Transasia. Von Karachi nach Beijing. Ludwig Witzani

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Transasia. Von Karachi nach Beijing - Ludwig Witzani

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vergolten, denn der Kalif ließ ihn nach seiner erfolgreichen Eroberung heimrufen und, eingenäht in nasse Kuhhäute, in den Tigris werfen.

      Auf Muhammad ibn al-Qasim und seine Kamelreitersoldaten folgten im Laufe der nächsten Jahrhunderte Iraner, afrikanische Sklaven, Rajastanis, Türken, Belutschistanis und Araber und bildeten in ihrer Gesamtheit die kosmopolitischen Fermente, aus denen die Bevölkerung des Sindh entstand. Im elften Jahrhundert, als der Sindh als Randposten der muslimischen Welt bereits fest in die islamische Ökumene integriert war, etablierte sich die Somra-Dynastie und erklärte die Herrschaft des Kalifen für beendet. Die Somra mussten im 14. Jahrhundert den Samme weichen, und diese unterlagen im 16. Jahrhundert den Arghunen und Tarkhanen. Eine jede dieser Dynastien richtete zu Beginn ihrer Regierungszeit ein Blutbad unter den überlebenden Angehörigen des alten Herrscherhauses an, baute Moscheen für das Freitagsgebet, hielt die Bewässerungsanlagen instand, errichtete Festungen und versuchte sich aus den Konflikten der Herrscher von Kabul, Lahore oder Isfahan herauszuhalten. Beschäftigte man sich ein wenig mit ihren Biografien, gewann man den Eindruck, dass sie zu Lebzeiten nichts Besseres zu tun gehabt hatten, als sich so schnell wie möglich gegenseitig unter die harte Erde der Makli-Hügel zu bringen.

      Eintracht herrschte nur unter den Toten, die von den Angehörigen der Nachwelt in ihren Mausoleen besucht werden konnten. Nichts war von ihnen geblieben außer einer schier unvorstellbaren Zahl von Gräbern auf dem großen Hügel von Makli, einige Kilometer westlich von Thatta.

      Dreihunderttausend, fünfhunderttausend oder gar eine Million Menschen sollen hier im Laufe eines halben Jahrtausends begraben worden sein: Sultane, Minister, Generäle, Künstler, Dichter, Musiker, Sufis - aber auch eine unüberschaubare Zahl einfacher Sindhis hatten auf in den Hügeln von Makli ihre letzte Ruhe gefunden.

      Der Bus aus Karachi hielt genau am Eingang der Grabhügel, und der erste Blick fiel auf eine in der Gluthitze des Mittags flimmernde Wüstenlandschaft. Die Ticketverkäufer hatten vor der Hitze das Weite gesucht, so dass ich die größte Nekropole der Erde zum Nulltarif besuchen durfte. Allein und ungestört durchwanderte ich ein Freilichtmuseum der mohammedanischen Architektur und bestaunte Mausoleen mit großen Kenotaphen im Zentrum ihrer Höfe. Ich betrachtete die Portale mit ihren blau-weißen Glasuren und fuhr mit den Fingern über die Ornamentik persischer Schriftzeichen und Girlanden.

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       Sultansgräber auf dem Totenhügel der großen Nekropole von Makli

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      Je länger ich über das fünfzehn Quadratkilometer große Grabgelände wanderte, desto weiter zurück in die Vergangenheit führten die Gräber. Bald wurden die monumentalen Portale und Mauern seltener. Ich ging über ein Meer aus Steinen, zerbrochenen Schildern, Platten oder zerbröselten Steinplatten über die Gräber der Unzähligen. Gerade diese unscheinbaren Passagen des Makli-Hügels wurden von den Einheimischen am meisten besucht. Hier erhob sich über Millionen von Knochen eine grün gekachelte stillos-kitschige Moschee, in deren Umkreis sich die Wünsche der unfruchtbaren Frauen, der Gebrechlichen und der Armen mit den Anpreisungen der Obst-und Wasserverkäufer zu einer bizarren Melange der Hoffnung verbanden. So wie im Umkreis der Fürstengräber der Kontrast zwischen der Namenlosigkeit der Despoten und der Dauer ihrer Gräber frappierte, so überraschte auf den Feldern der einfachen Toten das völlige Fehlen jeglicher Ästhetik.

      Pilgergruppen aus Karachi, Thatta und Hyderabad entstiegen ihren Reisebussen vor dem Eingang der grünen Moschee, durchwanderten den Umkreis des Gotteshauses, beteten oder schliefen im Schatten und versammelten sich anschließend zu einem makabren Picknick auf dem Hügel der Toten. Manchmal improvisierten die Pilger auf den Gräberfeldern auch eine Art Freiluftmoschee, indem sie Teppiche über die Steine rollten, Pflöcke in die Erde steckten und über das gesamte Gelände große Ballen weißer Tuche spannten. Koran-Exemplare, Megaphone, und Schemel - nichts fehlte der Gemeinde, als sie sich im Licht des späten Nachmittags gen Mekka verneigte. Sogar Kanister mit frischem Wasser standen im Schatten der improvisierten Moschee für jedermann bereit, auch für einen Wanderer wie mich, der sich auf der Flucht vor der Sonne einfach in jeden Schatten floh, der sich erbot.

      Nach dem Besuch des Makli-Hügels fuhr ich mit einer Rikscha ins nahe gelegene Thatta. Die Metallstreben der Rikscha waren so heiß, dass ich sie nicht anfassen konnte, und mein Fahrer saß wie angeschweißt auf seinem Sitz. Die vor Hitze flimmernde Luft war voller Staub, und ich hatte nur noch einen einzigen Wunsch: Schatten und Kühle.

      Erwartungsgemäß war in Thatta der Hund begraben, und nichts erinnerte daran, dass die Stadt jahrhundertelang der Sitz der Sultane des Sindh gewesen war. Im Verlauf der turbulenten Stadtgeschichte waren Afghanen, Hunnen, Perser, Rajastanis und Mongolen nach Thatta gekommen und eines Tages, etwa um das Jahr 1625, hatte es auch den Mogulprinzen Kurram nach Thatta verschlagen. Er war der drittälteste Sohn des Großmoguls Jehangir und befand sich zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren auf der Flucht vor seinem Vater. In Thatta hatte er Aufnahme und Unterstützung gefunden, ehe sein Schicksal eine überraschende Wendung nahm und er zum Nachfolger des Kaisers aufstieg. Als Schahjahan, als „Kaiser der Welt“ aber blieb er seinem Fluchtort verbunden und beschenkte Thatta mit einer neuen Freitagsmoschee, der kleinen Schwester des Tadsch Mahal oder des Agra-Forts, die zur gleichen Zeit entstanden.

      Allerdings enttäuschte der erste Anblick. Die gewaltigen Kuppeln, die die Freitagsmoscheen von Agra, Lahore und Alt-Delhi krönen, fehlten hier völlig, ebenso die großen Minarette. Stattdessen war das Dach der Freitagsmoschee von dreiundneunzig kleinen Kuppeln überwölbt, deren räumliche Anordnung zu einer perfekten akustischen Durchdringung der Moscheeanlage beitrug: Was der Mullah an der Kibla-Wand in moderater Lautstärke aussprach, war in nahezu jedem Winkel des Gotteshauses zu hören.

      An diesem Nachmittag aber sprach niemand in der Moschee, und inmitten des großen Innenhofes konnte ich mich ganz der Stille ergeben. Braungelb wie die Wüste des Sindh war die Farbe des warmen Sandsteins, aus dem die Moschee erbaut worden war. Blau wie das Wasser des Arabischen Meeres leuchteten die Kacheln in den Gängen. In allen Farben der Basare schimmerten die Glasuren, Mosaike und Fayencen, und das Grün der Gärten rund um die Moschee erinnerte an das Paradies, in dem Allah die Rechtschaffenen und Gläubigen nach ihrem irdischen Leben empfangen wird.

      Mir hätte es schon genügt, es hätte einen Knall gegeben und ich wäre wieder in meinem Hotel in Karachi gewesen. Aber es nutzte nichts. Ehe ich auf dem Teppichboden der Moschee endgültig entschlief und den Bus verpasste, rappelte ich mich wieder auf und begann die lange Rückreise nach Karachi.

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       Innenhof der Schahjahan Moschee von Thatta

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      Die dritte Zivilisation

      Ein Besuch in Mohenjo Daro

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