Veronika. Siegfried Ahlborn
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Und da tauchte plötzlich eine Erinnerung in ihrer Seele auf: Sie sah sich, wie sie sich als junge Lehrerin mit ihrer damals vertretungsweise übernommenen Klasse bei einem Gebirgsausflug in einem Höhlensystem verlaufen hatte. Sie hatte unvorsichtigerweise die Führung übernommen, weil kein Höhlenführer zu bekommen war und war mitsamt der Klasse vom Wege abgekommen. Die Höhle, in der sie sich befunden hatten, war weitläufig und bestand aus vielen Gängen. Sicherlich hätte man sie und die Kinder auch gefunden, wenn sie lange genug an Ort und Stelle geblieben wären, aber das hätte lange gedauert und die Kinder hätten das nicht ausgehalten. Deshalb hatten sie selbst nach einem Ausgang gesucht, aber sie hatten ihn nicht gefunden. Sie waren orientierungslos durch die langen, dunklen und feuchten Gänge geirrt und hatten sich gegenseitig Mut zugesprochen. Das Wasser, das durch die niedrige Decke auf sie herabgetropft war, und die Wurzeln der Bäume, die sie am Kopf gestreift hatten, waren nicht dazu angetan gewesen, ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu geben, sondern hatten sie wie fremde Wesenheiten nur noch mehr gequält und geängstigt. Es war unheimlich gewesen unter der Erde, spärlich beleuchtet, streckenweise sogar finster, und man hatte den Eindruck gehabt, dass man das Sonnenlicht niemals wieder sehen würde.
Die Kinder waren damals zwischen zehn und zwölf Jahre alt gewesen und hatten das Innere der Erde noch nie erlebt. Und Veronika hatte gehofft, sie nun nicht für immer erschreckt zu haben. Lange waren sie so im Gänsemarsch, sich teilweise an den Händen haltend, singend, weinend und lachend durch den Berg geirrt, bis sie plötzlich von weitem einen Lichtstrahl gesehen hatten und in diesem Lichtstrahl eine Blume. Diese hatte ihre Blüte der Sonne entgegenstreckt und hatte ausgesehen, wie ein auf sie wartender Engel des Lichtes und der Freiheit. Sie hatten den Ausgang erreicht.
An diesen Eindruck erinnerte sie sich jetzt: Die Blüte im Licht der Sonne – nach der langen Dunkelheit im Berg. Hatte sie da den Engel empfunden, von dem die Alte sprach? –
Oh ja, solch einen Engel, den hätte sie jetzt auch gebrauchen können, um die Dunkelheit ihrer Seele zu überwinden.
Sie wandte sich um, kam zur Alten zurück, setzte sich auf eine Bank, die in Reichweite des Hauses stand und fragte noch einmal: „Was ist das für ein Engel in der Pflanze?“
„Passen Sie auf“, erklärte die Alte geduldig: „Wäre die Pflanze eine so schöne, sich nach außen und zum Sonnenlichte hin orientierende Wesenheit, wenn sie nicht an Ort und Stelle mit dem Erdboden verwachsen wäre? Wäre sie so keusch und rein, wenn sie sich wie ein Tier oder wie ein Mensch über die Erde hinbewegte? Sie zeigt das nach außen, was Tier und Mensch nach innen verbergen: die Reinheit der Empfindungen im Hinblick auf das Licht der Sonne und auf das Werden der Zeit.
Sie zeigt uns in ihrer Farbe und Form die göttliche Reinheit der Erde in Verbindung mit der Göttlichkeit des Lichtes. Ihre Idee ist die Verbindung von Himmel und Erde und dessen Werden in Unschuld. Das ist der Engel.“
Veronika nickte versonnen, erhob sich und ging ein wenig auf und ab. Dabei wollte sie jetzt die Pflanzen einmal ganz anders sehen, als sie es sonst tat, musste dazu aber erst so ruhig werden, wie die Pflanzen selbst. Sie musste fast an Ort und Stelle stehenbleiben – jedenfalls innerlich. Dann sah sie es.
Sie sah in den Farben und Formen der Pflanzen nicht mehr nur ein äußeres Bild, sondern die Empfindungen übersinnlicher Wesen, die ihren Blick bis hinauf zu den Sternen richteten. Und plötzlich wusste sie, dass sie ihren Blick zu sehr an die einzelne Pflanze geheftet hatte. Sie musste ihn schweifen lassen, musste gleichzeitig die Sonne und die Sterne im Blick haben um zu sehen, dass die einzelne Blume tatsächlich nur ein örtliches Bild des ganzen Kosmos und seiner Bewegungen ist.
Sie begann mit dem Herzen zu sehen. Die Blumen begannen ihr etwas zu sagen, sie wollten ihr etwas Höheres mitteilen, das spürte sie. Aber verstehen konnte sie es noch nicht. Sie spürte nur eine große Sehnsucht, die von ihnen ausging. Eine Sehnsucht nach Erlösung. Aber wer wollte da erlöst werden? Der Engel oder die Elementarwesen?
„Laufe ich jetzt durch ein Meer der Reinheit?“ fragte sie die Alte.
„Ja.“
„Wollen die Engel, dass ich sie sehe?“
„Ja.“
„Rufen sie nach Erlösung?“
„Nein. Nach Erlösung rufen nur die Wesen, die die Idee der Engel im Raume binden. Das sind die Elementarwesen. Die wollen von uns erlöst werden, denn sie binden sich selbst im Raum.“
„Wie kann ich sie erlösen?“
„Wenn Sie sie so sehen, wie sie wirklich sind. Also wenn Sie in ihnen die Idee der göttlichen Zeit im Werden sehen. Dann heben Sie sie aus ihrem verzauberten Raum heraus. Man kann niemanden erlösen, den man nicht sieht. Wenn man ihn aber sieht, ist er schon erlöst. Geben Sie ihnen die Liebe des Betrachters, Veronika. Empfinden Sie ihre Sehnsucht wie die ihre, und schaue Sie sie dann so, wie sie selbst in Zukunft werden möchten: ein Wesen der Reinheit im Werden der Zeit. Dann kommt die Auferstehung und Erlösung wie von selbst.“
Veronika erschrak. Meinte die Alte mit den Worten der Erlösung ihr eigenes inneres Wesen?
Sie schaute um sich, wieder und immer wieder, und fragte dann:
„Wenn wir uns öffnen wie die Blumen, sind wir dann erlöst?“
„In Ihnen schreitet jetzt selbst ein Engel über die Erde hin, Veronika! Ein Engel für die Welt der Elementarwesen“, sagte die Alte begeistert. „Ihr Blick erlöst die Elementarwesen und führt sie selbst, Veronika, bis zu den Engeln hinauf.
Hören Sie, was die Engel Ihnen sagen:
Auf euch ihr Menschen warten wir seit langen, langen Zeiten.
Ihr ginget fort, wir blieben hier, konnten euch nicht begleiten.
Doch Dunkelheit war euer Los in Geistes Wissbegierde.
Die wuchs euch Menschen aus dem Schoß, zur eig‘nen Lust und Zierde.
Nun kommt ihr doch uns anzuschau‘n, wir sind‘s, sind rein geblieben.
So dürft ihr wieder auf uns bauen, aus reinen Liebestrieben.
Wir sind das Tor zur Götterwelt, die euch im Blute ruht.
Wir führen euch aus eurer Welt, nur dieser Weg ist gut.“
Die Alte verstummte und Veronika war tief bewegt und erschüttert. In ihrem Inneren rumorte etwas und klopfte an ihr Herz. Konnte sie tatsächlich auf diesem Wege erlöst werden?
Da legte die Alte die Hand auf ihre Schulter und sagte:
„Komm, ich lade dich zum Essen ein.“ Sie sagte „du“ und Veronika war damit zufrieden.
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