Zurück zum Respekt. Franz Vranitzky
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Auch gab es schon immer harte politische Auseinandersetzungen. Die Mittel, mit denen Tagespolitik gemacht wurde, waren auch nicht immer anständig, auch der Ton nicht. In Graz gab es einmal einen Bürgermeister und kurzzeitigen FPÖ-Obmann namens Alexander Götz, der über Bruno Kreisky sagte: »Der Bundeskanzler agiert, als sei ihm der Papp ins Hirn gestiegen.« Auch im Parlament gab es sehr intensive verbale Auseinandersetzungen. Es wäre nicht angebracht, im 21. Jahrhundert mit dem Gouvernanten-Gehstock zu wackeln und die Menschen zu ermahnen. Aber es hat sich einiges verändert – nicht unbedingt zum Besseren.
Natürlich sind die politischen Zeiten heute auch aus einem arithmetischen Grund härter als zu meiner aktiven Zeit: Die Hemmschwelle bei Auseinandersetzungen ist niedriger, weil der Kampf um Mehrheiten schwieriger geworden ist. Die SPÖ hatte damals immer Mehrheiten in einer Bandbreite von 6 bis 7 Prozent. Das schlechteste Ergebnis waren 35, das beste 42 Prozent der Stimmen. Heute erzielt keine Partei mehr solche Ergebnisse. Da ist die Kampfbereitschaft natürlich größer. Rempeln und Pöbeln wird in solch einer Situation eher als angemessen betrachtet. Wenn es um so viel geht, möchte sich niemand nachsagen lassen, zu nachgiebig zu sein. Da bleibt der Respekt mitunter schon auf der Strecke, da möchte man lieber ordentlich auf den Putz hauen. Ein Bekannter von mir meinte einmal in einer politischen Diskussion: »Der Parteichef selbst muss zu dieser Sache überhaupt nichts sagen. Dazu haben wir ja einen Parteisekretär und einen Klubobmann. Der wird sich der Sache annehmen.« Es gibt in jeder Partei Leute, die dafür zuständig sind, den politischen Gegner anzugreifen. Da wird ein hartes Vorgehen erwartet. Dann fallen die Schranken des Respekts und der Höflichkeit, eine eigentlich höchst überflüssige Routine.
Ich habe selbst auch immer großen Wert darauf gelegt, nicht untergriffig zu werden. Aus meiner Sicht gewinnt man dadurch nichts. Erstens entspricht es nicht meinem Naturell, andere Leute anzupöbeln. Zweitens habe ich mir auch taktisch nichts davon versprochen. Ich habe in meiner Amtszeit einmal mit jungen Leuten gesprochen, die meinten: »Vorige Woche war der Haider bei uns am Tennisplatz. Der ist eine lustige Nummer. Der hat sich zu uns gesetzt und mit uns geblödelt.« »Würdet ihr das von mir auch wollen?«, fragte ich. »Nein, das passt nicht zu dir.« Das stimmte auch. Ich hielt mich eher an eine Meldung, die ich einmal im Parteivorstand hörte. Wir lagen wieder einmal mit der ÖVP im Streit, da sagte ein Genosse: »Streitet nicht immer mit der ÖVP. Aber lasst euch ja nichts gefallen.«
Der Spruch Haiders: »Der Vranitzky bringt ja nicht einmal mehr den Gürtel über den Bauch« – was ohnehin nicht zutraf – galt damals noch recht unüblich. Inzwischen ist eine derartige Rhetorik weit verbreitet. Wieder einmal Trump als abschreckendes Beispiel: Er machte sich über einen Kontrahenten lustig, der im Scheinwerferlicht schwitzte, versuchte zu suggerieren, dessen kleine Hände ließen auch auf andere kleine Körperteile schließen, spottete über Körperbehinderte. Einer Moderatorin, die ihm kritische Fragen stellte, warf er vor, unter ihrer Periode zu leiden, einer anderen unterstellte er eine schlecht vertragene Botox-Behandlung.
Man sollte in der Öffentlichkeit einen Minimalstandard an Respekt und Fairness verlangen. Ich fürchte aber, Verhaltensmuster lassen sich nicht verordnen. Wenn ein Politiker wie etwa unser Innenminister vor Kurzem in einer Zeitung den Bundeskanzler mit den Worten »für Kern ist der Zug abgefahren« frontal angreift, was soll man da tun? »Bitte seien Sie doch nicht so grauslich, Herr Sobotka?« Das wird der eher als Schwäche auslegen. Die politischen Auseinandersetzungen, die historisch immer zwischen Parteien stattfanden, sind Auseinandersetzungen zwischen Personen geworden. Letztendlich werden die Wähler entscheiden, welches Verhalten sie für angemessen halten, welche Art der Politik und der Umgangsform sie unterstützen. Der raue Ton Donald Trumps hielt die Amerikaner jedenfalls nicht davon ab, ihn zum Präsidenten zu wählen, eher im Gegenteil.
DIE GLOBALISIERTE WELT
Die Welt verändert sich mit stets wachsender Geschwindigkeit. Vor vierzig, fünfzig Jahren war sie nicht besser, aber ein wenig einfacher. Es gab im Großen und Ganzen zwei große Mächte, zwei Blöcke und einige Sonderfaktoren. Damals waren auch größere Krisen relativ einfach zu bewältigen. Die Erklärung für die erste Flüchtlingswelle aus Ungarn 1956 war klar: Die Sowjetunion nahm Ungarn in die Zange und zwang viele Menschen zur Flucht. Wir nahmen sie damals als gute Nachbarn auf, auch in der Erwartung, dass viele von ihnen nach Kanada oder Australien weiterziehen würden. Auch Menschen, die nicht übermäßig politisch belesen waren, verstanden, worum es ging.
Wir konnten davon ausgehen, dass die zwei Weltkriege im 20. Jahrhundert und die indiskutable Zwischenkriegszeit, jedenfalls in Europa, den Menschen einen derart immensen Schaden zugefügt haben, dass danach viel Kraft darauf verwendet wurde, derartige Katastrophen grundsätzlich zu verhindern. Dementsprechend gab es eine bemerkenswerte säkulare Entwicklung, materiell, kulturell und politisch: Staaten erlangten ihre Souveränität, Menschen schlossen sich zu Friedensbewegungen zusammen, das europäische Modell entstand. Sogar die Spannungen zwischen Ost und West vergingen letztlich. Die Berliner Mauer fiel genauso wie der Eiserne Vorhang. Diese Erfolgserlebnisse haben den Menschen Hoffnung gegeben und ihnen gezeigt, dass es aufwärtsgeht; die sozialen Modelle der einzelnen Staaten bewährten sich. Die Schulbildung wurde immer besser, die Menschen profitierten vom Wiederaufbau.
Ab einem gewissen Wohlstand wuchs seine Vermehrung aber immer langsamer. Und nachdem es so lange nur aufwärtsgegangen war, passierten auf der Weltbühne plötzlich wieder Dinge, die unsere Zufriedenheit infrage stellten. Jahrzehntelang hatte Frieden geherrscht, doch in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre brach direkt vor unserer Haustür, in Jugoslawien, ein Krieg aus. Mit der Wirtschaft war es lange bergauf gegangen, dann unterbrachen die internationale Energiekrise und der Ölpreisschock unsere scheinbar ungestörte Fahrt nach oben.
Die Finanzkrise 2008 duschte uns alle dann endgültig kalt ab. Auf einmal wurden Dinge hinterfragt, die vorher nie bezweifelt worden waren: ein abgesichertes Familieneinkommen, das sichere Sparbuch oder ein ausgebautes Netz von Transferleistungen, schließlich selbst unsere gemeinsame Währung. Der Euro schien plötzlich nicht sicher genug. Dabei wird völlig ausgeblendet, wie oft früher gegen den Schilling spekuliert worden war, wie oft war er nicht sicher genug erschienen.
Vor der Einführung des Euro hatte etwa die Abwertung der schwedischen und finnischen Währung über Nacht unsere Papierindustrie aus dem Markt geworfen. Die wenigsten Menschen wissen heute darüber Bescheid, weil die Dinge früher nicht so publik wurden. Wenn heute Maßnahmen getroffen werden, solche Taktiken zu verhindern, regen sich die Menschen auch darüber auf. Zum Beispiel über die Rettung der Banken. Doch hätten die europäischen Staaten sie im Zuge der Finanzkrise 2008 nicht gerettet, wäre der Schaden für die europäischen Volkswirtschaften wirklich groß geworden.
Erstmals seit 1945 wächst nun wieder eine Generation heran, der es nicht automatisch besser gehen wird als der vorherigen. Und die Schere zwischen Arm und Reich geht insgesamt auf. Stets habe ich auf den nötigen sozialen Ausgleich hingewiesen: Wir müssen diese wachsenden sozialen Unterschiede eindämmen, national wie international. Ein Grund dafür liegt auch in der nicht vorhandenen Steuergerechtigkeit und der Verantwortungslosigkeit jener, die sich weigern, ihren gerechten Anteil an den Staatskosten zu leisten. Wenn etwa Facebook jährlich mehrere Milliarden Euro Gewinn macht und in Großbritannien nicht einmal 10 000 Euro Steuern bezahlt, so ist augenscheinlich, dass der wirkliche Betrug am Staat nicht durch Hilfsbedürftige begangen wird, sondern durch jene, die sich weigern, ihren gerechten finanziellen Beitrag zum Funktionieren der gesamten Gesellschaft zu leisten. Die Ungleichheiten zwischen riesigen Gewinnen einzelner Personen oder