#4 MondZauber: VERGELTUNG. Mari März

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#4 MondZauber: VERGELTUNG - Mari März MondZauber

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Gratia Magicis müssen der irdischen Lebensweise entsagen, bevor sie dieses höchste Amt antreten. Sie müssen loyal gegenüber allen magischen Wesen sein, weshalb es ihnen untersagt ist, in Kontakt zu ihrer Familie oder Freunden zu treten«, flüsterte Miranda dicht an Lyras Ohr. »Dass ich sie in all den Jahren auf dem Laufenden gehalten habe, verstößt im Grunde schon gegen die strengen Auflagen des Rates. Aber wir werden einen Weg finden. Vertrau mir!«

      Lyra wischte sich energisch über das immer noch blasse Gesicht. Wie sehr sie es hasste, wenn die Wahrheit ätzend war und darüber hinaus nur bruchstückhaft an sie weitergegeben wurde. Aber angesichts dieser Tatsache, dass ihre Großeltern quasi gezwungen waren, im kontaktlosen Nirwana zu leben, musste sie sich wohl mit jener E-Mail zufriedengeben und ihrer Tante vertrauen, die für sie das geltende Recht bereits übertrat. Andererseits war das mit dem Vertrauen so eine Sache. Jahrelang wurde sie von ihrer Mutter belogen, auch wenn Lyra damit allmählich ihren Frieden machte. Aber wie sollte sie Miranda vertrauen, die siebzehn Jahre lang lediglich ihre Hauskatze Merci gewesen war und offiziell als tot gegolten hatte?

      »Das ist doch alles Scheiße!«, murmelte sie resigniert. »Silvester ebenfalls. Ich hasse Silvester und all die aufgesetzte Fröhlichkeit. Wir haben keinen verdammten Grund zu feiern!«

      »Doch, Kätzchen, den haben wir«, entgegnete Miranda und drückte sie fest an sich. »Du bist am Leben, wir sind am Leben. Also lass uns an Deck gehen, bevor die Jungs da draußen alle Böller verschossen haben.«

      Mürrisch ließ sich Lyra von ihrer Tante aus der Kabine ziehen. Die Rabenbrüder folgten ihnen, verschwanden dann aber in der Nachbarkabine.

      »Hey, ihr müsst mitkommen! Einer für alle, alle für einen!«, rief Lyra den Zwillingen hinterher, die mit mehreren Sektflaschen bewaffnet zurück auf den Gang traten. »Klar kommen wir mit, aber kein Silvester ohne Sprudelwasser.« Mit jeweils einer Flasche in jeder Hand schritten Arnar und Dagur voran und stimmten ein Lied an, das Lyra vage bekannt vorkam.

      »Soon may the Wellerman come, to bring us sugar and tea and rum. One day, when the tonguin’ is done. We’ll take our leave and go …«, sangen die Rabenbrüder aus voller Kehle und stampften den Takt mit ihren kleinen Füßen, als sie die Treppen zum Deck hinaufpolterten.

      »Das ist ein Seemannslied, der Wellerman-Song. Hundertsechzig Jahre alt, aber irgendwie nicht totzukriegen«, kommentierte Miranda und half Lyra, deren Knie sich immer noch wie Pudding anfühlten.

      Die frische Luft tat gut, die Stimmung an Deck verscheuchte Lyras trübsinnige Gedanken und auch ihre körperliche Schwäche trat in den Hintergrund, als die Männer der Besatzung in den Shanty-Song einstimmten. Miranda hielt Lyra ihr Handy hin, wo sie den Text fand. Die Männer stampften den Takt, der so ansteckend war, dass sie nicht anders konnte, als mitzusingen.

      There once was a ship that put to sea

      The name of that ship was the Billy o’ Tea

      The winds blew up, her bow dipped down

      Blow, me bully boys, blow.

      Soon may the Wellerman come

      To bring us sugar and tea and rum

      One day, when the tonguin’ is done

      We’ll take our leave and go.

      She had not been two weeks from shore

      When down on her a right whale bore

      The captain called all hands and swore

      He’d take that whale in tow.

      Soon may the Wellerman come

      To bring us sugar and tea and rum

      One day, when the tonguin’ is done

      We’ll take our leave and go.

      Raketen stiegen in den mondlosen Himmel, ein Lichtermeer ergoss sich über dem Ozean. Lyra ließ sich von der ausgelassenen Stimmung mitreißen, sang aus voller Kehle und tanzte erst mit Miranda, dann mit den Rabenbrüdern und schließlich mit sämtlichen an Deck befindlichen Seemännern, von denen einige gar nicht so grausig aussahen wie in ihrer Vorstellung eines Kapitän Ahab aus Moby Dick. Weitere Lieder wurden angestimmt, Whiskey in the Jar, natürlich die gute alte Molly Malone und der Whiskey floss, als die Sektflaschen leer waren. Genau wie zahllose Tränen flossen. Tränen des Glücks und des Trotzes. Noch nie hatte Lyra ein Silvester wie dieses erlebt, aber sie war auch noch nie von einer Göttertochter gebissen worden.

      Alive, alive, oh …

      Ja, sie war am Leben. Anders als Molly Malone, aber der Geist des Überlebenswillens klang über die wogende See wie ein Omen.

      Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel über die blauen Weiten des Ozeans. Die Freiheit war nirgendwo intensiver spürbar als auf hoher See. Lyra genoss den frischen Wind und die Stille an Deck, welche nur vom lauten Dröhnen des Schiffsmotors begleitet wurde. Ein neuer Tag hatte begonnen, ein neues Jahr. Was es wohl bringen würde?

      Im Gegensatz zum letzten Silvestermorgen fühlte Lyra heute weniger den sonst so vertrauten Neujahrsblues. War es tatsächlich erst ein Jahr her, dass sie sich den Schädel kahl rasiert hatte, um ihren Eltern zu zeigen, dass sie anders war?

      Jetzt lachte sie über ihren aus heutiger Sicht völlig absurden Versuch, mit Äußerlichkeiten ihre Individualität zu manifestieren. Aber das gehörte zur Pubertät dazu, genau wie zum Erwachsenwerden die Erkenntnis, dass Klamotten noch keinen Charakter machten. Solche Äußerlichkeiten dienten immer einem bestimmten Zweck, das wusste Lyra jetzt. Ihre schwarzen Schlabber-Outfits sollten ein Schutz sein, den sie irgendwann nicht mehr brauchte. Tiefe Dekolletés und hohe Schuhe polierten das eigene Selbstbewusstsein auf und konnten darüber hinaus für so manche Überzeugung oder Ablenkung dienlich sein. Und dann gab es eben noch praktische Kleidung. Die Seemänner trugen dunkle Overalls, auf denen nicht jeder Schmierölfleck gleich zu sehen war. Keiner von ihnen würde auf die Idee kommen, im weißen Leinenanzug oder rosa Tutu den Maschinenraum des Frachtschiffs zu betreten. Kurzum: Nicht jedes T-Shirt und auch nicht jede Glatze kam einem Statement gleich, auch wenn Lyra noch vor einem Jahr vehement davon überzeugt war.

      Ein Jahr, dachte sie und trat grinsend an die Reling. Wie naiv sie doch gewesen war. Damals hatte sie nicht den leisesten Hauch einer Ahnung gehabt, was die Zukunft bringen würde. Aber im Nachhinein war man schließlich immer klüger.

      Aus einem Impuls heraus stieg Lyra auf die Reling und breitete die Arme aus wie einst Kate Winslet auf der Titanic. Nicht alles war schiefgelaufen im letzten Jahr. Ihre Höhenangst hatte sich zum Beispiel in Luft aufgelöst. Noch vor ein paar Monaten wäre es undenkbar gewesen, dass Lyra einfach so während großer Fahrt hier stand, dem Wind trotzte und sich nicht vor Angst in die Hosen machte. Ein Glücksgefühl mischte sich in ihre Bestandsaufnahme. Lächelnd stieg sie zurück aufs Deck und legte beide Hände auf das kalte Metall der Reling. Die Ärmel ihres Sweatshirts rutschten hoch und Lyras Lächeln erstarb. Die Zahnabdrücke der Göttertochter waren trotz ihrer magisch ausgeprägten Selbstheilungskräfte immer noch sichtbar. Vielleicht blieben sie als Narben zurück, als Zeichen, als Stigma wie bei Harry Potter.

      »Das ist doch Bullshit!«, sagte sie zu sich selbst und reckte ihr Gesicht der Sonne entgegen.

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