Veronika. Siegfried Ahlborn
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„Um sie zu sehen, müssen Sie bis zum Beginn der Schöpfung schauen, wo die Dunkelheit noch über den Wassern lag, wo dann das Licht aus der Dunkelheit geboren wurde, die Seele zu fühlen begann und schließlich die Erde als neuer Keim des Geistes in die Zukunft schaut. Dann sehen Sie die Idee, die der Engel trägt. Die Idee der Pflanze ist die Zeit und der Engel ergreift dieses Schauen in die Zeit als eine einheitliche Idee und gestaltet sie in den Raum der Erde.“
Während dieser Worte bewegte die Alte ihre Hände und Arme, als wäre sie selbst ein blumengestaltender Engel im Raum. Veronika bewunderte ihre Dynamik und konnte sich mit ihrer Hilfe tatsächlich in den Blütenformen und Blattgestaltungen das Werden des Kosmos vorstellen.
„Und wie verwirklicht der Engel seine Idee im irdischen Raum?“ wollte sie dann aber wissen. „Eine Idee ist ja nur eine Idee und brauchte einen Körper.“
„Haben Sie Durst?“ fragte die Alte, anstatt zu antworten. Und als Veronika das bejahte, führte sie sie zu einem kleinen Brunnen an der Hinterwand des Hauses, schöpfte etwas Wasser, gab es ihr und sagte:
„Trinken müssen wir alle und eine Pause tut uns auch gut.“
„Oh“, sagte Veronika begeistert, als sie von dem Wasser gekostet hatte. „Das schmeckt ja fabelhaft. Ich danke Ihnen. – Aber jetzt bitte noch einmal zurück zu dem Engel und seiner Idee. Ich sehe die Engel nicht.“
„Sie sehen sie doch“, sagte die Alte. „Sie erkennen sie nur nicht.“ Mit diesen Worten wandte sie sich den Blumen wieder zu, die in den verschiedensten Farben und in sauber angerichteten Beeten den Garten füllten und fuhr fort:
„Wenn ich auf die Blumen schaue, so sehe ich hier vor meinen Augen nicht nur die äußere Gestalt, Farbe und Form, sondern einen lichten Engel im kosmischen Raum, der hinter all dem steht, was wir hier als Pflanze sehen. Ich sagte ja – nicht wahr – die Engel gestalten und verlebendigen das Werden der kosmischen Zeit im Raum. Das ist die Idee und sie lebt als Empfindung in der Seele der Engel. Sie wurzelt nach unten in die Dunkelheit der Erde und erinnert an die Zeit, da das Licht noch nicht geboren war. Sie entfaltet ihre Blätter im Lichte der Erdoberfläche und erinnert an die Geburt des Lichtes im Raum, sie öffnet ihre Blüte den Strahlen der Sonne und wirft ihren Samen in eine neue Welt hinein. Das ist die Zeit im Raum: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem Bild und als Wahrnehmung des Werdens des Kosmos.“
„Aber irgendjemand muss dieser wunderbaren Idee der Zeit und ihrer Spiegelung im Körper der Pflanze doch physische Substanz geben, sonst könnten sie sich uns ja nicht im Raume zeigen“, beharrte Veronika.
Die Alte lächelte. „Gleich“, sagte sie, nahm Veronika bei der Hand und führte sie an das kleine Mäuerchen, das den Garten umsäumte. Dann deutete sie über die sich im Wind wiegenden Kornfelder, die sich Ähre an Ähre golden schimmernd über die angrenzenden Hügel erstreckten und sagte:
„Sehen Sie einmal über das Kornfeld hin. Was sehen Sie da?“
Veronika ahnte wohl, dass die Alte jetzt nicht einfach nur das hören wollte, was ihre physischen Augen sahen, sondern etwas ganz anderes. Aber das konnte sie nicht finden. Deshalb bat sie: „Sagen Sie es mir.“
„Sie müssen empfinden lernen, was Sie sehen“, sagte die Alte. „Um Gott zu finden, müssen wir zu ihm hingehen – stufenweise wie die Pflanzen. Und die erste Stufe ist die Wahrnehmung der Engel im übersinnlichen Raum. Öffnen Sie ihre Augen dem Phänomen, Veronika, und schauen Sie: Wenn Sie ihr Auge über das Korn schweifen lassen und diese Wahrnehmung mit einem Blütenfeld vergleichen, sehen Sie, dass sich hier die Ausgestaltungen der Blüten zu Gunsten der Früchte, also der Körner – die eine neue Welt in der Zukunft bedeuten –, geopfert haben. Über dem Feld und im Übersinnlichen lebt eine Aura des Verzichtes, des Opfers und der Hingabe an eine größere Aufgabe – der Ernährung von Tier und Mensch. Die Blüten sind gestorben und aus dem Tode heraus wird im Brot ein neues Leben entstehen.“
„Das ist wirklich ein wunderbarer Gedanke“, sagte Veronika, „aber noch einmal: Das Feld und die Ähren sind ja physisch da. Sie verschwinden ja nicht wie eine Idee. Wer lässt sie stehen bis zur Ernte? Und wir Menschen haben das Korn gezüchtet und aus wenigen Ähren viele gemacht. Richten sich die Seelen der Engel nach den Taten der Menschen?“
Über diese Frage war nun wiederum die Alte erstaunt – zögerte einen Augenblick und sagte dann:
„Die kosmische Idee, die die Engel tragen, ist eine Idee des Lichtes und eine Erinnerung an das Werden des Kosmos, aber sie verändert oder plant nichts. Sie spiegelt sich nur im Raum der Elemente. Und die Elemente der Erde, in denen sie sich spiegelt, sind gegenständlich und können vom Menschen verändert werden. Sie sind so gegenständlich, weil sie wiederum die Körper anderer Wesen sind.“
„Und was sind das für andere Wesen?“
„Das sind die Wesen der Elemente, der Erde, des Wassers, der Luft und der Wärme. Mann nennt sie auch Elementarwesen. Kinder sehen sie manchmal noch.“
„Aber ich sehe sie nicht“, beharrte Veronika.
„Das weiß ich wohl“, sagte die Alte nachsichtig. „Auch die Wesenheiten der Elemente werden Ihnen erst sichtbar, wenn Sie gelernt haben, Empfindungen zu sehen. Denn in den Elementen – Erde, Wasser, Luft und Feuer – empfinden sich Wesenheiten und die lassen sich nur mit Empfindungen sehen.
Und bedenken Sie, Veronika, Sie haben eben das Wasser genossen. Sie brauchen das Wasser zum Leben. Auch die Pflanzen brauchen das Wasser, um zu leben. Ihnen, Veronika, dient das Wasser dazu, um mit Ihrer Seele in ihrem Körper zu leben. Den Engeln dient es dazu, um ihre Empfindungen auf Erden sichtbar zu machen. Und da wir die Elemente der Erde verändern können, müssen sich auch die Engel nach diesen Änderungen richten. Wir können mit Hilfe der Elemente unterschiedliche Pflanzen züchten. Doch die Grundidee der Pflanze wird immer und in allen Pflanzen dieselbe sein; die kosmische Erinnerung ihres Werdens in der Zeit. Die Rose bleibt immer eine Rose, egal, ob sie rot, weiß, oder gelb ist, und der Baum bleibt immer ein Baum und wird kein Tier werden. Nur müssen sich die Engel in ihren Gestaltungen und Empfindungen nach den Elementen der Erde richten und erzeugen so die unterschiedlichsten Elementarwesen.“
„Müssen sich nach ihnen richten …“, wiederholte Veronika erschrocken. „Müssen sich auch meine Empfindungen nach meinen körperlichen Elementen richten und erzeugen Elementarwesen?“
„Ich denke schon“, sagte die Alte. „Nur ist es nicht so zwingend, wie in der Natur. Des Menschen Geist kann sich verändern und verwandeln und sich selbst beherrschen. Das macht ihn, wenn er es denn kann, unabhängig vom Zwang der Elemente und der irdischen Stoffe.“
„Dann muss ich meine Hormone aber in den Griff bekommen“, sagte Veronika nachdenklich. Die Alte schmunzelte.
„Gewiss!“ sagte sie. „In diesem Bereich ist alles möglich. Erst wenn wir noch näher an das Göttliche herankommen und uns von unseren persönlichen Empfindungen und Wünschen lösen, - wenn wir uns dieses Göttliche auch ganz anders vorstellen, als wir das gewöhnlich tun – erst dann werden wir frei.“
„Auch von unserer Schuld“, fragte Veronika leise. Sie war plötzlich wieder sehr nervös, ging ein wenig auf und ab und ließ die Alte einfach stehen.
Vor ihr erhoben sich zwei Krähen, die sich aber gleich wieder niedersetzten und sich nicht mehr aus den Augen ließen. Auf der kleinen