Tag 1 - Als Gott entstand. Stefan Koenig
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Aber nicht nur die Füße, auch das übrige Aussehen veränderte sich in der Steppe. Sehen wir uns den Hals an. Wäre der Hals kurz geblieben, während die Beine länger wurden, dann hätte das Pferd schließlich nicht mehr das Gras zu seinen Hufen erreichen können. Dazu kam es aber nicht, weil kurzhalsige und kurzbeinige Pferde bei der Prüfung durch das Leben ausgeschaltet wurden.
Auch die Zähne haben sich verändert. Die Steppe zwang die Pferde, sich an ein hartes, raues und grobes Futter zu gewöhnen, das erst mit den Zähnen zermahlen werden musste. Dafür wurden nun die geeignetsten Zähne ausgesucht. Die Zähne der jetzigen Pferde sind wie Mühlsteine oder Reibeisen, die nicht nur raues Gras, sondern sogar Stroh ganz fein zermahlen.
Diese gewaltige, riesige Arbeit der Selektion, der Auswahl, nahm nicht wenig Zeit in Anspruch – volle 50 Millionen Jahre. Und wieviel lebendes Material hat dieser Prozess erfordert!
Es ist sehr schwierig für ein Tier, seine bisherige Umwelt zu verlassen, die Ketten der Natur, die es fesseln, zu zerreißen. Aber selbst wenn es diese Ketten sprengt, wird es nicht frei. Aus einem unsichtbaren Käfig gerät es in einen anderen. Als das Pferd vom Wald in die Steppe hinaustrat, hörte es auf, ein Waldtier zu sein und wurde ein Steppentier. Als die Fische ans Land stiegen, schnitten sie sich den Rückweg ins Wasser ab.
Um in die See zurückzukehren, mussten sie sich abermals verändern. Jene Festlandtiere, die wieder ins Meer zurückgingen, mussten ihre Beine wieder in Flossen verwandeln, wie zum Beispiel der Wal, den manche „Walfisch“ nennen, obwohl er mit einem Fisch nur das Aussehen und die Lebensweise gemeinsam hat.
Auf der Erde gibt es ungefähr eine Million verschiedener Tierarten. Jede Art lebt in ihrer eigenen Umwelt, der sie sich angepasst hat. Dort, wo für manche Arten die Tafel aufgestellt ist: „Eintritt verboten“, heißt es für andere: „Herzlich willkommen!“
Woher aber kommt nun der Mensch? Gehörte er in alten Vorzeiten zu den Steppen-, Wald- oder Bergtieren? Kann man einen Menschen, der im Wald lebt, einen Waldmenschen nennen, einen Menschen, der am Moor lebt, einen Moormenschen? Natürlich nicht.
Der Mensch, der im Wald lebt, könnte auch in der Steppe leben, und der Mensch, der am Moor lebt, würde sich nur freuen, auf ein trockenes Fleckchen zu übersiedeln. Der Mensch lebt überall. Für ihn gibt es auf der Erde fast keinen Ort mehr, wohin er nicht vordringen könnte und wo eine Tafel aufgestellt wäre: „Eintritt für Menschen verboten.“
Die Teilnehmer der Papanin-Expedition haben neun Monate auf einer schwimmenden Eisscholle gelebt. Hätten sie aber durch die heißeste Wüste reisen müssen, wären sie nicht weniger erfolgreich gewesen. Um aus der Steppe in den Wald oder aus dem Wald in die Steppe zu ziehen, hat es der Mensch nicht nötig, seine Hände, Füße oder Zähne zu verändern. Wenn er aus dem Süden in den Norden kommt, wird er nicht zugrunde gehen, obwohl sein Körper nicht mit Wolle bedeckt ist. Ein Wintermantel, eine Kopfbedeckung und Stiefel schützen ihn ebenso gut vor dem Frost wie die Tiere ihr Fell.
Der Mensch hat gelernt, schneller zu laufen als ein Pferd, und er musste dafür keine einzige Zehe opfern. Der Mensch hat gelernt, besser im Wasser zu schwimmen als die Fische; und er brauchte dazu weder Hände noch Füße gegen Flossen einzutauschen. Die Echsen, die sich die Luft eroberten, brauchten viele Millionen Jahre, um Vögel zu werden, und sie haben dafür einen hohen Preis bezahlt: sie verloren ihre Vorderbeine, die sich in Flügel verwandelten. Der Mensch hat die Luft in wenigen Jahrhunderten erobert, und er musste keineswegs seine Arme dafür hergeben.
Der Mensch hat ein Mittel gefunden, er selbst zu bleiben und doch die unsichtbaren Mauern zu durchschreiten, welche die Tiere in Gefangenschaft halten. Er steigt zu Höhen auf, in denen die Luft nicht mehr zum Atmen ausreicht, und er kehrt lebend und gesund zurück. Als die russischen und amerikanischen Stratosphärenflieger erstmals den Höhenrekord aufstellten, gingen sie damit über die Grenzen der von Lebewesen bewohnten Welt hinaus.
Alle Lebewesen der Welt stehen in sklavischer Abhängigkeit von der Natur, die sie umgibt. Das Tier ist in allem von den Existenzbedingungen seiner Umwelt abhängig; es funktioniert nach der vorgegebenen natürlichen „Gebrauchsanleitung“. Der Mensch aber schafft sich diese Bedingungen selbst. Er reißt der Natur immer häufiger die Gebrauchsanleitung aus der Hand und schreibt sie selbst. Er streicht aus der vorhandenen Anleitung jene Bedingungen, die ihm nicht passen.
Wenn die Naturbedingung vorgibt: „In der Wüste gibt es wenig Wasser“, dann streicht der Mensch diese Bedingung, indem er durch die Wüste die gerade Linien der Kanäle zieht. Wenn die Natur vorgibt: „Der Boden ist im Norden unfruchtbar“, dann korrigiert der Mensch diese Bedingung, indem er den Boden düngt. Wenn es im Aufgabenbuch der Natur heißt: „Im Winter ist es kalt, in der Nacht ist es dunkel“, dann richtet sich der Mensch nicht danach; er verwandelt in seinem Hause den Winter in den Sommer, macht die Nacht zum Tag. Mehr und mehr ändert der Mensch die ihn umgebende Natur.
Unsere heutigen Wälder sind gänzlich umgestaltet durch Baumschlag und Aufforstung. Unsere Steppen sind nicht mehr die früheren Steppen. Sie sind vom Menschen durchpflügt und bebaut. Unsere Haustiere – Pferde, Kühe, Schafe – sind Tiere, die es in der freien Natur nicht gibt. Sie wurden vom Menschen nach Maß gezüchtet. Ja, sogar die wilden Tiere haben des Menschen wegen ihre Gewohnheiten verändert. Einige halten sich in der Nähe der menschlichen Behausungen, der bepflanzten Felder auf und suchen dabei ihren Vorteil. Andere dagegen verstecken sich vor dem Menschen in unzugänglichen Gegenden, in denen sie früher nicht vorkamen.
Heutzutage wird die wilde, vom Menschen unveränderte Natur nur noch in Reservaten erhalten bleiben. Wenn der Mensch die Grenze eines solchen Reservates zieht, sagt er gleichsam der Natur: „Hier gebe ich dir die Erlaubnis zu wirtschaften, das übrige ist MEINE Wirtschaft.“
Der Mensch hat mehr und mehr die Herrschaft über die Natur errungen. – Das war aber nicht immer so. Unsere Urvorfahren lebten ebenso als Sklaven der Natur wie ihre Verwandten, die übrigen Tiere.
Vorlesung 2
Die bis hier geschilderten Ereignisse der Entwicklung des Lebens stehen für sich. Noch reden wir nicht von Gott, von Religion, von Welterkenntnis, von Bewusstsein und Gehirn, von Glauben und Wissen. Noch sind wir entwicklungsgeschichtlich äußerst weit von diesen „Dingen“ entfernt. Wir bewegen uns immer noch ca. 5 Millionen Jahre vor unserer Zeit. Erst später werden wir uns an den entscheidenden evolutionären Knotenpunkten über die „Erfindung der Welt“ detaillierte Erkenntnisse verschaffen können.
Vor Millionen Jahren standen an der Stelle unserer heutigen Gehölze und Wälder ganz andere, mit anderen Bäumen, mit anderen Tieren und anderen Kräutern. In jenen Wäldern wuchsen außer Ahorn, Birken und Linden noch Myrten, Lorbeer und Magnolien. Neben dem Nussbaum wuchs die Weinrebe. Nicht weit von der bescheidenen Trauerweide blühten Kampfer- und Ambra-Bäume. Neben den gigantischen Mammutbäumen wirkten die Rieseneichen wie Zwerge.
Wenn wir unseren Wald von heute mit einem Haus vergleichen, dann war jener Urwald kein einfaches Haus, sondern ein richtiger Wolkenkratzer. In den oberen Etagen dieses Wolkenkratzers war es hell und laut. Bunte Vögel flogen mit Geschrei zwischen Riesenblüten. Affen schaukelten auf den Ästen und sprangen schwingend von einem Baum zum anderen. Da läuft eine Affenherde über die Äste wie über eine Brücke. Die Mütter halten die Jüngsten an die Brust gedrückt und stecken ihnen vorgekaute Früchte und Nüsse in den Mund. Größere Kinder hängen an den Beinen. Ein alter Affe mit zottigem