Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online. Jürg Häusermann
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Die Perspektive überprüfen
In der Regel befindet sich die Kamera ungefähr auf Augenhöhe. In einzelnen Ratgebern heißt es, dass sie etwas tiefer positioniert sein müsse, andere empfehlen einen etwas höheren Standpunkt. Wer nach einem sicheren Tipp googelt, wird garantiert beide Meinungen finden. Die einzige gangbare Lösung ist: ausprobieren. Auf jeden Fall sollte man es nicht dabei bewenden lassen, das Laptop aufzuklappen, wo es sich gerade befindet, und ohne vorherige Kontrolle loszulegen.
Vorsicht bei der Präsentation aus zu großer Nähe! Dies gilt besonders für improvisierte Auftritte mit dem Handy. Man hält das Smartphone in der Hand und übernimmt den Ausschnitt, der bei einer Armlänge Abstand entsteht. Das Resultat im schlimmsten Fall: Eine Aufnahme aus größter Nähe von unten, auf der weder die Schultern noch der ganze Kopf Platz haben.
Damit entsteht leicht ein zu nahes, zu persönliches, zu intimes Porträt. Die Erfahrung zeigt, dass dies auch dann nicht automatisch behoben ist, wenn man das Smartphone in ein Regal stellt; denn das übliche Format (hochkant) verleitet auch zu einem stark beengenden Ausschnitt.
11 | Präsentation mit Smartphone aus größerer Entfernung.
12 | Präsentation mit Smartphone nah.
Deshalb ist es gerade bei der Verwendung des alltäglichen Kommunikationsmittels wichtig, sich rechtzeitig zu erinnern: Das wird ein öffentlicher Auftritt.
Durch Bewegung den Raum erlebbar machen
Zur Raumgestaltung gehört die Bewegung der Rednerin im Raum. Wenn sie zum Beispiel mittendrin aufsteht und ein Buch aus dem Regal nimmt, kann dies demonstrieren: Ich bin in meinem Zimmer und nutze die Dinge darin. Oder aber es demonstriert: Ich habe nicht genügend Platz, muss mich verrenken und weiß nicht, wie ich dabei in die Kamera schauen soll.
Derartige Bewegungen können in einem Präsenzvortrag auch klappen, wenn man sie improvisiert, aber online funktioniert es besser, wenn es einmal geprobt wurde. Die Probe zeigt, ob die Platzverhältnisse die Aktion überhaupt möglich machen, wie die Gegenstände platziert sein müssen, wie Kamera und Mikrofon gerichtet sein sollen usw.
Hier, wie in vielen anderen Fällen, erleichtert man sich die Aufgabe, wenn die Kamera von Anfang an weiter entfernt ist und einen größeren Ausschnitt zeigt. Das ergibt zwar nicht die befriedigendste Einstellung, aber es ermöglicht eine natürliche Bewegung vor der Kamera.
Requisiten einsetzen
Wer Requisiten benutzt, nutzt ganz selbstverständlich die dreidimensionale Qualität des Raums. Wenn der Held der Steine Thomas Panke ein neues Produkt präsentiert, nimmt er zuerst die Schachtel in die Hand und zeigt sie mit all ihren Besonderheiten.59 Das ergibt automatisch eine Bewegung zur Kamera hin, der Raum wird genutzt und ist dadurch erfahrbar.
In den Kapiteln zum Medieneinsatz werden wir nochmals darauf eingehen, dass die Verwendung von physischen Gegenständen die Körpersprache belebt. Eine Online-Präsentation wird dadurch, dass Dinge, die in die Hand genommen werden, viel dynamischer, als wenn dieselben Bildinformationen digital präsentiert werden.
Orte und Gegenstände einbeziehen und ansprechen
Alles, was im Bild zu sehen ist, kann früher oder später Fragen aufwerfen. Dies betrifft zunächst den Raum an sich. Wenn sich nicht von selbst erklärt, wo die Rede gehalten wird, sollte der Ort kurz angesprochen werden. Wenn die Kamera eine ungewöhnliche Einzelheit erfasst, sollte diese ebenfalls erwähnt werden. Die Micky-Maus-Figur auf dem Schreibtisch will vorgestellt werden oder sie sollte vor der Aufnahme verschwinden. Dies gilt auch für das schwere Gerät, das in der Ecke steht, weil es im nächsten Vortrag benutzt wird und nicht ständig bewegt werden kann. Wenn genau dies einmal gesagt ist, kann das Publikum es abhaken. Auch Medieneinrichtungen, etwa ein sichtbarer Bildschirm oder eine Wandtafel, wecken Erwartungen. Eigentlich haben auch sie im Bild nichts zu suchen, wenn sie nicht benutzt werden.
»einen Standort oder Sitzplatz wählen, der Bewegungsfreiheit erlaubt
»Requisiten verwenden
»auf Orte und Gegenstände im Raum verweisen
»eine Beziehung zwischen Thema und Raum herstellen
Nebengeräusche thematisieren
Wer einen Vortrag live hält oder aufnimmt, läuft immer Gefahr, dass Nebengeräusche die Aufmerksamkeit ablenken. In vielen Fälle, ist das für die Ohren der Person, die präsentiert, ein gewohnter Teil ihrer Umgebung. Sie hat sich längst daran gewöhnt wie die Dozentin der Online-Gynäkologie-Vorlesung, die kürzlich in unserer Wohnung lief. Die Rede wurde regelmäßig von einem kurzen, hohen Piepen untermalt. Zuerst piepte es nur alle halben Minuten, unangenehm, aber nicht zu schlimm. Wir dachten an ein Gerät, das im Hintergrund lief. Aber im Verlauf der anderthalbstündigen Vorlesung nahm die Frequenz zu. Schließlich war es ein Pieps alle 1,7 Sekunden, und es wurde deutlich: Das war ein Kanarienvogel, und nach der Lautstärke zu urteilen befand er sich im selben Büro wie die Dozentin. Diese hatte sich offenbar schon längst an diese tierische Untermalung ihres Alltags gewöhnt. Aber für Außenstehende, die die komplexen Zusammenhänge der Vorlesung verstehen wollten, ergab dies eine unnötige zusätzliche Konzentrationsübung. Zumindest wäre in einem solchen Fall eine Erklärung für die Störung zu erwarten – etwa so: „Ihr hört im Hintergrund meinen Hansi; ich kann nicht dozieren, ohne ihn in der Nähe zu wissen.“
Die Autodoktoren machen das auf ihrem YouTube-Kanal besser. Sie tun zu Beginn einen Blick durch das Tor hinaus in den Hof.60 Es geht eigentlich um die Reparatur eines Seat-Motors. Aber im Hof sind drei Männer am Reparieren des Teerbelags. Das kann laut werden, und deshalb wird vorsorglich daraufhingewiesen. Weil damit auch eine Kamerafahrt über zehn Meter verbunden ist, macht dieser kurze Exkurs die Werkstatt begeh- oder vielmehr erfahrbar, und es ist viel für die Raumkommunikation getan.
Zwischenfälle positiv nutzen
Genauso wie in der Präsenzveranstaltung gehören Zwischenfälle dazu. Sie müssen nur, genauso wie ein Gesprächsgast, akzeptiert und eingebaut werden, indem man sie anspricht. Dass die vierjährige Tochter hereinspaziert und die Aufnahme mit einer Frage an die Mama bereichert, die gerade ihren Vortrag hält, kann nichts weiter als eine willkommene Abwechslung sein. Bedingung ist aber, dass der familiäre Kontext, in dem die Präsentation stattfindet, vorher eingeführt wurde.
Eine Videokonferenz einer britischen Parlamentskommission wurde zum viralen Hit, als der schottische Abgeordnete John Nicolson am Reden war und sich