Tränenuntergang. Herr Thönder

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Tränenuntergang - Herr Thönder

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Sport war er sehr diszipliniert, ebenso wie in allen anderen Bereichen seines Lebens. Der Gefühlsausbruch im Auto war der einzige, den er sich ab und zu erlaubte. Zorn und Enttäuschung, aber auch Freude und Liebe wurden von ihm nicht in die Öffentlichkeit getragen.

      Nur so war er in der Lage, der knallharte Verhandlungsführer zu sein, der er war. Nur so konnte er so großen beruflichen Erfolg haben. Nur so konnte er sich von seiner Vergangenheit lösen, um „deutsch“ zu sein.

      Seine Eltern waren arm gewesen, bevor sie nach Deutschland kamen. Hier hatten sie aber niemals wirklich Fuß gefasst, sodass sie bereits vor zwanzig Jahren gestorben waren. „Aus Kummer“, wie es in der Familie hieß. Franz hatte noch ein paar Onkels und Tanten in Deutschland, aber er vermied es so gut es ging, sie zu treffen. Er wollte nicht an seine Vergangenheit erinnert werden.

      Und er wollte nicht an den frühen Tod seiner Eltern erinnert werden. Er wollte länger leben. Ein Tod mit Ende Vierzig war für ihn keine Option. Dann würden ihm ja nur noch gut zehn Jahre bleiben. Er hatte aber noch nicht genug vom Leben. Immerhin wollten die Millionen, die er anhäufte ja auch irgendwann ausgegeben werden.

      Momentan hatte er dafür keine Zeit. Er musste arbeiten. Eine 60-Stunden-Woche war die Regel, oft kamen auch noch Dienstreisen hinzu.

      Seine Familie sah er meist nur abends. Dann war er erschöpft, musste aber den Anschein erwecken, topfit, gesund und munter zu sein. Das war sein eigener Anspruch an sich selber. Und es erschien ihm, als sei das mittlerweile auch der Wunsch der Familie. Bloß nicht zu viel reden.

      Nur mit Heidrun redete er. Über alles. Sie war seine Vertraute, seine große Liebe. Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes vor ungefähr sechs Jahren war sie leider in eine tiefe Depression gefallen. Wenn sie nicht tieftraurig war, hatte sie manische Phasen. Sie stand eigentlich ständig unter Medikamenteneinfluss. Da sie aus dieser Situation nicht mehr komplett herauskam, hatten Franz und sie ihre Ehe „neu arrangiert“. Sie basierte weiterhin auf Vertrauen, Ehrlichkeit und tiefer Liebe. Nur der Sex war gestrichen. Den holte sich Franz jetzt auswärts. So war es abgesprochen.

      Franz tat das nicht gerne. Sobald Heidrun nur ein Zeichen geben würde, dass er sich ihr auch körperlich wieder nähern dürfte, wären alle außerehelichen Übungen passé. Doch da musste er wohl noch eine Weile warten.

      Franz startete den Wagen und machte sich langsam auf den Weg nach Hause. Sein Tag war perfekt gelaufen. Jetzt würde er mit seinem perfekten Auto in sein perfektes Haus fahren und seine wunderbare Familie sehen. Er würde ein tolles Abendessen genießen – und schweigen. Mark, der kleine Sohn, brauchte noch etwas Führung, aber der Rest ließ ihn in Ruhe. Weil er es wollte und weil sie es wollten. Mit Heidrun konnte er später reden.

      Er fühlte sich glücklich. Das Leben war gut...

      2

      

       An meine Eltern,

      

       tja, Ihr wundert Euch bestimmt, warum ich Euch schreibe?! Ehrlich gesagt, war das auch nicht meine Idee. Es war die Idee von Frau Schlemmer. Ihr kennt Frau Schlemmer nicht? Kein Wunder. Sie ist die Schulpsychologin.

       Sie hat mir vorgeschlagen, mal meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Und da ich das mündlich nicht so gut kann (wegen der Aufregung und so), hat sie mir geraten, einfach mal alles aufzuschreiben. Und zwar an Euch. In Briefform. Das werde ich in diesem Urlaub tun.

       Ich habe beschlossen, Euch meine Welt zu zeigen. So, wie ich sie sehe. So wie ich mich sehe. Und dafür muss ich anfangen, zu beschreiben, wie ich EUCH sehe.

       Beginne ich mal mit Dir, oh mein Erzeuger. Diese Art der Anrede kann ich mir einfach nicht verkneifen – denn genauso empfinde ich unser Verhältnis. Du bist der Held, ich muss Dir huldigen. Aber von Beginn an.

       Du bist reich, Du bist einigermaßen berühmt, Du siehst für Dein Alter wohl auch gut aus (ich kann das nicht so beurteilen). Ehrlich gesagt: Ich weiß gar nicht, wie alt Du bist. 40? 50? 60? Ich würde ja auf letzteres tippen, zumindest würde das am besten zu allem passen, was ich so erlebe.

       Trotz dieser Tatsache muss ich festhalten: Du hast und bist, was andere beneiden.

       Du bist nicht zu klein (1,80m?), schlank und durchtrainiert (70kg?), hast dichtes, gewelltes Haar, das allerdings schon lange relativ weiß ist (deshalb meine Altersschätzung). Das Alter ist sonst vor allem im Gesicht erkennbar – besonders an den Falten auf der Stirn. Das sind die, die sich immer so vertiefen, wenn wir reden. Aber was heißt: „wenn WIR reden“? Wenn DU redest und ich zuhöre.

       Du liebst es, Monologe zu halten. Du könntest stundenlang über die Welt reden, was Du alles besser machen würdest, wo die Ursachen aller Probleme liegen und warum Du besser bist als alle anderen Menschen auf dieser Welt. Vor allem: Warum Du besser bist als ich.

       Ich habe in einer Arbeit eine 2? Bei dem Thema hattest Du bestimmt eine 1! Ich habe ein Praktikum in einer kleinen Arztpraxis gekriegt? Du hast in einer GROSSEN KLINIK ausgeholfen! Und wenn ich mal „Null Fehler“ in einer Arbeit oder einem Test habe, hättest Du das schon im Kindergarten gekonnt.

       Oh mein Erzeuger, ich huldige Dir!

       Und Du, meine Mutter? Was soll ich sagen? Zunächst einmal: Warum hast Du diesen Mann geheiratet? Und: Warum bist Du all‘ die Jahre bei ihm geblieben? Ist der soziale Status Dir wirklich so wichtig? Ist er so wichtig, dass er über Deine Gesundheit geht? Ist er so wichtig, dass er über die Gesundheit Deiner Kinder geht?

       Aber von vorne.

       Du bist wohl ein bisschen jünger als Dein Mann, siehst aber auch schon alt aus. Man sieht deutlich die Spuren einiger Schönheits-Operationen. Ich finde das hässlich. Du siehst unglücklich aus. Aber wenn der Herr im Haus das so will...

       Also: mit geschätzt Mitte 50 körperlich noch eine Granate auf zwei Beinen? Das muss Dir (und den Chirurgen) erst einmal jemand nachmachen! Das lange, blonde Haar wird regelmäßig wieder in Farbe gebracht, die Fingernägel und Lippen sind stets im gleichen Ton perfekt angepinselt, zu jedem noch so teuren Kostümchen gibt es eine passende Sonnenbrille, Schuhe und Handtasche passen auch perfekt. Was will man(n) mehr?

       Auch wenn meine Meinung nicht zählt: Wie wäre es mit einer eigenen Meinung? Egal, was Dein Mann sagt – Du bist einverstanden. Egal, was er von Dir verlangt – Du tust es. Egal, was er mit seinen Kindern anstellt – „es hat schon seine Richtigkeit“.

       Glaubst Du, ich sehe nicht, dass Du die Sonnenbrille manchmal nicht „wegen Migräne“ trägst? Glaubst Du, ich rieche nicht das fremde Parfüm, wenn er nach Hause kommt? Glaubst Du, mir tut es nicht auch weh, wenn Mark weint? (Zu ihm später mehr...)

       Hinweis: Deine verheulten Augen sind auch von der Seite, an den Rändern der Sonnenbrille vorbei, deutlich erkennbar.

       Und das alles nur für Geld?

       Ich verstehe Dich nicht! Noch weniger,

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