Heimweh Natur. Andreas von Arx
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Gewitter vom Feinsten
Gerade in den Bergen zeigte sich die Naturgewalt von ihrer kräftigsten Seite. Ein spezielles Highlight waren dabei Gewitter, die mich als Kind richtig aufgeladen haben. Während andere Familien sich bei einem Gewitter ins Haus zurückzogen, haben meine Eltern Stühle genommen und das Schauspiel am Himmel mit uns Kindern draußen bestaunt. Das Zählen der Sekunden zwischen Blitz und Donner zur Bestimmung der Entfernung des Gewitters wurde zum Familienspiel. Diese Helligkeit des Lichtes und die Wucht des Knalls elektrisierten jede Zelle meines Körpers. So heftig, dass ich mich noch heute an mehrere dieser Erlebnisse aus meiner Kindheit gut erinnern kann.
Entstand während des Wanderns ein Gewitter, verging der Spaß. Eispickel weglegen und nicht unter einem Baum stehen ergab ja Sinn – doch konnte ich mir nicht vorstellen, dass man dem unkontrollierten Einschlag eines Blitzes irgendwie bewusst ausweichen konnte. Nicht nur wegen des Wetters lag Spannung in der Luft; in der Familie gab es bei diesem Wetter manchmal Unklarheit wegen der Sicherheit. Das Wandern wurde dann stillschweigend mit raschen Schritten fortgeführt. Da solche Veränderungen nicht nur Temperaturschwankungen, sondern auch Hagel mit sich brachten, war immer für Abwechslung gesorgt.
Sehr eindrücklich waren für mich die Wetterwechsel. Der Regen zog mit den Wolken weiter und das Sonnenlicht strahlte in die feuchte Wetterwand hinein. Wenn sich dann ein Regenbogen zeigte, waren Nässe und Kälte schnell vergessen. Die Farben und die schönen Ringe strahlten wie ein Torbogen über das Land, der mit dem Regen weiterzog. Was sich die Natur hier wieder ausdachte! Wie mit einem großen Pinsel voller Wasserfarbe wurde das Wolkengrau mit allen Tönen des Lichtspektrums überstrichen. Jeder Bogen war einmalig; mal durchgehend oder nur bis zur Hälfte, mal mit einem Doppelbogen oder nur mit vereinzelten Farben. Ein Wunder, das mich jedes Mal zum Staunen brachte.
Über Stock und Stein
Bereits als kleiner Junge wurde ich von meinem Umfeld mit Steinen beschenkt. Zu dieser Zeit hatte mich ein geschliffener Achat sehr verzaubert. Vermutlich war er der Auslöser meiner Begeisterung für Steine und Kristalle. Wo Freunde Abzeichen, Fanartikel oder andere künstliche Dinge sammelten, war ich auf der Suche nach einzigartigen Steinen. Mein größter Ansporn war jedoch nicht die Sammlung, sondern das Finden. Ich verbrachte Stunden, wenn nicht sogar Tage in Bachbetten, Felsgrotten oder Geröllhalden. Immer auf der Suche nach einem einmaligen Stück Stein.
Es ging mir nicht um den größten Kristall oder um die vollständigste Versteinerung; es waren mehr die Einzigartigkeit der Fundstücke und ihr Entdecken, was sie auszeichnete. Meine Eltern schenkten mir in frühen Jahren einen Strahlerhammer und durften dann im Schneckentempo mit mir jeden Stein beim Aufstieg umdrehen und die Fundstücke im Rucksack herumtragen. Meine Strahlerzeit wurde jedoch von ihnen beim gemeinsamen Wandern immer stärker eingeschränkt, damit wir doch noch einige Meter in Richtung Gipfel vorwärtskamen. Das war natürlich nicht in meinem Sinne und so begab ich mich oft allein in steiniges Gelände, um diese Steine zu entdecken. In dieser Zeit träumte ich immer mehr von Abenteuern in abgelegenen Gebieten, unterwegs mit einem Geländefahrzeug mit Seilwinde und Schaufel. Ich wollte unbekannte Orte befahren und die Natur in den abgelegensten Gebieten entdecken. Die Seilwinde wurde dabei zum Symbol für dieses Abenteuer, deshalb mussten meine Spielautos diese ebenfalls vorweisen können.
Die weiße Jahreszeit
Im Winter war der Schnee das Hauptelement unserer Familie. Alte Fotos zeigen bereits meine Großmutter in jungen Jahren, wie sie mit Skiern und Fellen unterwegs war – und dies noch zu Zeiten, in denen Rock und Kopftuch anstelle von Helm und Hightechkleidern Mode waren. Schneeketten an Autoreifen zu montieren gehörte bei uns zur Routine im Winter wie bei anderen das Anziehen von Handschuhen. Das Wegrutschen der Hinterräder im Schnee hatte für uns nichts mit Gefahr zu tun, sondern gehörte dazu, um die Kurven der Bergstraßen schwungvoll zu bezwingen. Genauso ging es beim Skifahren weiter: Eine Piste war Luxus und man nahm sie mit Dankbarkeit an. Mit den Skiern durch tiefen Schnee zu stapfen gehörte ebenso zum Alltag. Oft war der Muskelkater in den Armen größer als in den Beinen, da es nur mit der Schubkraft der Stöcke weiterging.
Bereits in frühen Jahren meiner Kindheit wurden schlechte Sichtverhältnisse im Skigebiet als Vorteil bewertet, da wir die Piste dann für uns allein hatten. Wenn ich heute Skifahrer höre, die sich über den kalten Wind beschweren, muss ich oft schmunzeln, denn das Gefühl von Frostbeulen und hart gefrorenen Wollhandschuhen oder Socken hat sich mir tief eingeprägt.
Zur Bewegung in freier Natur gehörte der unübliche Standort der Verpflegung. Ich möchte nicht behaupten, dass es nie vorkam, dass wir bei Schnee in einem Berghaus saßen; doch kann ich mich an kein Mittagessen in einem Bergrestaurant im Skigebiet erinnern. Die erlebten Momente in der Natur hingegen sind mir sehr präsent. Es war für uns ganz normal, dass die Familienkarawane die Piste verließ und durch den Pulverschnee oder Brucharst eine Spur zu einem Felsband stampfte. Schöne Aussicht, Sonnenplatz und windstill – das waren die Kriterien meiner Eltern. Dann wurde versucht, im Hang irgendwie eine gerade Bank aus Skiern zu basteln, auf die man sich, gepolstert mit den kalten Handschuhen, setzte. Selbst gedörrte Früchte, Nüsse sowie Brot, Landjäger und Schmelzkäse bot die Speisekarte aus dem großen Rucksack an. Manchmal gab es auch eine Grapefruit, wobei jegliche Berührung mit dem Saft bereits ein Gefühl von Gefrierbrand auslöste. Die Schokolade als Nachspeise hat dabei nie gefehlt. An Pommes frites oder Spaghetti mit Tomatensauce zu denken, war hier fehl am Platz. Einzig der warme Tee vermochte etwas Luxus herbeizuzaubern. Der Standort für unsere Pause und die Abgeschiedenheit waren von höherer Wichtigkeit.
Ich vermute, dass es zur Zeit meiner Großeltern noch gar keine präparierten Skipisten gab. Auf diese Weise wurde diese Prägung an uns weitergegeben. Abseits der Piste hieß für uns nicht Gefahr, sondern Gewichtsverlagerung nach hinten, damit die Skispitzen irgendwie aus dem Schnee schauten. Aus meiner heutigen Betrachtung scheint mir frischer Pulverschnee neben der Piste auf sicherem Gelände immer noch sicherer als die hartgepressten und vereisten Pisten. Die Geschwindigkeit ist angepasst; der Untergrund dämpft jeden heftigen Schlag; die Gefahr einer Kollision mit einem anderen Skifahrer ist minimal. Wer jemals wie wir als Kinder Stunden damit verbracht hat, Skier nach einem Purzelbaum irgendwo im Schnee zu suchen, fährt bedachter.
Spuren im Schnee
Unser schöner Wohnort am Murtensee hatte einen kleinen Makel: Im Winter hing wegen der Feuchtigkeit des Sees und der abgesunkenen kalten Luft der Nebel über dem Seeland. Die Sonntagsspaziergänge wurden mystisch und wir haben nur noch vereinzelt Menschen im Wald angetroffen. Durch das düstere Licht fühlte sich die Luft noch kälter an, als sie bereits war. Wenn es möglich war, fuhren meine Eltern über die Nebelgrenze, um dort das Sonnenlicht zu ergattern. So wie sich zuvor der Wald als Spielwiese angeboten hatte, war es nun der Waldrand. Er wurde von dem winterlichen Licht der tief stehenden Sonne bestrahlt, was ein Glitzern des Frostes und Schnees auf den kargen Feldern erzeugte. Die Feuchtigkeit des absinkenden Nebels hüllte kurz vor dessen Auflösen die Äste und Zweige in einen weißen märchenhaften Eiszauber. Sie sahen aus wie das zarte Wurzelwerk eines Keimlings, der die weißen dünnen Wurzeln in den dunkelblauen Himmel empor wachsen ließ.
In dieser Phase meiner Kindheit hatte mir mein Vater angeboten, an den Sonntagen mit ihm auf Skiern die Berge zu besteigen. Es war die Zeit, als meine älteren Schwestern die Familienausflüge nicht mehr so interessant fanden und meine Zwillingsschwester sich lieber anderweitig beschäftigte. Ich war nicht immer hellauf begeistert, sonntags schon um 5 Uhr aufzustehen,