Fahnen und Tränen nahmen kein Ende. Helmut Lauschke
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Die Rote Armee steht nicht mehr weit vor Oder und Neiße. Der Stadtkommandant, ein hochgewachsener Oberstleutnant der Panzerdivision erklärt auf dem Kornmarkt im Beisein eines hageren, jungen Obersturmführers der Waffen-SS und einiger SA-Funktionäre mit den kurzen Breithälsen von der Tribüne unter der gehissten Fahne mit den gekreuzten Haken die Stadt Bautzen zur Festung. Die verbliebenen Hitlerjungen ab 15 Jahren und Männer bis 50 werden zum Volkssturm eingezogen und im Umgang mit Handgranaten, Handfeuerwaffen und im Hantieren von Panzerfäusten unterwiesen. Türen und Fenster werden barrikadiert und Panzersperren vor und in der Stadt errichtet. Dr. Kroll, der ebenfalls zum Volkssturm verpflichtet wird, schließt die Praxis und entlässt die stationären Patientinnen vorzeitig aus der Klinik. Beim Schauspieler Adam Kreutzfeld wie beim Königsberger Philosophieprofessor liegen hocherlesene Berufe brach, weil die Gesellschaft im Stand der Bildungsnot und Bildungsleere diese beiden Persönlichkeiten nicht zur Behandlung der geistig-interllektuellen Schwindsucht konsultiert und sie als Lehrer in voller Kapazität in Anspruch nimmt. Aus dem Versagen, es nicht getan zu haben, was von der materiellen Verschüttung und Erblindung vor der Bildungsnot mit der einhergehenden Gleichgültigkeit und Trägheit nicht zu trennen ist, ist der gesellschaftliche Verfall abzuleiten, dessen Negativfolgen in ihrem Ausmaß nicht abzuschätzen sind. Ein kleines Bastkörbchen aus Palmenblättern geflochten steht auf dem Tisch des Untersuchungsraumes, und eine alte Frau sitzt auf dem Schemel, als Dr. Ferdinand niedergeschlagen und gedankenverloren seinen Platz einnimmt. Er schiebt den Stapel von Röntgentüten auf dem Tisch zurück und das Körbchen zur Seite, als die Schwester sagte, dass das Körbchen ein Geschenk der Patientin sei, die sich für die gute Behandlung bedanken will. Im Lichte des Zwiespalts, ob er nach der verstümmelnden Operation der Armamputation ein schlechter Arzt sei, wie es die junge Frau denkt, die ihm als Arzt nichts Gutes mehr zutraut, ihm das Vertrauen entzogen hat und ihm nicht mehr ins Gesicht sieht, oder noch ein guter Arzt ist, Dr. Ferdinand dankt der alten Frau für die Freundlichkeit und das rührende Geschenk. Dabei ist er mit den Gedanken hin und her gerissen und nimmt das Körbchen gar nicht richtig wahr. Das Gute und das Schlechte, wenn er als Arzt mit dem Gewissen etwas getan hatte, das verquert sich in seinem Kopf, weil er es nicht trennen kann vom Guten und Bösen im Denken und in den Taten des Menschen. Er fragt sich, während die alte Frau ihm die rechte Hand noch entgegenhält, ob sein Bemühen und seine Fähigkeit genügen, ob sie ausreichen, um ein guter Arzt zu sein, dessen Aufgabe es ist, dem Menschen zu helfen und nicht ihm zu schaden.