Pentagramm und Stein der Weisen. Siegfried Ahlborn
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Pentagramm und Stein der Weisen - Siegfried Ahlborn страница 2
Fünf Ecken, fünf Verbindungen und nur eine einzige Linie, die sich in sich selbst wieder traf – oder, wie bei Faust, offen blieb.
Im Faust, in seinem Inneren – so musste man das ja doch wohl sehen –, war sie schlecht gezogen und hatte den Pudel in sich hineinspringen lassen. Was hatte das zu bedeuten? War die Seele des Faust ein Pentagramm? War unsere Seele ein Pentagramm? Eine schwere Frage, aber ich war mir sicher, dass mir an einsamem Orte in den Bergen schon die Antwort kommen würde.
Vorher aber kam mein Verleger Jon Hartmann. Er fuhr mit seinem Auto vor, und wir begrüßten uns herzlich. Und nachdem ich meine Sachen verstaut und neben ihm Platz genommen hatte, begann er gleich mit der Begründung seiner Frage und mit dem Hinweis auf seine Erwartungen bezüglich meines Romans.
Er war schlank, dunkelhaarig und mit einem Dreitagebart ausgestattet. Seine Augen waren ebenfalls dunkel und so, wie es die Straße zuließ, interessiert auf mich gerichtet. Er sagte, während wir uns auf die Autobahn in Richtung Süden zubewegten: „Simon“ – wir duzten uns –, „du bist bestimmt erstaunt, warum ich dir dieses Thema aufgedrückt habe. Das liegt einfach an der Tatsache, dass ich mit mir und meiner Seele nicht zurechtkomme. Entschuldige die Offenheit. Wie du weißt, beschäftige ich mich viel mit geistigen Fragen, meditiere und lese viel – und habe doch das Gefühl, als Mensch zu versagen.
Mal denke ich ein starkes Ich zu haben, mal fühle ich mich schwach, mal möchte ich die ganze Welt umarmen, mal denke ich, dass ich böse bin, und mal sehe ich mich als freudigen Retter der Welt. Und als ich nun entdeckte, dass das fünf Zustände waren, in denen ich mich bewegte, ich an das Pentagramm des Menschen dachte und bei Goethe las, dass dieses schlecht gezogen sein kann, habe ich mir erhofft, dass du mir dieses Rätsel löst. – Also das Rätsel mit dem Pentagramm und dem Bösen.“
Ich schwieg und er fügte schnell hinzu: „Wie ich aber, und warum ich ausgerechnet auf das Pentagramm gekommen bin, muss uns jetzt mal nicht interessieren. Ich muss Mephisto überwinden, mehr nicht. Und der steckt scheinbar in mir, im unvollkommen gezogenen Pentagramm. In deinen Romanen, Simon, deckst du viele Hintergründe auf. Ich hoffe du kannst das jetzt auch mit diesem Thema.“
Ich war überrascht von seiner Offenheit und seinem Vertrauen. Würde ich ihm helfen können? Aus meiner Lebenserfahrung allein nicht, obgleich ich schon über sechzig Jahre war. Aber vielleicht aus meiner eigenen geistigen Forschung, auf die er ja scheinbar auch zählte.
Denn ich hatte mich – in gewisser Weise – ja selbst auch schon mit dem Fünfstern, also dem Pentagramm, beschäftigt und wusste, dass es ein altes Einweihungssymbol war, dass es der Menschenform zugrunde lag, dass es sich in den Bewegungen der Planeten zeigte und dass es sich in Blüten, Steinen, Seetieren und den Kerngehäusen von Früchten fand. Allein sein tieferer Sinn war mir noch verborgen. Trotzdem antwortete ich: „Ich will es tun. Ich will diesen Roman in Angriff nehmen. Denn nun hast du auch mich neugierig gemacht. Aber erst einmal danke ich dir, dass du mir diese Aufgabe gestellt hast und dass du es mir auch finanziell ermöglichst. Du musst großes Vertrauen zu mir haben.“
Er lachte und nickte zustimmend mit dem Kopf. Ich fuhr fort: „Ich habe, glaube ich, auch schon eine Idee, warum der Teufel im Pentagramm steckt – also in der Seele des Menschen. Draußen in der Natur, in den Steinen, Pflanzen und auch im Pudel, steckt er nicht, da ist das Pentagramm nicht seelisch ergriffen und kann egal, wie gezogen sein. Nur im Menschen kann es erlebt werden und ist – im Sinne des Faust – seelisch schlecht gezogen. Somit hat der Teufel die Macht, sich in die Seele des Menschen einzuschleichen und sie zu besitzen, denn nur dort wird er gehört. - Es ist also kein Vergehen, dass deine Seele sich quält. Es ist ein Zeichen des Menschseins. Es ist ein Zeichen der Freiheit gegenüber der Natur. Faust überwindet den Teufel aus dieser Freiheit heraus, aber durch unendlich viele Kämpfe hindurch. Auch uns stehen diese Kämpfe bevor, wollen wir nicht ein Opfer der Gleichgültigkeit und ein Diener des Mephisto sein. Ich werde herausfinden, wie die Überwindung des offenen Pentagramms geleistet werden kann.“
Er nickte gedankenverloren und wir schwiegen lange Zeit.
Mittlerweile war er auch schon wieder von der Autobahn abgefahren, und ich sah mit Entzücken die Berge vor mir.
Ich liebte die Berge in ihrer Majestät und klaren Schönheit. Aber ich empfand auch immer wieder einen tiefen Schmerz bei ihrem Anblick, ob ihrer Einsamkeit und kalten Härte. Was mussten sie leiden, um uns den Blick zu gönnen, der über ihren Gipfeln die Sonne sah. Dort hatte ich schon oft gestanden und mich über die Offenbarung des Lichtes über den weißen Gipfeln der Berge gefreut. Und ich erinnerte mich plötzlich meines ersten Eindruckes von den Bergen.
Als Kind lebte ich mit meinen Eltern im Norden Deutschlands, und hatte alles andere als Berge um mich. Und als ich dann einmal – ich mag so sechs Jahre alt gewesen sein –, mit meinen Eltern nach Österreich in die Berge gefahren war, aus dem Zug gestiegen - und vis-à-vis eines gewaltig hohen Berges gestanden hatte, nach dessen Spitze ich mir den Kopf verrenken musste, hatte es mich wie ein Blitz getroffen. Ich hatte mich gefragt, wie der Liebe Gott so etwas Gewaltiges hatte schaffen, wie er die Erde in dieser Form hatte auftürmen können – und was für einen Sinn das hatte. Es war und blieb mir damals unbegreiflich.
Heute weiß ich, dass zwei Kräfte dazu notwendig sind und waren: zum einen der dunkle Wille der Erde und zum anderen das klare Licht der Sonne. Zwei Welten kämpfen miteinander. Die eine kommt aus der Dunkelheit und will das Licht für sich gewinnen, und die andere schlägt mit dem Licht die Dunkelheit zurück. Zwei Welten, zwei Bestrebungen, zwei Tragiken, die sich unversöhnlich gegenüberstehen und sich doch nach einem Ausgleich sehnen.
So dachte ich im Anblick der Berge und verlor mich in der Anschauung dieses Kampfes. Da unterbrach Jon meine Gedanken und sagte: „Weißt du, Simon, mir liegt sehr viel an der Beantwortung dieser Frage. Und die Tatsache, dass ich dich in die Berge bringe, hängt mit der Tatsache zusammen, dass ich dort, im hohen Fels, eine kleine Hütte besitze, die mir viel bedeutet und so manches Erlebnis birgt.“
Dabei schaute er irgendwie eigenartig, was ich mir da aber noch nicht erklären konnte und auch nicht sogleich hinterfragte.
Das war sowieso mein Fehler, dass ich bei Dingen, die mir fremd und eigenartig vorkamen, nicht immer gleich nachfragte, sondern erst viel später auf die Idee kam, ich hätte fragen sollen. Manchmal war dann das Kind aber schon in den Brunnen gefallen. Auch diesmal fragte ich nicht nach, und hatte nur dieses eigenartige Gefühl.
Außerdem hatten wir gerade eine steile und kurvenreiche Strecke erreicht, die all seine Aufmerksamkeit forderte. So schwieg ich und schaute fasziniert in den Abgrund, der sich neben der Straße auftat.
Man muss schon hoch hinaus, um so frei in Abgründe schauen zu können, in denen bestimmt schon so mancher Bergsteiger sein Leben verloren hatte. Und auch da kam mir plötzlich wieder eine Erinnerung an ein Erlebnis in den Bergen.
Einmal war ich mit einem Freund auf einem Gletscher unterwegs gewesen – mit Eispickel, Steigeisen und Seil. Und wir waren, weil eine Gletscherbücke hinter uns eingestürzt war, gezwungen gewesen, an einer Gletscherwand entlangzugehen, die nach unten hin mehrere hundert Meter steil abfiel. Wohl waren wir aneinander angeseilt und gebrauchten unsere Eispickel und Steigeisen, und doch hätte einer den anderen nicht halten können, wenn dieser abgerutscht wäre. Wir wären unweigerlich beide in den Tod gestürzt.
In diesem Moment hatte ich erfahren, was Risiko bedeutete, und wie viel Vertrauen es braucht, um sich in solch einer Situation zu halten. Man ist sich des möglichen Todes bewusst, kann das Risiko aber nicht vermeiden, und blendet die Gefahr aus. Nur im Hintergrunde des Herzens bleibt sie bestehen und lebt dort während