Demokratisierung von Organisationen – Erfolgsmodell Schweiz. Ralph Höfliger
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Demokratisierung von Organisationen – Erfolgsmodell Schweiz - Ralph Höfliger страница 6
In Bezug auf Erfolg kann damit wohl bestätigt werden, dass die Schweiz als Erfolgsmodell dienen kann.
Die andere Frage ist, ob sie auch als Modell dienen kann.
B.Eine Staatsordnung als Modell für wirtschaftliche Organisationen?
Ob etwas als Modell dienen kann, ist eine Frage der Übertragbarkeit. Inwieweit kann eine Staatsordnung auf eine Wirtschaftsorganisation übertragen werden? Um diese Frage zu beantworten werden zuerst Gemeinsamkeiten und Unterschiede betrachtet und daraus die Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit abgeleitet.
1.Gemeinsamkeiten und Unterschiede Staats- und Wirtschaftsorganisation
Menschen tun sich zusammen und organisieren sich, wenn Sie Werte schaffen wollen, welche sie allein nicht erschaffen können. Ein zentraler Hinweis, ob eine Übertragbarkeit gegeben ist, liegt deshalb in der Absicht: Haben die Organisationen einen ähnlichen Zweck, dürfte Übertragbarkeit eher gegeben sein als bei unterschiedlichen Funktionalitäten. Einen relevanten Hinweis darauf, was Sinn und Zweck einer Organisation ist, zeigt jeweils die Gründungssituation einer Organisation: Wozu werden Staaten gegründet, wozu Organisation?
Staaten werden gegründet, um die Bedürfnisse der Bürger nach Freiheit, Sicherheit, Infrastruktur, Bildung, guten Aussenbeziehungen, etc. sicherzustellen.
Wirtschaftsorganisationen entstehen, wenn Menschen erkennen, dass sie zusammen mehr erreichen können als allein.
In diesem sehr fundamentalen Sinn, wenn es um Sinn und Zweck geht, besteht also eine sehr hohe Gemeinsamkeit: Sowohl Staat als auch Wirtschaftsunternehmen sind Organisationen, die gebaut sind, um Stakeholder Bedürfnisse zu befriedigen.
Wo liegen die Unterschiede?
Die Hauptunterschiede zwischen Staat und Firma liegen in der Art der gegenseitigen Verbindungen und Abhängigkeiten ihrer Stakeholder.
Der Schweizer Staat gehört ihren Bürgerinnen und befriedigt primär deren Bedürfnisse, d.h. er bedient primär seine eigenen Stakeholder. Jede Bürgerin hat mehrere Stakeholder-Rollen inne, d.h. ist mehr oder weniger gleichzeitig «Kundin», «Mitarbeiterin», «Lieferantin», «Investorin» und «Inhaberin» der staatlichen Organisation.
Als «Kunde» erhält der Bürger vom Staat Infrastruktur, Sicherheit, und diverse Dienstleistungen und bezahlt diese mit Steuern.
«Mitarbeiterin» ist die Bürgerin durch aktive oder passive Mitwirkung in der Legislative (z.B. bei Abstimmungen, Wahlen, Referenden, Initiativen, Petitionen etc. oder als Repräsentantin (z.B. als Parlamentarierin), als Mitglied der Exekutive (z.B. als Gemeinderätin oder Mitglied der Schulpflege) oder als Mitglied der Judikative (z.B. als Friedensrichterin).
«Lieferantin» wird sie, wenn sie Aufträge der öffentlichen Hand ausführt.
«Investor» ist ein Bürger über seine Steuern und wenn er mit Staatsdarlehen in den Staat investiert.
«Mitinhaber» ist er per se als Bürger.
In vielen, insbesondere in grösseren Wirtschaftsorganisationen hingegen sind die Stakeholder einseitiger mit der Organisation verbunden. Beispielsweise hat die überwiegende Mehrheit der Kunden eines Computer- oder Automobilherstellers keine weiteren Stakeholder Rollen, d.h. sie sind nicht auch noch Mitarbeiter, Eigentümer, Lieferanten oder Mitinhaber der Organisation. Ausnahmen sind beispielsweise Vereine und Genossenschaften, die Leistungen für ihre eigenen Mitglieder erbringen, wie zum Beispiel Versicherungsgenossenschaften, die bestimmte Risiken auf die eigenen Mitglieder verteilen.22 Diese Organisationen sind vom Prinzip her tatsächlich staatsähnlich aufgebaut: Die Kundin ist zugleich Miteigentümerin, Mitgestalterin, Mitentscheiderin und ggf. sogar Mitarbeiterin.
2.Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit
Es ist deshalb kein Zufall, dass die Demokratisierung von Organisationen vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen begann. Die zurzeit umfangreichste Liste demokratisch geführter Organisationen und Unternehmen mit hohem Selbstorganisationsgrad, die «Bucket List» der Corporate Rebels23, enthält mit wenigen Ausnahmen KMUs, denn dort sind die Distanzen der Stakeholder zueinander bedeutend kleiner als in Grossorganisationen.
Generell kann deshalb die Aussage gewagt werden, dass die Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit der direkten Demokratie der Schweiz auf Wirtschaftsorganisationen abhängig ist von der Nähe und Distanz zwischen den Stakeholdern und ihrer Interessen.
Bezogen auf die einzelnen Elemente der direkten Demokratie sind die Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlich. Viele Praktiken können problemlos auch in Grossunternehmen eingeführt werden, wie z.B. der Initiativprozess. Näheres dazu in den entsprechenden Kapiteln zu den Kernelementen der direkten Demokratie.
C.Mythen aufklären
Bevor die einzelnen Elemente der direkten Demokratie beleuchtet werden, noch ein kurzer Blick auf einige Mythen dazu, die, wenn nicht aufgeklärt, den Blick auf das Wesentliche versperren könnten.
1.Mythos jekami
Damit ist der Mythos gemeint, dass Demokratie bedeute, jeder kann überall mitentscheiden.
Tatsache ist, dass in einer Demokratie viel detaillierter geregelt ist, wer wo wie mitreden und mitentscheiden kann, als in einem feudalistischen System. Das liegt auch auf der Hand, da im Feudalismus einfach der Ranghöhere bestimmt, was zu tun ist, welche Regeln gerade gelten, wer Recht hat, etc., es braucht dazu also kein Regelwerk. In der Demokratie hingegen ist dies genau geregelt.
2.Mythos Langsamkeit
Zum Mythos, dass direkte Demokratie langsam sei: Es stimmt zwar, dass es in der schweizerischen Willensbildung bestimmte Geschäfte gibt, die sich tatsächlich über viele Jahre dahinziehen, ohne dass sich Wesentliches verändert, beispielsweise die AHV Revisionen. Doch wenn der Leidensdruck gross genug ist und es eilt, zeigt sich das System sehr agil: Beispielsweise wurde in der Bankenkrise die Grossbank UBS – too big to fail – innert weniger Tage durch die Eidgenossenschaft gerettet.24
Dazu wurde das sogenannte Notrecht in Kraft gesetzt, dasselbe Recht, das bei der Corona Pandemie für den Lock-down eingesetzt wurde. Dieses Recht, verankert im Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung25 übergibt dem Bundesrat in Krisensituationen weitreichende Kompetenzen, um Lösungen zu entwickeln und umzusetzen, wenn es eilt. Ist die Krise vorbei, geht die Führung zurück ans Parlament (Details dazu siehe Kapitel «Notrecht, wenn es eilt»).
Aber nicht nur in Notsituationen ist die direkte Demokratie viel schneller als ihr Ruf, sondern auch im Alltag. Beispielsweise war die Schweiz, knapp vor Kanada, das erste Land der Welt, das rechtliche Rahmenbedingungen für Block-Chain Technologien