen gesucht werden und stattfinden. Dass dialogische Begegnungen selbst mit Pegida-Gänger/innen möglich, aber auch gefährlich sein können, dokumentiert der Sozialaktivist Ali Can, der als „Asylbewerber Ihres Vertrauens“ auch eine „Hotline für Besorgte Bürger“ betreibt (auch: #MeTwo).

      Die eigentlichen Themen finden. Um Gräben zu überwinden und Menschen unterschiedlicher Milieus und Einstellungen zusammenzubringen, braucht es teilweise nur Begegnungsräume, teilweise erfahrungsbezogene Gespräche zu den Themen, die vor Ort auf den Nägeln brennen (und die möglicherweise den existenziellen Hintergrund rechter Einstellungsmuster bilden). Da, wo AfD und Pegida die Bürgerschaft einer Region spalten, wäre nach Themen zu suchen, über die in unaufgeheizter Atmosphäre face-to-face-Kommunikation möglich ist.

      In Gesprächen über Abstiegsängste, vielfältige Erfahrungen radikaler biographischer Brüche – nicht zuletzt bei einer ganzen Generation von Menschen im Osten Deutschlands, die Entwertung der eigenen Bildungs- und Erwerbsbiographie durch Langzeitarbeitslosigkeit, Abwanderungsbewegungen, die ländliche Regionen ausbluten lassen, die „Gentrifizierung“ von Stadtteilen usw. treffen sich Biographisches und Sozial-Politisches, schmerzliche Erfahrungen, die ausgesprochen und gehört werden wollen, und gesellschaftliche Probleme, die gemeinsam betrachtet und gelöst werden wollen. An diesen Schmerzpunkten ist Pastoral herausgefordert, zugleich persönlich, sozial und politisch zu sein – und kann Kirche ihr Potenzial entfalten.

      Eine Bandbreite an Kommunikationsfähigkeiten entwickeln. Die hier angesprochenen Gesprächssituationen verlangen nach einer großen Bandbreite von Kommunikationsfähigkeiten. Neben Einfühlungsvermögen, Verständnis und der Bereitschaft zuzuhören braucht es die Fähigkeiten, Spannungen auszuhalten und Konflikte auszutragen ebenso wie die, Gemeinschaft plural zu denken und auch von einer christlichen keine Homogenität zu verlangen. Es bedarf gleichermaßen des Mutes zur klaren Positionierung wie einer inneren Flexibilität, auf unterschiedliche Menschen und Gesprächssituationen unterschiedlich reagieren zu können – insbesondere dann, wenn man Gespräche moderiert: Das Eröffnen von weiten Gesprächsräumen, in denen ehrlich auch Problematisches ausgesprochen werden kann, und zugleich das strikte Unterbinden von Hetze, das grundlegende Vertrauen in die Ehrlichkeit meines Gegenübers und zugleich der oft notwendige Faktencheck, der möglichst keine unhaltbaren Behauptungen im Raum stehen lässt, die klare eigene Positionierung, die zugleich anderen die Freiheit zu abweichenden Positionierungen lässt. Zur Kommunikationsfähigkeit gehört schließlich auch die Fähigkeit, eine Kommunikation – mit klarer Begründung – zu beenden.

      Weit verbreitete Ohnmachtsgefühle und Sprachlosigkeit gegenüber rechter Hetze lassen sich angehen durch Teilnahme an „Argumentationstrainings gegen Rechts“. Sie erhöhen die persönliche Gesprächskompetenz jedes Menschen vom einfachen Gemeindemitglied bis zum Bischof.

      Und schließlich passt vielleicht nicht jede denkbare Gesprächsform zu jedem Menschen: Jede/r darf die eigenen Grenzen respektieren, keine/r kann oder muss die Welt retten – diese Aufgabe dürfen wir gerade als Christ/innen vertrauensvoll Gott überlassen. An die Stelle der eingangs formulierten Fragen „Soll? Darf? Muss?“ tritt die Frage „Was können und was wollen wir hier und jetzt konkret leisten – mit welchen Chancen, Risiken und Konsequenzen?“ Eine Kirche, die niederschwellig vielfältige bigraphisch-persönliche wie sozial-politische Gesprächs- und Begegnungsräume eröffnet, braucht aus meiner Sicht, um notwendigen gesellschaftlichen Dialog zu ermöglichen, Agitator/innen des rechten Spektrums keine Bühne zu bieten.

      LITERATUR

      Klein, Constantin, Wie sehen Formen von Religiosität aus, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verringern? Einsichten aus 70 Jahren sozialwissenschaftlicher Forschung, in: Strube, Sonja Angelika, Das Fremde akzeptieren. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken – Theologische Ansätze, Freiburg 2017, 169-181.

      Küpper, Beate/Zick, Andreas, Religiosität und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Ergebnisse der GMF-Studien, in: Strube, Sonja Angelika (Hg.), Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie, Freiburg 2015, 48-63.

      Neutral bleiben – keine Option für Christen. Offener Brief von Theologen und Theologinnen der TU Dresden, der EHS Dresden und der EH Moritzburg, auf: www.bistum-dresden-meissen.de/upload/2016/Offener_Brief.pdf. Scheidler, Monika, Unterscheidung der Geister in einer gespaltenen Gesellschaft. Ein Instrumentarium für Seelsorge und religiöse Bildung, in: Strube, Sonja Angelika, Das Fremde akzeptieren. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken – Theologische Ansätze, Freiburg 2017, 201-221.

      Strube, Sonja Angelika (Hg.), Das Fremde akzeptieren. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken – Theologische Ansätze, Freiburg 2017a. Dies. (2017b), Ermutigung zum Widerspruch. Praktisch-theologische Thesen zur Konfliktfähigkeit, in: Dies. (Hg.), Das Fremde akzeptieren. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken – Theologische Ansätze, Freiburg 2017, 222-234.

      Dies. (2016b), Familienbild als Einflugschneise: Was Gläubige anfällig macht, in: Neue Caritas. Politik, Praxis, Forschung, Zeitschrift des Deutschen Caritasverbands

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