Völkerrecht. Bernhard Kempen

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Völkerrecht - Bernhard  Kempen Grundbegriffe des Rechts

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der Verhältnismäßigkeit

      Beim Ausgleich zwischen verschiedenen von der Konvention geschützten Rechten, aber auch bei der Beantwortung der Frage, welche Einschränkung von Rechten des Einzelnen „notwendig in einer demokratischen Gesellschaft“ ist, kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine zentrale Rolle zu. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs kann sich hier zum Teil unmittelbar auf den Wortlaut der in der Konvention zugelassenen Einschränkungen der Rechte (z. B. Art. 8 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2) berufen, hat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aber auch bei der Auslegung der anderen Konventionsgarantien, etwa beim Recht auf Zugang zum Gericht oder beim Diskriminierungsverbot, angewendet. Damit wird ermöglicht, mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls einen gerechten Ausgleich zu erreichen.

      Die Entscheidungen des EGMR zur EMRK sind völkerrechtlich verpflichtend; derjenige Staat, gegen den ein Urteil gerichtet ist, hat, wird eine Konventionsverletzung festgestellt, eine eventuell festgesetzte Kompensationszahlung zu leisten und, soweit möglich, mit individuellen Maßnahmen (z. B. Wiederaufnahme eines Gerichtsverfahrens) der festgestellten Menschenrechtsverletzung abzuhelfen. Darüber hinaus kann es notwendig sein, die zugrunde liegenden nationalen Gesetze oder die Rechtspraxis zu ändern. Bei systemischen Menschenrechtsverletzungen kann der Gerichtshof in Pilotverfahren einen bestimmten Zeitrahmen zur Behebung des Problems vorgeben. Der Ministerrat überwacht die Umsetzung der Urteile des Gerichtshofs.

      E › Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Angelika Nußberger)

       I. Gründung, Ausarbeitung und Änderung der Rechtsgrundlagen

       1.Vorbereitungsphase vom Inkrafttreten der EMRK bis zum Arbeitsbeginn des Gerichtshofs

       2.Koexistenz von Gerichtshof und Kommission (1959 – 1998)

       3.Wirken als ständiger Gerichtshof (seit 1998)

       4.Reformperspektiven

       II. Organisation und Verfahrensordnung

       1.Strukturelle Einbindung in den Europarat

       2.Zusammensetzung und Arbeitsweise des Gerichtshofs

       3.Individualbeschwerdeverfahren

       4.Staatenbeschwerdeverfahren

       III. Bedeutung der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Weiterentwicklung des Völkerrechts

      Lit.:

      E. Bates, The Evolution of the European Convention on Human Rights: From its Inception to the Creation of a Permanent Court of Human Rights, 2011; C. Grabenwarter/K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 2012; A. Nußberger, Europäische Menschenrechtskonvention, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Band X (Deutschland in der Staatengemeinschaft), 3. Aufl., 2012, 135.

      Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist der weltweit einzige internationale Gerichtshof, der auf der Grundlage eines → völkerrechtlichen Vertrags bindende Urteile in sowohl unmittelbar von → Individuen gegen → Staaten als auch von Staaten gegen Staaten gerichteten Beschwerden, in denen Menschenrechtsverletzungen gerügt werden, treffen kann. Er ist organisatorisch in den Europarat eingebunden und damit für die 47 Mitgliedstaaten des Europarats zuständig. Seiner Jurisdiktion sind gegenwärtig etwa 800 Millionen Menschen unterworfen.

I. Gründung, Ausarbeitung und Änderung der Rechtsgrundlagen

      Mit der Ausarbeitung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (→ EMRK), die 1950 von 13 Mitgliedstaaten des 1949 neu gegründeten Europarats unterzeichnet wurde und die nach Ratifikation von zehn Staaten am 3.9.1953 in Kraft trat, war die Errichtung sowohl einer Europäischen Kommission für Menschenrechte als auch eines Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorgegeben. Während die Kommission von den der Jurisdiktion der Mitgliedstaaten unterstehenden Bürgern unmittelbar angerufen werden konnte, war der Zugang zum Gerichtshof selbst nach der ursprünglichen Konzeption beschränkt. Voraussetzung für eine gerichtliche Entscheidung war eine entsprechende allgemeine Unterwerfungserklärung des betroffenen Staates unter das Individualbeschwerdeverfahren sowie für den jeweiligen konkreten Fall eine positive Entscheidung der Kommission über die Zulässigkeit der Beschwerde und eine Verweisungsentscheidung entweder der Kommission oder des Staates, gegen den die Beschwerde gerichtet war.

      Nachdem Island als achter Staat am 3.9.1958 die Unterwerfungserklärung zum Individualbeschwerdeverfahren abgegeben hatte, waren die Voraussetzungen für die Errichtung des Gerichtshofs gegeben. Nach der Wahl der Richter durch die Beratende Versammlung des Europarats im Januar 1959 fand die erste Sitzung vom 23. – 28.2.1959 statt. Der erste Fall, bei dem der Gerichtshof am 1.7.1961 in der Sache entschied, war Lawless v. Irland.

      In der Zeit von 1959 bis 1998 beruhte das konventionsrechtliche Kontrollsystem auf drei Pfeilern: der Kommission, dem Gerichtshof und dem Ministerrat und war damit vergleichsweise komplex. In den Anfangsjahren wurde dem neuen System zum Schutz der Menschenrechte nur relativ wenig öffentliche Aufmerksamkeit zuteil. In den späten 1970er Jahren trat der Gerichtshof dann aber mit mehreren als spektakulär angesehenen Urteilen, etwa zur Unmenschlichkeit der Prügelstrafe (Tyrer v. Großbritannien), zur konventionswidrigen Ungleichbehandlung von nicht-ehelichen Kindern (Marckx v. Belgien) und zum Zugang auch Mittelloser zum Gericht (Airey v. Irland) aus seinem Schattendasein.

      Mit dem Beitritt auch der ehemals

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