Mein Helgoland. Isabel Bogdan

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Mein Helgoland - Isabel Bogdan

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habe ich den Input nicht direkt vor der Nase, aber ich brauche welchen, bevor ich einen Output produzieren kann, ich brauche offenbar veränderte Blickwinkel. Nicht dass der Anblick meiner Küche wahnsinnig neu wäre, oder der auf meine verlausten Balkonpflanzen besonders inspirierend. Aber irgendwie anscheinend doch.

      Ist das so? Braucht man zum Übersetzen mehr Konzentration, zum Schreiben mehr Inspiration? Sind Ortswechsel inspirierend, auch innerhalb der eigenen Wohnung? Was soll das überhaupt sein, »Inspiration«? Thomas Alva Edison soll gesagt haben, »Genie« bestünde aus einem Prozent Inspiration und neunundneunzig Prozent Transpiration. Man weiß halt nicht, ob das eine Prozent einen nun am Esstisch oder im Bett überkommt. Calvin (von Calvin and Hobbes) sagt, zum Schreiben müsse man in der richtigen Stimmung sein, und die richtige Stimmung sei »Last Minute Panic«. Da ist etwas dran, jedenfalls bei mir, ich brauche Druck. Termine. Deadlines. Und neue Aussichten, wie es scheint. Ich habe keine Ahnung, was Inspiration ist und woher sie kommt, aber ich weiß, dass ich zum Schreiben am besten wegfahre. Allein, zu zweit, zu mehreren, und am allerliebsten mit Blick aufs Meer.

      Und wenn Alleinsein zum Schreiben völlig in Ordnung ist, so ist die Einsamkeit auf Lesereisen etwas ganz anderes. Man braucht in einer Runde von Schreibenden nur das Wort »Lesereiseneinsamkeit« fallen zu lassen, dann seufzen sofort alle »Oh ja«. Ich liebe Lesereisen. Nach monate- oder jahrelanger Schreibtischarbeit rauszugehen und das fertige Buch in die Welt zu tragen, Menschen zu begegnen und ihnen die eigene Arbeit vorzustellen, das ist grandios. Ich sitze gern auf der Bühne, unterhalte mich mit dem Publikum, tausche mich mit Leserinnen und Lesern aus, und das ist etwas ganz Besonderes und Großes. Aber dann sind nach der Lesung alle wieder weg, und mit ein bisschen Pech hat man vergessen, sich vorher noch eine Apfelschorle zu kaufen, und sitzt mit Leitungswasser aus dem Zahnputzbecher im Hotelzimmer. Am nächsten Morgen Hotelfrühstück mit schwitzenden Käsescheiben und angetrockneter Mortadella (für mich eher Müsli, hoffentlich etwas Obst und ein Kaffee), danach klappt man den Koffer zu, zieht ihn über Kopfsteinpflaster zum Bahnhof und reist in die nächste Kleinstadt, sucht das nächste Hotel, sucht sich etwas zu essen, sucht die Buchhandlung, weiß aber nicht, ob die Buchhändlerinnen nach der Lesung noch essen gehen möchten, holt sich was vom Bäcker oder vom Supermarkt, denn um sechs Uhr allein ins Restaurant gehen ist auch nicht toll. Dann abends wieder Lesung, da ist man wieder wie angeknipst und voll mit Adrenalin und Endorphinen. Hinterher gibt es eventuell Pizza mit den Buchhändlerinnen, abends um zehn, und dann mit schwerem Magen ins nächste Hotelbett. Das ist alles sehr schön, einerseits, andererseits denke ich manchmal: Ich wäre gern eine Band. Dann hätte ich nach dem Auftritt ein paar Vertraute um mich, um den Abend ausklingen zu lassen, vielleicht noch ein, zwei Bier zu trinken und morgens gemeinsam über die grantigen, einsamen Geschäftsmänner in Anzügen im Frühstücksraum zu lästern. Glücklicherweise sind die Buchhändlerinnen, die einen einladen, meistens ausgesprochen reizend, das fängt diese sonderbare Einsamkeit ganz gut auf. Am allerliebsten lese ich aber auf Festivals, wo auch andere Autorinnen und Autoren sind, die man hinterher in der Hotelbar trifft. Selbst wenn man sich noch nicht kennt – man erkennt sich, weil man die Pressefotos gesehen hat, und kann einfach fragen: »Und, wie war’s bei dir?« Man hat etwas gemeinsam und fühlt sich wenigstens ein bisschen wie eine Band.

      Dass Helgoland für einen Schreibaufenthalt wunderbar geeignet ist, war von der ersten Reise an klar. Meine erste Helgolandfahrt war eine Pressereise, ich war als Bloggerin eingeladen, und der Wetterbericht hatte Sturm angekündigt. Einige Mitreisende jaulten schon vorauseilend, sie würden bestimmt seekrank. Ich werde nicht seekrank, ich werde nie seekrank, ich kenne nämlich den ultimativen Trick gegen Seekrankheit, und der lautet: Gummibärchen. Oder irgendetwas anderes zum Draufherumkauen, denn Kauen stimuliert das Gleichgewichtsorgan im Ohr. Ich werde nicht seekrank, ich habe Gummibärchen, und wenn es schaukelt, mache ich leise jippie. Tatsächlich ist kaum Wind, bei der Abfahrt nieselt es ein wenig, hört aber gleich wieder auf. Und noch vier volle Stunden bis Helgoland. Ich freue mich, an den Tagen davor hatte ich ein bisschen Ärger und kann das Meer jetzt gut gebrauchen. Ich stehe am Heck des Schiffs draußen und lasse mich durchpusten. Auf der Elbe darf der Katamaran nicht so schnell fahren, wie er kann, aber sobald man an Cuxhaven vorbei ist und aufs offene Meer kommt, prescht er in beeindruckendem Tempo los. Die See ist ruhig, nach und nach reißt der Himmel auf, die Sonne kommt heraus, und ich lasse meinen Kummer an Land. Wie das Meer das wohl macht? Wenn ich schlecht drauf bin, wenn ich Kummer habe oder Herzschmerz, dann bringt mich ans Meer, und wenn keins da ist, an irgendein anderes Wasser, es funktioniert immer. Erst recht bei so herrlichem Wetter.

      Irgendwo auf offener See dürfen wir auf die Brücke, wir halten ein kleines Schwätzchen mit dem Kapitän, er erklärt uns dies und das. Eine Kollegin fragt, ob wir auch mal steuern dürfen, aber aus irgendeinem Grund hat dann nicht sie die Hand auf dem Steuerknüppel, sondern ich. Der Kapitän hat vorher allerdings schnell auf irgendein Knöpfchen gedrückt. »Jaja«, sage ich, »jetzt haben Sie den Autopiloten eingeschaltet, und ich soll mir einbilden, das Schiff zu steuern?« – »Nein«, sagt er, »im Gegenteil, ich habe den Autopiloten ausgeschaltet, sehen Sie?« Er legt seine Hand auf meine, schiebt den Steuerknüppel bis zum Anschlag nach rechts, und das Schiff macht einen wilden Schlenker. Ich dachte, so ein Schiff reagiert langsamer, aber der Katamaran hat ordentlich Fahrt drauf. Der Kapitän schiebt den Steuerknüppel nach links, das Schiff zieht nach links. Dann nimmt er seine Hand weg und sagt: »Jetzt fahren Sie mal dem weißen Schiff da hinterher.« Und ich gucke auf das weiße Schiff und versuche, ihm mit dem Katamaran hinterherzufahren, statt dass ich mich am Radar orientiere, das wäre wahrscheinlich vernünftiger. Aber da könnte ich das Meer nicht richtig sehen.

      Die Kollegin fragt, was denn mit dem angekündigten Sturm sei, ob der noch komme. »Ja«, sagt der Kapitän, »aber erst heute Nachmittag. Und morgen regnet es dann.« Aber ach, was verstehen Kapitäne schon von Seewetter? Nachmittags auf der Insel ist kein Wind, schon gar kein Sturm, es ist zwischendurch zwar grau und neblig, aber der Nichtwind pustet das schnell weg, und am nächsten Morgen ist alles blau, und die Insel macht wieder, was sie am besten kann: blauen Himmel, blaues Meer, weißen Sand, grünes Land, rote Klippen.

      Eigentlich ist es ein bisschen langweilig, von Hamburg aus nach Helgoland zu fahren. Denn von Hamburg fährt der Katamaran (jedenfalls im Sommer), und der legt im Helgoländer Hafen an. Wenn man aber mit dem Seebäderschiff von Cuxhaven, Bremerhaven oder Büsum ankommt, wird man vor Helgoland ausgebootet. Die Schiffe ankern, und man muss in Börteboote umsteigen, eine Helgoländer Besonderheit: flache Holzboote, etwa zehn Meter lang und drei Meter breit, mit einem starken, innen liegenden Motor und Platz für vierzig bis fünfzig Personen. Man steigt vom Schiff in diese Boote und wird damit an Land gebracht. Jedenfalls im Sommer. Im Winter legen auch die Seebäderschiffe im Hafen an, denn notwendig ist dieses Ausbooten heute nicht mehr, der Hafen ist tief genug. Es wird aber aufrechterhalten, weil es Tradition ist und eine Einkommensquelle für die Helgoländer. Wie überhaupt ein Großteil der Helgoländer Wirtschaft vom Tourismus abhängt.

      Blöderweise habe ich die Helgoländer Wirtschaft noch nie durch Ausbooten unterstützt. Weil ich im Sommer immer mit dem Katamaran von Hamburg aus fahre und im Winter auch die Seebäderschiffe im Hafen anlegen. Das Gute daran ist aber: Es gibt auf Helgoland sowieso nicht viel zu tun, keine große Menge an Touristenattraktionen, die man bei x Aufenthalten nacheinander abklappern könnte. Man hat relativ schnell das meiste gesehen. Lummenfelsen, Robben, Bunkerführung, Aquarium, Vogelfanggarten, Inselrundfahrt mit dem Börteboot. Das war’s eigentlich. So gesehen ist es schön, dass ich das ein oder andere noch vor mir habe, obwohl ich schon so oft dort war, zum Beispiel das Ausbooten.

      Schon auf dieser ersten Reise beschlossen meine Freundin Anne, die ebenfalls als Bloggerin dabei war und ebenfalls an einem Buch schrieb, und ich: Wir müssen mal zum Schreiben herkommen. Uns zu zweit ein paar Tage in Ruhe auf diese winzige Insel zurückziehen und arbeiten.

      Wir haben sofort gebucht, eine ganze Woche. Und weil wir beide aus dem Internet kommen, füllten wir unsere Blogs, Twitter und Facebook mit der Insel. Wir benutzten den Hashtag #hauptsachedasbuchwirdfertig und posteten Fotos von blauem Himmel, glitzerndem Wasser, Robben, Basstölpeln und Trottellummen, Fotos von uns selbst mit dem Laptop auf den Knien auf einer Bank vor dem

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