Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer

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Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer

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       56

       Anmerkung

       Impressum neobooks

      1

      »Aber nein«, wiederholte Dickie Blume zum zigsten Mal an diesem Abend liebenswürdig und lächelte, während er seine Klarinette wie einen Tamburinstab um den Zeigefinger wirbelte. Der Boden unter seinen Füßen vibrierte, und er hörte das dumpfe Dröhnen der Schiffsmaschinen, mit denen sich die Libelle stromaufwärts durch die Dunkelheit kämpfte. »Ich komme mir in Strumpfhosen keineswegs lächerlich vor. Sie sind warm, sie haben fröhliche Farben und sie sind figurbetont.« Er wiegte sich aufreizend in den Hüften. Vier Farben hatten sie, seine Strumpfhosen, ein Bein längs geteilt halb lila, halb gelb, das andere grün und rot. Auf seinem langen Wams wiederholten sich die Farben ebenso wie auf der Kappe mit den drei Pfauenfedern hinten und der langen Spitze vorn. »Wissen Sie, was ich glaube? Noch vor Ablauf von vierzehn Tagen – ach, was sage ich denn – am kommenden Montag schon – übermorgen - wird keiner ihrer Gatten mehr ohne seine bunten Strumpfhosen zur Bank gehen wollen. Ich schwöre Ihnen: Dieser Abend macht mich - den Rattenfänger von Hameln - zum Trendsetter der Mode von morgen!«

      Prustendes Gelächter der Bankerfrauen belohnte seinen Gag, und er versuchte erst gar nicht, das selbstzufriedene Grinsen zu unterdrücken, während die Kerze auf dem Tisch bedenklich ins Flackern geriet. Er war gut in seiner Rolle, ohne Zweifel der Beste. Kein Vergleich zum Klettenkönig, diesem Stümper von einer Märchenfigur. An ihm war alles perfekt: Sein Aussehen, seine Schlagfertigkeit, und wenn er es darauf anlegte, könnte er noch am selben Abend jede dieser sechs aufgedonnerten Weiber am Tisch nacheinander flach legen. Gleich unten in der Kabine im Achterschiff, die ihm der Schiffsführer zum Umkleiden zur Verfügung gestellt hatte. Er würde ihnen die glitzernden Abendkleider vom Leib reißen, die Saphire und Diamanten vom Hals, die Spangen, Kämmchen und Perlenketten aus ihren Frisuren zerren, aus ihren Pelzstolen ein weiches Lager auf dem Fußboden bereiten – die Kabinenbetten waren gerade mal siebzig Zentimeter breit – und dann ...

      »Also, ich persönlich kann darüber nicht lachen», unterbrach die Platinblonde am Fenster seine Sexfantasien pikiert. »Im Gegenteil. Ihr Aufzug ist dermaßen peinlich, dass sich jeder anständige Mann für Sie schämen muss. Haben Sie denn keine Selbstachtung? Kein Schamgefühl, sich auf einer Charterfahrt angesehener Banker wie ein Narr aufzuführen und wie ein Clown herumzulaufen? Allein die Schnabelschuhe, ich bitte Sie.« Sie hielt inne und blickte ihn herausfordernd an, die Augenbrauen hochgezogen, zwei steile Bögen über blassblauen Augen. Die Finger ihrer rechten Hand umklammerten den Griff des Messers neben dem Teller, als bräuchte sie eine Waffe gegen das ausgelassene Stimmengewirr im Salon des Fahrgastschiffes Libelle.

      Gott, dachte er ernüchtert, während er zum Ergötzen der übrigen Frauen am Tisch abwechselnd den Rechten und den Linken seiner gelben Schuhschnäbel auf und ab wippen ließ, eine von diesen selbstverliebten Schlampen gibt es wohl in jeder Gruppe. Humorlos, verklemmt und allein zu dem Zweck unterwegs, Spaß zu verderben. Ein Bremsklotz im Getriebe der Fröhlichkeit. Er warf ihr unter der langen Spitze seiner Kappe einen forschenden Blick zu. Fünfundvierzig schätzungsweise, manikürte Fingernägel in altrosa, alle zwei Wochen ein Friseurtermin für die goldblonden Haare, deren perfekte Innenrolle knapp über den Trägern ihres Abendkleides ausschwang. Etwas weit stehende blasse Augen, eine gelungene Nase mit einer kleinen, kecken Aufwärtsbewegung, so weit gar nicht mal so übel, wenn da nicht die senkrechte Kerbe über der Nasenwurzel gewesen wäre. Mit dieser Frau war nicht gut Kirschen essen. Kein Dornröschen, das sich wach küssen ließ, und wer es trotzdem versuchte, verwandelte sich in einen Frosch. Entweder ging ihr Mann fremd oder sie war eine verkappte Lesbe, da war sich Dickie sicher.

      »Entschuldigung, ich konnte Sie kaum verstehen bei all der Fröhlichkeit um uns herum.« Sein Lächeln fühlte sich plötzlich gefroren an. »Sie behaupten doch nicht etwa, Strumpfhosen seien unmännlich?« In einer wie zufälligen Bewegung ragte er mit der Hand die Zipfel seines vierfarbigen Wamses zur Seite und ließ die Goldblonde die Beule zwischen seinen Beinen sehen. Nur den Bruchteil einer Sekunde lang, und während sich die anderen Frauen vor Lachen kreischend auf ihren Stühlen zurückwarfen und gegenseitig in die Rippen stießen, erstarrte die Frau am Fenster und stieß ein ungläubiges Keuchen aus.

      »Meine Damen!« Dickie verbeugte sich galant, und die langen Pfauenfedern an seiner Kappe schwangen hoch in die Luft. »Die Pflicht ruft mich bedauerlicherweise auch an die anderen Tische. Aber wir sehen uns im Laufe des Abends wieder. Was könnte einen armen, bunten Narren wie mich verführerischer locken als so viel geballte Schönheit.« Mit Sicherheit würde er nicht noch einmal seine Perlen vor die Säue werfen, obgleich es sich um den einzigen reinen Frauentisch im Salon handelte, und die gemischten Tische für ihn viel schwieriger in Stimmung zu bringen waren. Ein Frauentisch versprach hemmungslose Ausgelassenheit, ein Männertisch Lacher bei schlüpfrigen Witzen, ein gemischter Tisch harte Arbeit. Ausnahmen bestätigten natürlich die Regel, und der Alkohol, der an diesem Abend in Strömen floss, lockerte die eine oder andere verknöcherte Bankerseele schon auf.

      Da war zum Beispiel der nette Kerl mit dem Toupet, der ihm, es lag noch keine Stunde zurück, auf die Schulter geklopft und versichert hatte, was für ein glänzender Schauspieler er doch sei. Der Ärmste selbst war nicht gerade ein Blickfang mit seinen froschigen Glupschaugen und dem fliehenden Kinn, und wenn ihn beim Kauf des Toupets seine Frau beraten hatte, waren die Turteljahre seiner Ehe längst vorbei. Während seine eigenen Haare sandfarben waren, präsentierten sich die falschen mit einem aufdringlichen Stich ins Gelbe und waren, ganz ohne Scheitel, einfach von hinten nach vorn gekämmt.

      Der Rattenfänger verbeugte sich ein zweites Mal, diesmal mit ausgebreiteten Armen, und schielte unter seiner Kappe hinweg Beifall heischend in die Gesichter der Frauen. Sie waren vom Wein und vom Zusammengepferchtsein gerötet. Unscheinbare Gesichter eigentlich, doch die Ausgelassenheit verlieh ihnen eine Lebendigkeit, die nicht unattraktiv war. Zumindest jetzt noch nicht. Wenn sie in dem Tempo weitertranken, würde die eine oder andere von ihnen über der Kloschüssel hängen und die für die Charterfahrt georderten Weine – Pinot Grigio und Bardolino - in die Weser spucken. Unter dem Schiff konnten dann die Fische weiterfeiern.

      Es war eng und voll im Salon des Fahrgastschiffes Libelle. Drei Reihen mit Sechsertischen auf einem blauen Teppichboden mit kleinen, weißen Punkten, die Chartergäste auf den blau bezogenen Kirschholzstühlen Schulter an Schulter, und die gefühlte Temperatur lag irgendwo bei über dreißig Grad Celsius. Hundertfünfzig Leute passten in den Salon, hundertzwanzig saßen drin, die frei gebliebenen Tische im hinteren Teil des Salons waren zu einem Hufeisen zusammengeschoben worden und trugen die kläglichen Reste des vormals üppigen warm-kalten Büffets. Die Geräuschkulisse unter der niedrigen Decke war ohrenbetäubend. Wie die Luft schien sich auch das Stimmengewirr zu stauen, untermalt von der Musik des DJs.

      Dickie Blume, in dessen Taufschein Benediktus Blumenthal-Röder stand, richtete sich schwungvoll von seiner Verbeugung wieder auf, die Klarinette unter den Arm geklemmt und erwartete den verdienten Applaus. Durch die breiten, niedrigen Fenster an der Backbordseite sah er die Scheinwerfer der Autos auf der B83 zwischen den Uferbäumen aufblitzen. Vor ein paar Minuten hatte sich das Vibrieren unter seinen Füßen verstärkt und das Dröhnen in seinen Ohren war angeschwollen. Der Schiffsführer im Steuerhaus über Dickies Kopf, der einsamen Lichtinsel in der Finsternis vor dem Freideck, schien Gas zu geben. Gut so, je eher der Abend zu Ende ging ...

      »Hey«, fauchte eine aufgebrachte Stimme in seinem Rücken, kaum, dass er wieder stand, während etwas mit dumpfem Plumps auf dem Teppichboden landete. »Pass bloß auf deine Federn auf, du Rattenfänger, sonst rupf ich dich.«

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