Bahnwärter Thiel. Gerhart Hauptmann

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Bahnwärter Thiel - Gerhart Hauptmann

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dieser Wunsch in überraschender Weise in Erfüllung gegangen. Drei

      Dinge jedoch hatte er, ohne es zu wissen, mit seiner Frau in Kauf

      genommen: eine harte, herrschsüchtige Gemütsart, Zanksucht und brutale

      Leidenschaftlichkeit. Nach Verlauf eines halben Jahres war es

      ortsbekannt, wer in dem Häuschen des Wärters das Regiment führte. Man

      bedauerte den Wärter.

      Es sei ein Glück für »das Mensch«, daß sie ein so gutes Schaf wie den

      Thiel zum Manne bekommen habe, äußerten die aufgebrachten Ehemänner; es

      gäbe welche, bei denen sie greulich anlaufen würde. So ein »Tier« müsse

      doch kirre zu machen sein, meinten sie, und wenn es nicht anders ginge,

      denn mit Schlägen. Durchgewalkt müsse sie werden, aber dann gleich so,

      daß es zöge.

      Sie durchzuwalken aber war Thiel trotz seiner sehnigen Arme nicht der

      Mann. Das, worüber sich die Leute ereiferten, schien ihm wenig

      Kopfzerbrechen zu machen. Die endlosen Predigten seiner Frau ließ er

      gewöhnlich wortlos über sich ergehen, und wenn er einmal antwortete, so

      stand das schleppende Zeitmaß, sowie der leise, kühle Ton seiner Rede in

      seltsamstem Gegensatz zu dem kreischenden Gekeif seiner Frau. Die

      Außenwelt schien ihm wenig anhaben zu können: es war, als trüge er etwas

      in sich, wodurch er alles Böse, was sie ihm antat, reichlich mit Gutem

      aufgewogen erhielt.

      Trotz seines unverwüstlichen Phlegmas hatte er doch Augenblicke, in

      denen er nicht mit sich spaßen ließ. Es war dies immer anläßlich

      solcher Dinge, die Tobiäschen betrafen. Sein kindgutes, nachgiebiges

      Wesen gewann dann einen Anstrich von Festigkeit, dem selbst ein so

      unzähmbares Gemüt wie das Lenes nicht entgegenzutreten wagte.

      Die Augenblicke indes, darin er diese Seite seines Wesens herauskehrte,

      wurden mit der Zeit immer seltener und verloren sich zuletzt ganz. Ein

      gewisser leidender Widerstand, den er der Herrschsucht Lenens während

      des ersten Jahres entgegengesetzt, verlor sich ebenfalls im zweiten. Er

      ging nicht mehr mit der früheren Gleichgültigkeit zum Dienst, nachdem er

      einen Auftritt mit ihr gehabt, wenn er sie nicht vorher besänftigt

      hatte. Er ließ sich am Ende nicht selten herab, sie zu bitten, doch

      wieder gut zu sein. -- Nicht wie sonst mehr war ihm sein einsamer Posten

      inmitten des märkischen Kiefernforstes sein liebster Aufenthalt. Die

      stillen, hingebenden Gedanken an sein verstorbenes Weib wurden von denen

      an die Lebende durchkreuzt. Nicht widerwillig, wie die erste Zeit, trat

      er den Heimweg an, sondern mit leidenschaftlicher Hast, nachdem er

      vorher oft Stunden und Minuten bis zur Zeit der Ablösung gezählt hatte.

      Er, der mit seinem ersten Weibe durch eine mehr vergeistigte Liebe

      verbunden gewesen war, geriet durch die Macht roher Triebe in die Gewalt

      seiner zweiten Frau und wurde zuletzt in allem fast unbedingt von ihr

      abhängig. -- Zuzeiten empfand er Gewissensbisse über diesen Umschwung

      der Dinge und er bedurfte einer Anzahl außergewöhnlicher Hilfsmittel, um

      sich darüber hinweg zu helfen. So erklärte er sein Wärterhäuschen und

      die Bahnstrecke, die er zu besorgen hatte, insgeheim gleichsam für

      geheiligtes Land, welches ausschließlich den Manen der Toten gewidmet

      sein sollte. Mit Hilfe von allerhand Vorwänden war es ihm in der Tat

      bisher gelungen, seine Frau davon abzuhalten, ihn dahin zu begleiten.

      Er hoffte es auch fernerhin tun zu können. Sie hätte nicht gewußt,

      welche Richtung sie einschlagen sollte, um seine »Bude«, deren Nummer

      sie nicht einmal kannte, aufzufinden.

      Dadurch, daß er die ihm zu Gebote stehende Zeit somit gewissenhaft

      zwischen die Lebende und Tote zu teilen vermochte, beruhigte Thiel sein

      Gewissen in der Tat.

      Oft freilich und besonders in Augenblicken einsamer Andacht, wenn er

      recht innig mit der Verstorbenen verbunden gewesen war, sah er seinen

      jetzigen Zustand im Lichte der Wahrheit und empfand davor Ekel.

      Hatte er Tagdienst, so beschränkte sich sein geistiger Verkehr mit der

      Verstorbenen auf eine Menge lieber Erinnerungen aus der Zeit seines

      Zusammenlebens mit ihr. Im Dunkel jedoch, wenn der Schneesturm durch die

      Kiefern und über die Strecke raste, in tiefer Mitternacht beim Scheine

      seiner Laterne, da wurde das Wärterhäuschen zur Kapelle.

      Eine verblichene Photographie der Verstorbenen vor sich auf dem Tisch,

      Gesangbuch und Bibel aufgeschlagen, las und sang er abwechselnd die

      lange Nacht hindurch, nur von den in Zwischenräumen vorbeitobenden

      Bahnzügen unterbrochen, und geriet hierbei in eine Ekstase, die sich zu

      Gesichten steigerte, in denen er die Tote leibhaftig vor sich sah.

      Der Posten, den der Wärter nun schon zehn volle Jahre ununterbrochen

      innehatte, war aber in seiner Abgelegenheit dazu angetan, seine

      mystischen Neigungen zu fördern.

      Nach allen vier Windrichtungen mindestens durch einen

      dreiviertelstündigen

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