Propaganda 4.0. Johannes Hillje

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Propaganda 4.0 - Johannes Hillje

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die Bedrohung des stets aufrichtigen Volkes durch das notorisch korrupte Establishment und die von ihm instruierte Massenmigration. Laut dieser rechtspopulistischen Wirklichkeit leben wir unter einer »Kanzlerdiktatorin« statt unter einer demokratisch legitimierten Regierung. Das zentrale Projekt der »Volksverräter« ist der »Bevölkerungsaustausch« beziehungsweise die »Umvolkung« der »Biodeutschen«, welche durch die »Asylflut« erreicht werden soll, von der gelenkten »Lügenpresse« publizistisch legitimiert und von »grün-links versifften« »Gutmenschen« beklatscht wird. Diese »illegale Masseneinwanderung« erfüllt möglicherweise gar den Tatbestand des »Völkermordes« nach der entsprechenden UN-Konvention, in jedem Fall aber gelte es, das »Völkische« zu stärken und die »Männlichkeit« in Deutschland wiederzuentdecken, um »wehrhaft« zu werden. Weil die Zeit davonrenne, sei jetzt eine »Tat-Elite« gefragt, die dem Treiben der »Pseudo-Elite« ein Ende bereite. Diese wörtlichen Zitate stammen aus den Mündern von Alexander Gauland, Frauke Petry, Björn Höcke, Jörg Meuthen, Ralph Weber und Jörg Urban. Menschen, die allesamt Spitzenämter in der AfD oder mindestens Mandate für die Partei in Landtagen einnehmen bzw. einnahmen.

      Im Dunstkreis der AfD gesellen sich zu diesem Standardvokabular Begriffe aus dem sogenannten »vorpolitischen Raum«, also außerhalb von Parteien und politischen Institutionen. Dort operieren Initiativen wie Pegida, das Institut für Staatspolitik oder die Identitäre Bewegung, die mitunter vom Verfassungsschutz beobachtet werden, aber von AfD-Vertretern als »Vorfeldorganisation«, also natürliche Verbündete, gesehen werden.17 Ihre Symbole sind bei AfD-Kundgebungen regelmäßig präsent. Für die Wirkung auf die Zielgruppe spielt es keine große Rolle, ob ein AfD-Politiker in seiner Rede selbst die Regierung als »Volksverräter« beschimpft oder ein paar Burschen in der erste Reihe diese Parole anstimmen, wenn der Redner selbst nur den Namen Merkel ausspricht. Spitzenpersonal wie Alice Weidel oder Jörg Meuthen würden Begriffe wie »Volksverräter« – eine Ableitung von dem unter Hitler eingeführten Strafbestand des »Volksverrats« – nicht öffentlich sagen, aber sie bekunden gerne Verständnis für das Gefühl, was bei den Menschen dahinterstecke, die diesen Begriff rufen. Eine indirekte Legitimierung also. Im rechten Milieu gehören auch Begriffe wie »Invasoren«, »Rapefugees«, »Fickilanten« oder noch weitergehende Entmenschlichungen wie Tier-Begriffe zum Sprachgebrauch für geflüchtete Menschen. Zur Anwendung kommt diese Sprache auch vermehrt im digitalen Raum: Eine Analyse der Financial Times ergab für den Monat Mai 2016, dass im Durchschnitt 30 Begriffe aus der NS-Zeit in den Kommentaren unter einem einzigen Facebook-Beitrag der AfD von den Nutzenden verwendet wurden.18

      Im Jargon der Rechtspopulisten gibt es auffallend viele sprachliche Bilder, also Metaphern, die sofort bestimmte Assoziationen im menschlichen Gehirn hervorrufen. Besonders wirkungsvoll sind Metaphern, wenn sie ein übergeordnetes »Framing« aktivieren. Framing ist ein wichtiges Mittel der politischen Kommunikation, es ist Politik mit sprachlichen Mitteln. Dabei wird zu einem Sachverhalt ein ganz bestimmter Deutungsrahmen (»Frame«) mitgeliefert, eine Denkschablone, mittels derer die Fakten interpretiert werden sollen. Fakten haben nie eine Bedeutung für sich, sie müssen stets eingeordnet werden. Ein bekanntes Framing-Beispiel geht so: Ein Arzt kann gegenüber einem Patienten vor einer Operation von einer »neunzigprozentigen Überlebenschance« oder einem »zehnprozentigen Sterberisiko« sprechen. Der gleiche Fakt, aber zwei verschiedene Frames – Leben und Tod – die bei den betroffenen Patienten zwei unterschiedliche Entscheidungen befördern. Experimente haben nachgewiesen, dass Menschen bei der Betonung des Sterberisikos eher von der Operation absehen würden und bei Herausstellung der Überlebenschance zur Einwilligung neigen.

      Die Effektivität des politischen Framings besteht darin, dass es an Werte, persönliche Erfahrungen, Narrative, Ideologien, aber auch Emotionen andockt und dabei eine wertebezogene Interpretation von Fakten bewirkt. Und Menschen formen ihre Einstellungen in erster Linie auf Grundlage ihres Wertefundaments. Daher sind nicht Fakten der zentrale Vermittler von Politik, sondern deren sprachliche Verpackung. Über Hirnscans erforscht die Kognitionswissenschaft, was bei Menschen im Gehirn vorgeht, wenn sie bestimmte politische Botschaften lesen oder hören. Es gibt Frames, die sich im politischen Diskurs über Jahrzehnte hinweg festgesetzt und den Handlungsspielraum der Politik somit in eine bestimmte Richtung eingeschränkt haben. Die Steuerpolitik ist besonders gebeutelt von einem ganz bestimmten Framing. Steuern zu zahlen, empfinden wir als »Steuerlast«. Für Orte, wo man dieser »Belastung« entgehen kann, nutzen wir Metaphern von Sehnsuchtsorten wie »Steueroase« oder »Steuerparadies«. Menschen, die sich ihrem fairen Steuerbeitrag zur Gesellschaft entziehen, gestehen wir Flüchtlingsstatus zu, nennen sie »Steuerflüchtlinge«. Es ist nicht verwunderlich, dass bei einem solchen Framing niemand ein positives Verhältnis zu Steuern entwickeln wird. Dass wir mit unseren Beiträgen zentrale staatliche Aufgaben wie Bildung, soziale Absicherung oder die Polizei finanzieren und dafür eine Flatrate auf öffentliche Güter, etwa Straßenbeleuchtung, Fahrradwege oder Hochwasserschutz bekommen, dafür gibt es keinen Frame in den Debatten zur Steuerpolitik. Der Handlungsspielraum der Politik wird dadurch stark eingeschränkt, mit Steuererhöhungen lässt sich nichts gewinnen, obwohl wir alle von Steuern auf die eine oder andere Weise profitieren.

      Politisches Framing war bis weit in die 2000er-Jahre hinein vor allem ein akademisches Thema. Der amerikanische Soziologe Erving Goffman war mit seinen Frameanalysen in den 1970er-Jahren einer der Pioniere auf diesem Feld. Mittlerweile ist das Konzept hierzulande populärer geworden. Auch weil George Lakoff und Elisabeth Wehling, Linguistik-Forschende aus Berkeley, mit ihrem Buch »Auf leisen Sohlen ins Gehirn – Politische Sprache und ihre heimliche Macht«, das Thema 2008 einem breiteren, nicht akademischen Publikum zugänglich machten.19 Heute herrscht in allen Parteizentralen ein Bewusstsein für dieses mächtige Instrument. Zum Beispiel stellte die grüne Bundestagsfraktion nach der Bundestagswahl 2013 eine Framing-Expertin ein, die dafür sorgen soll, dass Gesetzestexte schon im frühen Entwurfsstadium nicht nur juristisch stimmig sind, sondern auch die richtigen Synapsen im Gehirn der Bürgerinnen und Bürger aktivieren. Das ist aber eher noch ein Einzelfall, fest verankert sind Framing-Strategien in der deutschen Politik längst nicht.

      Bei der AfD basiert das Framing maßgeblich auf den ideologisch begründeten Grundkonstellationen von »Elite gegen Volk« und »Migranten gegen Volk«. Bei der Flüchtlingsthematik setzt die AfD drei Frames regelmäßig ein. Den ersten Deutungsrahmen gab es schon in den Medien bevor die Partei geboren war: Migration als Naturkatastrophe. Einwanderung wird als »Welle« oder »Lawine« bezeichnet. Wer solche Wörter hört, dessen Gehirn aktiviert Assoziationen von Bedrohung, Zerstörung, Verwüstung. AfD-Vertreter setzen mit »Einwanderungs-Tsunami«, »menschliche Überflutung« oder »Asylflut« gerne einen drauf, um noch apokalyptischere Vorstellungen zu evozieren. Die notwendigen Gegenmaßnahmen ergeben sich bei einem solchen Framing wie von selbst, da man sie von anderen »hereinbrechenden« Naturphänomen kennt: Begrenzung, Eindämmung, Schließung, Abschottung. Eine Diskussion über die Ursachen schließt dieser Deutungsrahmen ganz automatisch aus, schließlich entziehen sich diese bei Naturgewalten oftmals dem menschlichen Einfluss.

      Der zweite Deutungsrahmen, den AfD-Politiker zu den Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre benutzen, liefert eine Interpretation dessen, wer in unser Land kommt. Laut Bundesregierung kamen 2015 890.000 Asylsuchende nach Deutschland. Wie oben geschildert, bekommt eine solche Zahl erst durch das Framing eine wirkliche Bedeutung. Ein solcher Fakt kann als Chance für die Gesellschaft geframt werden oder als Bedrohung. AfD-Politiker sprechen von »Messermigranten«, kriminalisieren sie somit pauschal und fragen dann anklagend: »Wer schützt uns vor den sogenannten Schutzsuchenden?«. Oder die AfD spricht von »einer Million junger Araber«, die gekommen sind. Die Attributionskette jung, männlich, muslimisch dockt an ein fremdes, orientalisches Wertesystem an, das mit dem westlichen nicht kompatibel zu sein scheint, mehr noch, das in Form des Islams gar eine Bedrohung darstellt. Mit der religiösen Kategorisierung wird den Männern auch ein bestimmtes Frauenbild zugeschrieben. Die Deutung, dass es sich bei den Ankömmlingen ausschließlich um eine Horde arabischer Männer handelt, legt einen Assoziierungskorridor zu Begriffen wie »Rapefugees« oder »Fickilanten« der rechten Straßenbewegungen frei. In Facebook-Gruppen, die sich als AfD-Unterstützungsgruppen und nicht in erster Linie als Pegida oder Identitäre verstehen, finden sich diese

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