Korpusgestützte Textanalyse. Manfred Stede
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(2.14) Marianne verteilte Flugblätter für die Grünen. Sebastian organisierte die lokalen Sonntagsstammtische für die Partei.
Die Zweckmäßigkeit der Unterscheidung zwischen lokaler und globaler Kohärenz (die wie gesehen u.a. von Bussmann, aber nicht von allen Autoren getroffen wird) lässt sich am weiter oben gezeigten Beispieltext 2.9 gut erkennen: Benachbarte Sätze sind dort nicht allein „pseudo-kohäsiv“ verbunden, sondern in der Tat auch inhaltlich verknüpfbar – die lokale Kohärenz ist jeweils gewährleistet. Das Manko des Textes ist die mangelnde globale KohärenzKohärenzglobal, denn der Text reiht Aussage an Aussage, ohne aber letzten Endes zu einem klaren Ziel zu führen. Globale Kohärenz werden wir im nächsten Kapitel zum Begriff der Textfunktion in Beziehung setzen.
Für die lokale Kohärenz stellt neben der besprochenen Rolle der Kohärenzrelation die KoreferenzKoreferenz die wesentliche zweite Säule dar. Dass benachbarte Sätze nicht abrupt das Thema wechseln, sondern dass zumindest ein Gegenstand wieder aufgenommen wird (vgl. die Kohäsionsmerkmale Rekurrenz, Substitution, Pro-Form, Ellipse), trägt zentral zur Wahrnehmung des Textes als miteinander verwobenes Ganzes bei. Hier sind Kohäsion und Kohärenz also eng aufeinander bezogen: Koreferenz (als Baustein der Kohärenz) kann ohne Kohäsion nicht bestehen. Dass dies für die Kohärenzrelation (als den anderen Baustein) nicht gilt, haben einige unserer oben gezeigten Beispiele illustriert; die Relation kann von der Leserin auch dann erschlossen werden, wenn sie nicht durch einen Konnektor wie deshalb oder danach explizit angezeigt wird.
2.4 TextualitätTextualität
2.4.1 Kohäsion und Kohärenz im Zusammenhang
Den oben gezeigten, recht „künstlichen“ Beispielen kohäsiver, aber nicht kohärenter Texte zum Trotz: In der Praxis ist die große Mehrzahl der Texte sowohl kohäsiv als auch kohärent, schon allein aufgrund des Kohärenzkriteriums der Beibehaltung von DiskursgegenständenDiskursgegenstand, die dementsprechend auch wiederholt im Text sprachlich bezeichnet werden und somit Kohäsion erzeugen. Wir betrachten daher die Kohäsion (an der Textoberfläche sichtbare Verknüpfung) allgemein als die linguistische Reflexion von Kohärenz – der unter der Textoberfläche liegenden, vom Rezipienten zu rekonstruierenden, inhaltlichen Verknüpfung. Damit ergibt sich als wichtiger Unterschied zwischen beiden, dass die Wahrnehmung der Kohärenz das (zwangsläufig subjektive) Interpretieren des Textes voraussetzt, während die Kohäsion als Eigenschaft des Textes von allen Sprachbenutzern gleichermaßen beobachtet werden kann, auch wenn sie sich nicht wirklich mit dem Textinhalt auseinandersetzen.
Die Verbindung zwischen Kohäsion und Kohärenz ist eng, aber nicht zwingend, denn Texte können durchaus auch kohärent sein, ohne dabei auf kohäsive Mittel zurückzugreifen. Dafür nennt Redeker (1990) diese zwei kurzen Beispiele:
(2.15) Sally is crying. Nanny has thrown out the time-worn teddy bear. The holes were getting too large to fix.
(2.16) Take those dirty shoes off. There‘s a brand-new carpet in the hallway. Mom‘s ALREADY mad at me.
Zu 2.15 ist anzumerken, dass die definiten NPs the teddy bear und insbesondere the holes durchaus als kohäsionsstiftend betrachtet werden können (bei the holes handelt es sich um einen ‚indirekten Verweis‘1 auf teddy bear); dennoch ist nicht zu leugnen, dass beide Texte sicherlich nur minimal kohäsiv, dabei aber durchaus kohärent sind – wir haben bei der Lektüre keine Schwierigkeiten, naheliegende inhaltliche Verknüpfungen zwischen den Sätzen zu konstruieren. Die Leichtigkeit dieser Aufgabe hängt dabei durchaus von der jeweiligen Kohärenzrelation ab. Eine Kausalrelation kann, wie gesehen, per Weltwissen oft problemlos inferiert, also erschlossen, werden. Für die Relation Concession hingegen scheint die explizite Signalisierung durch einen KonnektorKonnektor (also durch ein kohäsionsstiftendes Mittel) schlicht unumgänglich:2
(2.17) Die Sonne schien uns schon seit Stunden bei der Arbeit auf den Kopf. Dennoch verging uns die gute Laune nicht.
(2.18) Die Sonne schien uns schon seit Stunden bei der Arbeit auf den Kopf. Die gute Laune verging uns nicht.
Die unverknüpfte Satzfolge (die sog. ‚asyndetische VerknüpfungAsyndetische Verknüpfung‘) in 2.18 wird mit hoher Wahrscheinlichkeit völlig anders interpretiert als 2.17. Weil die Konzessionsbeziehung eine recht komplexe ist, benötigen wir als Leser ein explizites sprachliches Signal, um sie zwischen zwei Aussagen herzustellen. Für Beispiel 2.17 lässt sich der Zusammenhang so umschreiben: „Eigentlich gilt, wem die Sonne bei der Arbeit auf den Kopf scheint, der wird schlecht gelaunt; in der aktuellen Situation gilt die Regel aber ausnahmsweise nicht; wir sind bei Arbeit und Sonnenschein gut gelaunt.“
Kohäsion und Kohärenz stellen die wichtigsten Charakteristika von Texten dar, doch sie sind nicht die einzigen.
2.4.2 Merkmale der Textualität
Vielfach wird bei der Charakterisierung der Merkmale von Texten auf die Liste von de Beaugrande u. Dressler (1981) zurückgegriffen. Zu den oben besprochenen textinternen Merkmalen Kohäsion und Kohärenz treten bei diesen Autoren noch fünf textexterne Merkmale hinzu, die auf die Kommunikationssituation bezogen sind.
Textexterne Textualitätsmerkmale nach de Beaugrande/Dressler
IntentionalitätIntentionalität: Der Textproduzent hat den Text nicht zufällig, sondern mit einer Absicht verfasst, er möchte eine bestimmte Wirkung erzielen.
AkzeptabilitätAkzeptabilität: Der Text ist so beschaffen, dass die Rezipienten ihn auch als solchen einstufen und verstehen können. Mit anderen Worten, der Produzent hat seine Intention in einer Weise umgesetzt, die auf die Rezipienten und ihre Gewohnheiten zugeschnitten ist – die Intention ist ohne große Mühe rekonstruierbar.
InformativitätInformativität: Der Text ist für den Rezipienten nicht nur formal akzeptabel, sondern auch inhaltlich nicht „leer“; er teilt etwas mit. Dies bedeutet einerseits, dass der Rezipient neue Information vorfindet (die aber in „alte“ Information eingebettet ist, um Anknüpfungspunkte zu schaffen), und andererseits eine angemessene Mischung aus „erwarteter“ und „unerwarteter“ Information. Wir können Informativität in einen Gegensatz zum Kohäsionsmittel ‚RekurrenzRekurrenz‘ stellen: Ein Text kann sehr kohäsiv sein, indem er unablässig dasselbe wiederholt, dabei vielleicht immer etwas reformuliert – dann mangelt es jedoch an Informativität.
SituationalitätSituationalität: Der Text ist für die jeweils vorliegende Kommunikationssituation angemessen. Er trifft die konventionell übliche Stilebene (u.a. den Grad der Höflichkeit) und deckt den in der Situation bestehenden Informationsbedarf.
IntertextualitätIntertextualität: Der Text steht im Zusammenhang mit anderen Texten, etwa mit Texten der gleichen Sorte (siehe Kap. 3)