Propaganda 4.0. Johannes Hillje

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mit 75 Abgeordneten aus zehn Ländern zur viertgrößten Fraktion. Es ist eine Fraktion, die das System von innen bekämpft. Marine Le Pen sagte im März 2019: »Die EU killt Europa«. Deshalb will sie die EU killen.

      Die ID-Abgeordneten verhalten sich bei Abstimmungen im Parlament seither wenig kohärent, die inhaltliche Zusammenarbeit bei EU-Richtlinien, Berichten und Stellungnahmen des Parlaments hat für sie kaum eine Bedeutung. Ihnen geht es in erster Linie darum, Entscheidungen zurück auf die nationale Ebene zu verlagern oder die EU ganz abzuschaffen. Die Form der Kooperation, die sich seit 2014 kontinuierlich zwischen den Rechtspopulisten intensiviert hat, ist auf die gegenseitige Stärkung in den Bereichen Strategie, Organisation und Ressourcen ausgelegt. Denn in ihren Heimatländern kämpfen sie in der öffentlichen Debatte allesamt den gleichen Kampf um Aufmerksamkeit und buhlen zum Teil um ähnliche Gruppen von Wählerinnen und Wähler. In diesen drei Bereichen lässt sich die neue, verstärkte Zusammenarbeit folgendermaßen skizzieren: Erstens bauen die rechtspopulistischen Parteien ein gemeinsames Ressourcen-Netzwerk auf. Als europäische Partei hat die ID auch eine Stiftung (Association pour l’Identité et Démocratie Fondation) gegründet. Europäische politische Stiftungen werden genau wie die Parteien im Wesentlichen vom Europäischen Parlament, also mit öffentlichen Geldern finanziert. Nach den Finanzberichten des Parlaments bekam die rechtspopulistische Stiftung im Gründungsjahr 2015 knapp 250.000 Euro aus diesem Topf. 2017 standen ihr schon über 1 Million Euro zur Verfügung.8 Was macht die Stiftung damit? Sie organisiert interne Kolloquien, nicht öffentliche Konferenzen, erstellt Publikationen und gibt Studien in Auftrag. Etwa zum Euro-Ausstieg oder zur Handelspolitik und den von ihnen abgelehnten EU-Handelsabkommen. In solchen Papieren liefern Experten die Argumentationen für ihre politische Programme, etwa warum Freihandel die Souveränität der europäischen Völker bedrohe.

      Zweitens unterstützen sie sich bei der strategischen Ausrichtung, zum Beispiel bei der politischen Themensetzung. Islamisierung, Masseneinwanderung, Ausländerkriminalität, die verderbliche politische Korrektheit, das verräterische Establishment, die »Lügenpresse« – diese Gedankenkonstrukte führen die Parteien sehr oft mit den gleichen Narrativen, Begriffen und Slogans in die Debatte ein. Was anderswo funktioniert, wird importiert. Von dem »Bevölkerungsaustausch«, den Alexander Gauland hinter den Migrationsbewegungen sieht, hat der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache schon 2013 gesprochen. Der AfD-Slogan »Hol’ dir dein Land zurück« ist die deutsche Übersetzung des Brexit-Claims »Take back control«. Die AfD hat im Übrigen bisher kaum etwas zur rechtspopulistischen Phraseologie in Europa beigetragen. Kopieren statt kreieren, scheint bei ihr zu gelten.

      Drittens hilft man sich in organisatorischen Aspekten, insbesondere im Medien- und Marketingbereich. Bei der FPÖ hat die AfD bereits das Videoformat »FPÖ TV« abgekupfert, das unter »AfD TV« bei Youtube läuft. Alice Weidel hat ihren persönlichen Sprecher ebenfalls bei der FPÖ rekrutiert: Daniel Tapp arbeitete zehn Jahre für die österreichischen Rechtpopulisten, bevor er im Bundestag Weidels Kommunikation übernahm. Auch im Agenturbereich gibt es Verknüpfungen unter den Rechtspopulisten. Die Parteien sind für Kampagnen und Veranstaltungen auf Dienstleister angewiesen. Diese zu finden ist nicht immer leicht: Der Berliner Landesvorsitzende der AfD, Georg Pazderski, räumte vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ein, dass er für die Gestaltung des Wahlkamps in Deutschland keine Werbeagentur gefunden hätte. Zu einem treuen Partner europäischer Rechtspopulisten ist die Schweizer Werbeagentur Goal AG von Alexander Segert geworden. Die Agentur ist mit Kampagnen für die Schweizer Volkspartei (SVP) wie »Masseneinwanderung stoppen« bekannt geworden und arbeitete unlängst auch für die ID und deren Stiftung sowie den Rassemblement National und die FPÖ. Außerdem griff die Agentur der AfD bei der Finanzierung der Konferenz »Europäische Visionen« mit 28.000 Euro unter die Arme. Damit nicht genug: Der »Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten e. V.«, ein Verein von überwiegend anonymen Unterstützern der AfD, produziert mit Millionenbeträgen Kampagnenmaterialien als Hilfestellung für die Partei: Für den Bundeswahlkampf 2017 eine »Wochenzeitung« namens »Deutschland-Kurier« (Auflage bis zu 600.000 Stück) sowie, unter anderem zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017, die Wahlkampfzeitung »Extrablatt«. Die Gestaltung übernahm die Goal AG. Deren Erfahrungen aus zahlreichen erfolgreichen SVP-Kampagnen gab es dabei inklusive. So entsteht aus dieser organisatorischen Vernetzung letztlich auch wieder ein strategischer Mehrwert.9

      Die Rechtspopulisten treffen sich mittlerweile nicht mehr nur zu dramatisch inszenierten Showveranstaltungen, sondern arbeiten auch immer enger strategisch und organisatorisch zusammen. Die AfD ist durch diesen Austauschprozess in vielfacher Hinsicht zu einer FPÖ im Zeitraffer geworden, vor allem mit Blick auf die Kommunikationsarbeit. Man lernt auch voneinander, um die Fehler der anderen zu vermeiden. Davon profitiert die AfD als jüngste der rechtspopulistischen Parteien am meisten. Sie ist Ziehsohn und Musterschüler des europäischen Rechtspopulismus zugleich. Dennoch unterscheiden sich diese Parteien nicht nur hinsichtlich ihrer Geschichte und Tradition, auch programmtisch gibt es Unterschiede, die sie mit der permanenten Beschwörung gemeinsamer Feindbilder kaschieren. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist jedoch der Wesenskern des rechten Populismus, der nun näher betrachtet werden soll.

       ES GIBT KEINEN GUTEN POPULISMUS

      Am Tag nach der niederländischen Parlamentswahl sagte Mark Rutte einen bemerkenswerten Satz: »Nach dem Brexit und den amerikanischen Wahlen haben die Niederlande ›Nein‹ zur falschen Art des Populismus« gesagt. Rutte implizierte, dass es neben der falschen auch eine »richtige« Art von Populismus gibt. Mit gutem Populismus will er die Wahl gewonnen haben. Der Christliberale verfolgte im Wahlkampf eine Appeasement-Strategie gegenüber Geert Wilders, der in den Umfragen monatelang vorne lag: Rutte verschärfte den Ton gegenüber Migranten, sprach in einer Zeitungsanzeige eine harte Mahnung aus: »Verhaltet euch normal oder haut ab.«10 Mit »gutem Populismus« meinte Rutte offenbar, dass »gute« Politiker die Inhalte und Rhetorik von »schlechten« Populisten übernehmen, um Wählerinnen und Wähler von ihnen zurückzuholen. Nur, kann diese Strategie gut sein? Kann es »positiven Populismus« überhaupt geben?

      Populismus ist zu einem Kaugummi-Begriff der politischen Debatte geworden. Weil heute alles irgendwie populistisch sein kann, ist der Begriff nahezu sinnentleert worden. Politikerinnen und Politiker werfen ihrer Konkurrenz Populismus vor, um sie moralisch, stilistisch und inhaltlich zu diskreditieren. Dabei wird Populismus häufig nur mit unzulässiger Vereinfachung oder mit dem Einsatz von Halb- oder Unwahrheiten gleichgesetzt. Als im Frühjahr 2017 der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz seine Partei für eine kurze Episode des Wahlkampfs auf fremd gewordene Umfragewerte katapultierte, klagte die CDU umgehend an: Schulz sei nur deshalb populär, weil er populistisch sei. Wolfgang Schäuble formulierte diesen Vorwurf, weil Schulz soziale Ungerechtigkeit – ein Thema, bei dem jeder und jede ohnehin eine eigene Wahrheit zu haben scheint – beschreibe, wo keine sei. Michael Fuchs, CDU-Wirtschaftspolitiker, diagnostizierte bei Schulz »Sozialpopulismus«, weil er horrende Gehälter in den Führungsetagen großer Unternehmen eindämmen wollte. Julia Klöckner wollte in Schulz einen Populisten sehen, weil dessen Aussagen zum Thema befristete Arbeitsverhältnisse einem Faktencheck nicht standgehalten hatten.

      Eine zweite, sehr ähnliche Denkart des Populismus findet sich regelmäßig im Journalismus. Populismus wird hierbei als Form der Politikvermittlung verstanden. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung schreibt in seinem Anfang 2017 veröffentlichten Buch »Gebrauchsanweisung für Populisten«:

       »Der Populismus ist nur eine Art und Weise, für Politik zu werben. Jeder gute Politiker muss auch Populist sein, weil er seine Ideen, seine Politik so darlegen, vortragen und vertreten muss, dass sie verstanden werden und begeistern können.«

      Mit der gleichen Herleitung wie Prantl resümierte SPIEGEL-Kolumnist Henrik Müller kurz nach der Nominierung von Schulz zum Kanzlerkandidaten: »Der SPD-Kanzlerkandidat ist gestartet als guter Populist. Als einer, der in der Lage ist, sich in die Sorgen der Normalbürger einzufühlen.«11

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