Wo wir stehen. Ludwig Adamovich

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Wo wir stehen - Ludwig Adamovich

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– zu nennen. In ihrem Wirken spiegeln sich allerdings auch damals verbreitete und zu einem gewissen Grad noch heute bestehende unerfreuliche Tendenzen wie insbesondere der Antisemitismus.

      Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges traten alle Spannungen klar zutage, die schon vorher zu sehen gewesen waren, in ideologischer und nationaler Hinsicht. Die deutsch-nationale Bewegung, die schließlich in den Nationalsozialismus mündete, kann man nicht verstehen ohne die oben andeutungsweise dargestellte Vorgeschichte. Dabei spielt der Ausdruck »Reich« eine nicht unwichtige Rolle. Mit Beschluss vom 30.10.1918 erklärte sich die Republik Österreich zu einem Teil des Deutschen Reiches.

      Zwar deklarierte die österreichische Bundesverfassung vom 01.10.1920:

      »Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.« Aber von einer einheitlichen Vorstellung von den dieses Staatswesen tragenden Ideen konnte nicht die Rede sein. Insbesondere die Demokratie war nicht so solide verankert, dass sie gegenläufigen Strömungen standgehalten hätte. Darüber wird noch zu reden sein.

      Die politische Landschaft von heute ist nicht die von 1920. Vor allem ist in Gestalt der Grünen eine neue und von neuen Ideen getragene Bewegung auf den Plan getreten. Das »Liberale Forum« versuchte, eine echte liberale Partei zu sein, ist aber nach anfänglichen Erfolgen auf Dauer gescheitert, obwohl es zeitweise eine recht gute Figur gemacht hat. An seine Stelle ist die politische Partei NEOS getreten, die zwar keine überwältigenden Erfolge zu verzeichnen hat, aber immerhin in vielen Vertretungskörpern, so auch im Nationalrat, ihre Sitze hat. Die stärkste politische Partei (ÖVP-Kurz) kann man nur mit einigen Abstrichen mit der seinerzeitigen christlich-sozialen Partei vergleichen. Am ehesten gleicht die heute sozialdemokratische Partei ihrer Vorgängerbewegung. Die nationale Bewegung ist derzeit gespalten und die Zukunft wird zeigen, welche Linien sich hier entwickeln. Insbesondere im Hinblick auf das Ergebnis der Wiener Gemeinderatswahl im Oktober 2020.

      Es gibt neuartige Bewegungen, die für eine radikale Durchführung der Demokratie in allen Lebensbereichen, meist auch für andere Ziele wie den Umweltschutz, eintreten und eine Art von außerparlamentarischer Opposition entwickeln. In ihren radikalsten Ausprägungen sind sie nicht weit von Anarchismus entfernt.

      Die »Zivilgesellschaft« spielt eine große Rolle im öffentlichen Diskurs. Was immer man darunter verstehen will: Sicher ist, dass es sich um nicht in Form politischer Parteien organisierte Bewegungen handelt, die sich deutlich vom Staat absetzen und in der Regel im Interesse konkreter Themen staatliches Handeln kritisieren. Der Ausdruck »Zivilgesellschaft« ist nicht gesetzlich geschützt und soll es nach dem Selbstverständnis der »Mitglieder« auch nicht sein. Das hat zur Folge, dass jede Gruppe, welche Zusammensetzung und Zielsetzung auch immer, sich selbst zur »Zivilgesellschaft« ernennen kann und von dieser Möglichkeit auch reichlich Gebrauch macht.

      So in etwa sieht die politische Landschaft der österreichischen Gegenwart aus. Doch mit welchen Herausforderungen sieht sie sich konfrontiert?

      Die Versprechen von Wohlstand und Friede scheinen nicht mehr selbstverständlich zu sein. Politische Turbulenzen auf der ganzen Welt gefährden Werte, die wir für unantastbar und selbstverständlich hielten.

      Nicht zuletzt suchen die Menschen heute mehr denn je Halt in einer Gesellschaft, die sich vor ihren Augen radikal zu wandeln scheint. Morgen schon könnte nichts mehr so sein, wie sie es heute noch kannten – so zumindest scheinen viele Bürger zu empfinden. Die katholische Kirche, für lange Zeit spiritueller Anker und Ort der Sicherheit, ist in Flügelkämpfe verwickelt und verliert an Glaubwürdigkeit. Doch nach wie vor suchen Menschen nach Transzendenz und Spiritualität. Wohin wenden sie sich jetzt? Was füllt das Vakuum, das die Kirche hinterlässt?

      In den nächsten Kapiteln werde ich die drängendsten Fragen der Gegenwart vor dem Spiegel österreichischer Geschichte und Politik analysieren und Vorschläge vorbringen, wie wir ihnen begegnen können. Diese Kapitel werden ein Bild davon zeichnen, wo wir heute stehen.

      Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden uns dabei immer wieder begegnen.

      Eines möchte ich hier schon vorausschicken: Was wir vor allem brauchen, ist Mut. Mut, kritisch über unsere Situation nachzudenken, Mut zur Veränderung. Und Mut, Utopien zu entwerfen. Daher ist das dritte Kapitel dieses Buches auch einer Utopie gewidmet, wie die Welt von morgen aussehen könnte, um mit all den globalen Problemen, die auf uns zukommen, fertig zu werden.

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