Transasia. Von Karachi nach Beijing. Ludwig Witzani

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Transasia. Von Karachi nach Beijing - Ludwig Witzani страница 14

Transasia. Von Karachi nach Beijing - Ludwig Witzani

Скачать книгу

wenn der Vater etwas sagte, schaut er wohlgefällig drein, bei meinen Antworten verdüsterte sich seine Miene. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er mich im nächsten Moment angeknurrt hätte.

      Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Weit und breit war kein Licht mehr zu sehen. Ich stand auf und lockerte die oberste Pritsche und stellte sie in die Horizontale. Dann schwang ich mich mitsamt meinem Gepäck nach oben und legte mich zum Schlafen nieder. Die Schlaufen meines Rucksacks und meiner Fototasche befestigte ich an meinem Gürtel. Dann zog ich mir die Augenbinde über, drückte mir die Ohrstopfen in die Gehörwindungen und schlief ein.

      Mitten in der Nacht erwachte ich durch Dr. Muttars Schnarchen. Er hatte sich seine Schlafstatt in der Parterre gebaut und lag wie ein Walross unter einem weißen Bettlaken. Wie zum Teufel hatte er sich das Laken besorgt? Sein Sohn lag ihm gegenüber, hatte die Augen geschlossen und gab keinen Mucks von sich. Sanft ratterte der Zug durch die Nacht. Es war ruhig im Waggon. Nur das Tackern der Schienennähte war zu hören.

      Ich wachte auf, als der Zug in einen Bahnhof einfuhr. Es war noch dunkel, aber Dr. Muttar und sein Sohn schliefen noch immer. Auf einem Bahnhofsschild las ich „Rahimyar Khan“ Später sollte ich erfahren, dass wir uns in Rahimyar Kahn ganz in der Nähe der indischen Grenze befunden hatten. Weniger als 200 Kilometer trennten Rahimyar Khan von Jailsalmer und Bikaner in Rajastan, aber niemand außer den Schmugglern überschritt an dieser Stelle die Grenze.

      Kurz hinter Rahimyar Khan stand ich auf und erwarb von einem Steward, der mit einem Wagen mit Fladenbrot, Gebäck, Obst und Tee durch den Zug lief, zwei Bananen und einen Tschai zum Frühstück. Inzwischen waren auch Dr. Muttar und sein Sohn aufgestanden. Aus einer Pappschachtel aßen sie eine Pampe mit Reis und Hühnchen, die penetrant nach Curry roch. Als Dr. Muttar fertig war, tupfte er sich mit einer Serviette seinen fleischigen Mund ab und ließ ein Bäuerchen hören. Dankbar kicherte der Sohn.

      „Wir sind jetzt im Punjab“, begann Dr. Muttar erneut das Gespräch. „Wissen Sie, was Punjab bedeutet?“

      „Ja“, sagte ich, „Fünfstromland.“

      „Ja, richtig, aber welche fünf Ströme?“

      „Ich glaube, die bekomme ich nicht alle zusammen.“

      „Ich sage sie Ihnen: Indus, Jhelum, Sutlej, Chenab und Ravi.“

      „Danke.“

      „Wussten Sie, dass der Punjab die bevölkerungsreichste Region der Erde ist? Im Punjab leben über einhundert Millionen Menschen.“

      „In der Ganges-Ebene leben zweihundert Millionen Menschen“, wandte ich ein.

      „Pah, die Ganges Ebene!” widersprach Dr. Muttar. „Die Statistiken der Inder stimmen doch nicht. Da leben viel weniger Menschen als im Punjab.“

      Ich schwieg.

      Auch Dr. Muttar sagte nichts mehr und blickte aus dem Fenster. Meine Einwände schienen ihn zu ärgern. Außerdem hatten wir Verspätung.

      Kurz vor Bahawalpur überquerte der Zug den Sutlej auf einer große Brücke und fuhr nördlich Richtung Multan.

      “Wir steigen in Multan aus“, sagte Dr. Muttar.

      „Wie schade“, gab ich zurück.

      Zu meiner Überraschung verabschiedete sich Dr. Muttar mit Handschlag von mir, gerade so, als hätten wir uns prächtig unterhalten. Der Blick seines Sohnes blieb skeptisch.

      Wir standen fast eine Stunde auf dem Bahnhof von Multan, und es wurde von Minute zu Minute wärmer. Die Sonne des Punjab war womöglich noch kräftiger als die Sonne des Sindh. Anstelle der versprochene Aircondition verrichten zwei altersschwache Ventilatoren ihren Dienst an der Decke. Für die Nacht hatte ihre Leistung ausgereicht, am Tage gelang es ihnen gerade noch, die stickige Luft im Abteil gleichmäßig zu verteilen.

      Kurz vor der Abfahrt betraten zwei Backpacker das Abteil. Es handelte sich um Individualtouristen aus Polen mit entsprechend großen Rucksäcken. Ihre Namen waren Kuba und Tomek, und sie befanden sich auf einer Eisenbahnreise durch West- und Südasien. Seitdem vor einigen Jahren der Eiserne Vorhang gefallen war, traf man immer öfter auf Polen, Tschechen oder Rumänen auf den Backpackerpfaden der Welt. Es war fast so, als hätte sich ein Teil der studentischen Jugend dieser Länder vorgenommen, die globale Wandervogelbewegung der Hippiezeit im Schnelldurchgang nachzuholen.

      Beide sprachen ein passables Englisch, Kuba konnte sogar ein wenig Deutsch. Ich brachte immerhin ein „dzien Kuje“ und ein „dzien Dobry“ heraus, was die Stimmung entspannte.

      Kuba, ein kräftiger junger Mann mit muskulösen Oberarmen erzählte von ihrem Eisenbahn-Enthusiasmus und dass sie schon letztes Jahr auf der Transsibirischen Eisenbahn unterwegs gewesen seien. Nun waren sie schon seit zwei Monaten auf Tour und hatten Rumänien, Bulgarien, die Türkei und den Iran durchquert. Afghanistan als Zwischenziel musste leider entfallen, weil dort Bürgerkrieg herrschte. Deswegen hatten sie einen Umweg über den südlichen Iran eingeschlagen und waren über Kerman und Bam bis nach Zahedan gereist. Trotz eines gültigen Einreisevisums waren sie an der pakistanischen Grenzen zwei Tage festgehalten worden. Erst als weitere iranische Händler eingetroffen waren, wurden sie von einem halben Dutzend Soldaten in einem gesonderten Eisenbahnabteil nach Quetta, der Hautstadt Belutschistans, eskortiert.

      Kuba und Tomek erzählten ihre Reisegeschichten in Stereo, wobei der eine den anderen aber weniger unterbrach als ergänzte. In Quetta hätten sie das Hotel nicht verlassen dürfen. In der Nacht waren Schüsse gefallen, und einer der Soldaten, der ein wenig Englisch sprach, hatte ihnen erzählt, dass die Stadt von Aufständischen eingekreist sei.

      „Die ganze Provinz ist eigentlich besetztes Land“, erklärte Tomek. Belutschistan sei so groß wie Polen, habe aber nur vier Millionen Einwohner, von denen die Mehrheit inzwischen Punjabis und Sindhis wären, warf Kuba ein.

      Tomek bestellte eine zweite Runde Tschai. Aus einer Wasserflasche, in der sich Wodka befand, schenkte er jedem einen kleinen Schluck Alkohol in den Tee. „Der Russe braucht Bortsch, der Ukrainer Speck, und der Pole Wodka“, lachte Tomek. „Was braucht eigentlich der Deutsche?“

      „Ich weiß nicht … Bier?“ gab ich zurück.

      „Bier trinken wir auch,“ erwiderte Tomek und packte die Flasche wieder weg.

      So verging der halbe Tag, die Sonne stieg in den Zenit und es wurde unerträglich heiß. Kurz vor Harappa versagten die Ventilatoren ihren Dienst, und wir öffneten die Fenster so weit es ging. Irgendeine Kühlung ergab sich daraus nicht, denn der Fahrwind, der ins Abteil wehte, besaß die Temperatur eines heißen Föns auf Stufe drei. Schließlich folgten wir dem Beispiel der Einheimischen in den Normalabteilen, feuchteten Handtücher oder Waschlappen in der Zugtoilette an und legten uns die nassen Lappen in den Nacken. Es fühlte sich an, als hätte man eine warme Schlange im Genick, tat aber trotzdem gut.

      In Harappa stiegen Tomek und Kuba aus, um sich die zweite große Ruinenstadt der Induskultur neben Mohenjo Daro anzusehen. Ich überlegte, ob ich sie begleiten sollte, ließ es aber. Immerhin verabredeten wir uns locker in Lahore, das sie wahrscheinlich übermorgen erreichen würden.

      Mittlerweile war der Nachmittag angebrochen, und der Zug durchfuhr die weiten Ebenen des Punjab zwischen dem Chenab und dem Sutlej. Im Vergleich zum Sindh hatte sich das Landschaftsbild komplett verändert. Bis zum Horizont erstreckten sich die Felder, auf denen Getreide, Baumwolle, Reis, Zuckerrohr, Obst und Tabak angebaut wurden. Diese Fruchtbarkeit war die Folge eines gewaltigen Kanalsystems, das die Flüsse Jhelum, Chenab und

Скачать книгу