Rosmarie Weichsler und das Lächeln des Teufels. J.J. PREYER
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Rosmarie Weichsler und das Lächeln des Teufels - J.J. PREYER страница 2
»Bank«, rief sie ihrem Gatten zu.
»Ja, natürlich«, nahm dieser den Hinweis auf. »Ich danke der Stadtgemeinde Steyr für die Finanzierung der Aufführungen und der Sparkasse der Stadt, die unser größter Sponsor ist.«
»Und die Eintrittskarten sind auch nicht ganz billig«, sagte Rosa Weichsler zu Frühauf, der ihr verschwiegen hatte, dass er die Karten gratis erhalten hatte.
»Hugo von Hofmannsthal lebte von 1874 bis 1929. Er …«
An dieser Stelle von Siegfried Hagens Rede begann jemand zu applaudieren, und immer mehr Zuschauer schlossen sich ihm an, bis der tosende Beifall den Intendanten am Weitersprechen hinderte. Er verbeugte sich und ging ab.
Wieder ertönte das Trompetensignal, dann begrüßte der Spielansager in altertümelndem Deutsch die noch immer unruhigen Zuschauer.
Mein Gott, dachte Rosa Weichsler, diese Aufführung würde ein Reinfall werden. Das alles war mehr als antiquiert.
Auch der nun folgende Auftritt von Gott und Tod konnte das Publikum nicht überzeugen. Die Privatgespräche im Schlossgraben gingen munter weiter.
Erst Roger Foltin, der als Jedermann aus dem hell erleuchteten Barockpavillon des Schlosses trat, brachte die Menschen zum Schweigen. Er war ein auffallend großer, athletischer Mann mit einer tiefen, verrauchten Stimme, die auch den vertracktesten Versen Hofmannsthals Bedeutung verlieh.
Was für ein Mann, dachte Rosa Weichsler und betrachtete abwechselnd den Schauspieler auf der Bühne und Herbert Frühauf an ihrer Seite. Der Chefinspektor wirkte geradezu kläglich gegen das Symbol der Männlichkeit auf der Bühne. Der Vergleich zwischen Edelobst und Mostbirne drängte sich auf. Jede Geste, jedes Wort war von viriler Energie durchflutet.
Wenn Roger – Rosa Weichsler verwendete in Gedanken den Vornamen des Stars – einen vernünftigen Text zu sprechen hätte, wäre ihr Glück perfekt. So trösteten sie Aussehen und Klang über holprige, dümmliche Verse hinweg.
Frühauf wiederum zeigte sich besonders aufmerksam, als Jedermanns Mutter auftauchte und ihren Sohn mahnte, doch endlich zu heiraten. Der Chefinspektor saß kerzengerade in seinem Sessel und hielt den Mund leicht geöffnet, als er von der Bühne folgende Worte vernahm:
Du bist ein stattlicher Mann
Und Fraulieb steht dir wohl an.
Und hat denn unser Erlöser nicht,
Der weiß, woran es uns gebricht,
Und alles auf dieser Erden kennt
Und alles zu unsrem Segen wendt,
Ein Sakrament nit eingesetzt
Wodurch was also dich ergetzt
Verwandelt wird und kehrt sich um
Aus Wollust in ein Heiligtum!
Willst stets in arger Zucht umtreiben
Und fremd die heilige Eh dir bleiben?
Die Darstellerin der Mutter war eindeutig Laienschauspielerin, im Gegensatz zu Roger Foltin, der den Text mit feiner Ironie begleitete und augenzwinkernd Kontakt zum Publikum suchte.
Wer kannte eine solche Mutter nicht, die den Sohn eigentlich für sich behalten wollte und doch immer wieder von Heirat sprach!
Rosa Weichsler dachte an Liliane Frühauf, die Mutter des Chefinspektors, die wohl der Grund war, warum der Mann bis heute als Single lebte. Eine kluge, robuste Frau. Zu klug für Rosas Verhältnisse. Sie schien sie und ihr Geheimnis längst durchschaut zu haben, obwohl sie dazu schwieg.
Rosa Weichsler wartete nun gespannt auf den Auftritt des zweiten großen Stars des Abends, auf Lou Marold als Buhlschaft, der durch zarte Musik und einen Hauch Parfüm angekündigt wurde, der sich über die Zuschauer legte.
Lou Marold, die auf die Bühne tanzte, hielt ein Windlicht in der Hand, das ihrem Gesicht und dem tiefen Dekolletee ein warmes Leuchten verlieh.
Was für eine schöne Frau! Und was für eine Persönlichkeit! Die rauchig-tiefe Stimme, die einen Hauch Vulgarität anklingen ließ, erinnerte an Marlene Dietrich. Man sehnte sich geradezu, die Schauspielerin auch singen zu hören, und tatsächlich stimmte sie ein Trinklied an, das im Originaltext des Stückes, den Rosa Weichsler in den ruhigeren Stunden in der Trafik gelesen hatte, nicht vorkam.
Roger Foltins tiefe Stimme mischte sich in den Gesang, die Buhlschaft hörte zu singen auf, die begleitende Musik verstummte, sodass nur mehr die hallende Stimme des Mannes zu hören war. Verzweifelt in ihrer Verlassenheit.
Auch die Buhlschaft bekam es mit der Angst zu tun, und sie fragte ihren Liebhaber:
Dein Blick ist starr und fürchterlich,
Für was willst du mich strafen, sprich!
Dieser antwortete:
Dich strafen, Süße, ist mir fern,
Lieb dich gleich meinem Augenstern,
Hab müssen denken von ungefähr
Wie deine Miene beschaffen wär,
Wenn dir auf eins zukäm die Kund,
Dass ich müsst sterben zu dieser Stund.
Die Buhlschaft versicherte ihm ewige Treue:
Um Christi Willen, was ficht dich an,
Mein Buhle traut, mein lieber Mann,
Ich bin bei dir, sieh doch auf mich,
Dein bin ich heut und ewiglich.
Ein abgrundtief schlechtes Stück, fand Rosa Weichsler. Der Ablauf der Handlung war voraussehbar bis zur letzten Minute. Jedermann erwies sich als hartherziger Mann, dem ausschließlich Geld, Genuss und oberflächliche Beziehungen wichtig waren. Er wurde anfangs in all seiner moralischen Kläglichkeit bloßgestellt, dann gemartert, um schließlich geläutert was zu tun? Das einzige Spannungsmoment für Rosa Weichsler in diesem Reimegeklapper – ach was – Geplapper – es war nicht mehr als das, in diesem Geplapper, erschöpfte sich in der Frage, ob Jedermann die religiöse Folter überlebte oder nicht. Und auch das wusste sie, seit sie das Stück gelesen hatte. Jedermann starb.
Ein Ende, das sie ungeduldig herbeisehnte, als sich ihre Stimmung nach schier endloser Qual beim Auftritt Gottes mit einem Schlag änderte.
Gott war erstens eine Frau und war als Teufel verkleidet, der einen weißen Umhang trug.
Einige Zeit und viele holpernde Verse später trat eben diese Schauspielerin als Teufel auf. Ein böser, verderbter Satan, der mit seinen tänzerischen Bewegungen, der gebrochenen Stimme und dem bleichen Gesicht auf Rosa Weichsler bedrohlich wirkte.
Sie ahnte, ja wusste mit einem Mal, dass an diesem Abend ein Unglück geschehen würde, dass ein Mensch ums Leben kommen würde, und zwar hier im Schlossgraben.
Sie schaute auf ihren