Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher
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Andächtig also saß ich inmitten der Bibliothek und blickte um mich herum. Der Raum war rechteckig und seine Wände vom Boden bis zur Decke mit Regalen verstellt. Diese wiederum steckten dicht an dicht voller Bücher. Die keinen Platz mehr stehend in den Fachböden gefunden hatten, lagen quer auf ihresgleichen oder aber schräg übereinander. Die Türe zum Rest des Hauses, Ein- und Auslaß gewährend, war, auch oberhalb des Sturzes, eingerahmt von den vollgestellten Regalen und wirkte aus meiner Sicht im ledernen Sessel mehr wie ein störender Fremdkörper, der das symmetrische Gefüge, die stille Erhabenheit des auf Papier gedruckten und dann in edle Tierhaut gebundenen Wortes, störte. Selbst die beiden Fenster zur Straße waren mit Büchern zugestellt, was mir, ich gestehe es beschämt, bisher überhaupt noch nicht aufgefallen war.
Keine Ahnung, wie lange ich so dagesessen bin, eine Stunde, vielleicht auch zwei oder aber auch nur eine halbe. Das Gefühl für Zeit hatte mich verlassen und war einem mir bis dahin unbekannten Zustand der Schwerelosigkeit, sowohl des Geistes als auch des Körpers, gewichen. Ich ließ nur die vielen hundert Buchrücken drum herum, stehend, liegend, zur Seite gekippt, nicht im Einzelnen, sondern in ihrer geballten Masse aus den Regalen auf mich einwirken. Als ich aus meiner Trance erwachte, war gut die Hälfte des Weins getrunken, obwohl ich mich weder dessen noch daran nicht erinnern konnte, überhaupt das Glas gefüllt zu haben.
Dann aber war der Rausch, ebenso unerwartet wie er mich überfallen hatte, auch wieder verschwunden und übrig blieb die Wärme des Kerzenlichts, sein flackernder Tanz über die Bünde der Buchrücken und die Schatten, die sich an der Decke wanden. Ich stand aus meinem Sessel auf und schritt langsam die Buchgestelle ab, suchte ein System, eine Ordnung oder einfach nur ein Prinzip zu erkennen, nach dem die gebundenen Schriften sortiert sein konnten.
Die oberen Regalfächer waren in erster Linie mit einer erstaunlichen Anzahl Lexika, kunsthistorischen Bänden und sonstigen Nachschlagwerken über die Erde, die Kontinente und Länder sowie deren Fauna und Flora gefüllt.
Eine ganze Regalseite rechts neben der Tür war vollständig meist großformatigen Werken der Ägyptologie vorbehalten. Selbst ein Handwörterbuch fand sich an, in dem der Versuch unternommen wurde, ägyptische Hieroglyphen in kastilisches Spanisch zu transkribieren. Ich nahm mir vor, mich mit diesem exotisch anmutenden Buch in nächster Zeit einmal intensiver zu beschäftigen. Es interessierte mich ob seiner Fremdartigkeit.
Ein weiteres Regal war ausschließlich mit Reisebeschreibungen und den Schilderungen von Expeditionen in ferne Länder bestückt.
Dann stieß ich auf eine erste Merkwürdigkeit, die mich in nicht geringes Erstaunen versetzte. Es handelte sich um drei großformatige dicke Lederbände ohne Rückenschilder oder sonstige Titelprägung, die mit jeweils einer metallenen Buchschließe verschlagen waren. Auch die Ecken waren mit einem ziselierten Metallschutz verziert. Die Bände riefen einen ehrfurchtsvollen Eindruck bei mir hervor, so wie es, trotz meiner freigeistigen Einstellung, zum Beispiel eine alte Familienbibel täte. Als ich die Schließen aufschlug, war ich deshalb um so erstaunter, drei vollständig gebundene Jahrgänge der deutschen Zeitschrift Die Gartenlaube vorzufinden. Es handelte sich um die Jahrgänge 1875 bis 1877 und so weit ich es auf den ersten Blick beurteilen konnte, befanden sie sich in allerbestem Zustand. Derartiges hatte ich nun nicht erwartet. Sofort kam mir die Frage in den Sinn, ob Senyor Marrasca vielleicht sogar der deutschen Sprache mächtig war, obwohl weder Don Remigio noch sein Kollege Don Basilio etwas dergleichen angedeutet hatten.
Andererseits aber konnten die Folianten durch tausendundeinen Grund in die Bibliothek verschlagen worden sein, es ließ sich durch ihre Existenz hier kaum zwingend auf das fremdsprachliche Vermögen des Raben schließen.
Davon abgesehen war ich zunächst einmal erfreut, einige Bücher in der Sprache meiner Heimat zu entdecken und blätterte sogleich in den einzelnen Ausgaben des ersten Bandes hin und her, bis ich in Heft 40 aus dem Jahr 1875 auf folgende Notiz stieß:
Noch einmal „Ein Verbrecher unter den Fischen“.
Seitdem mein Artikel über den chinesischen Großflosser (Macropodias) in der Gartenlaube erschienen ist, haben sowohl die Redaktion dieses Blattes wie auch ich zahlreiche Aufragen aus Deutschland erhalten, wie man sich den Fisch für Aquarien verschaffen könne? Diesen geehrten Herren Korrespondenten diene zur gemeinsamen Antwort, daß sie sich an Monsieur Carbonnier, Pisciculteur, 20 Quai du Louvre in Paris, wenden mögen. Der Fisch verträgt, meines Erachtens, die Versendung nach den entferntesten Gegenden, da er selbst in schlechtem, stinkendem Wasser ganz vergnüglich lebt. Da ich Herrn Carbonnier im Anfange October in Paris zu sehen gedenke, so wird es mir ein Vergnügen sein, ihn auf die Bestellungen aus Deutschland aufmerksam zu machen und die nöthigen Vorsichtsmaßregeln mit ihm zu besprechen.
Roscoff (Departement du Finistère), den 15. Sept. 1875.
Carl Vogt.
Die kleine Notiz war mir aus zwei Gründen aufgefallen. Zum einen hatte die Bindung einen Bruch, wie er entsteht, wenn die Seiten an ein und derselben Stelle häufig aufgeschlagen und auseinandergedrückt werden, so daß sie sich beim flüchtigen Durchblättern quasi von selbst an dieser Passage öffnen. Zum anderen fiel mir die Notiz sofort ins Auge, weil jemand mit einem rotfarbenen Stift rechts und links von ihr mehrere dicke Striche auf das Papier gezogen hatte.
Weder in diesem noch in den anderen beiden Bänden fand ich trotz mehrfacher Durchsicht eine ähnliche Markierung eines Textes. Im Gegenteil, die übrigen Ausgaben der Gartenlaube machten einen ungelesenen, fast druckfrischen Eindruck auf mich. Lediglich die oberen Ränder waren, wahrscheinlich durch entsprechenden Lichteinfall, mäßig angegilbt.
Aus dem Text selbst wurde ich nun rein gar nicht schlau, demzufolge konnte ich mir nicht den geringsten Grund vorstellen, warum wer auch immer, ihn durch die auffälligen Anstreichungen mit rotem Stift hervorgehoben hatte.
Der Fund, mußte ich noch im Augenblick seiner Entdeckung mir eingestehen, sorgte eher für zusätzliche Verwirrung, als er zur Klärung der ohnehin schon verzwickten Lage beigetragen hätte. Ich hielt es für sehr unwahrscheinlich, daß Don Xavier den Umgang mit Zierfischen und deren Aufzucht und Pflege in Aquarien zu seiner bevorzugten Freizeitbeschäftigung zählte. In seinem Haus, das ich jetzt bewohnte, fanden sich jedenfalls keinerlei Hinweise darauf. Außerdem wäre ein solches Steckenpferd in dem Umfeld eines kleinen Ortes wie Artà nicht unbemerkt, und vor allen Dingen, durch die Öffentlichkeit nicht unkommentiert geblieben, so daß Don Basilio mit Sicherheit davon berichtet hätte.
Aber es war ja auch nicht klar, ob der Rabe die Hervorhebung der Notiz vorgenommen hatte oder irgendein Unbekannter. Es war ja nicht einmal klar, ob er sie überhaupt lesen konnte, die Wahrscheinlichkeit sprach eher dagegen. Was aber suchten dann drei Jahrgänge einer deutschen Zeitung in seiner Bibliothek und wie sind sie dahin gekommen?
Artà war ein kleines Städtchen auf Mallorca, einer Insel im Mittelmeer und selbst auf dieser eigentlich recht abseits gelegen. In Palma oder vielleicht noch in Manacor konnte ich mir das Auftauchen derartiger bibliophiler Exoten angelegentlich einer besonderen Fügung gerade so vorstellen, aber daß sich ein solcher Zufall ausgerechnet nach Artà verflogen haben sollte, kam mir dann doch zu unwahrscheinlich vor.
Was aber hatte Senyor Marrasca mit einem Fischzüchter in der französischen Hauptstadt zu tun? Oder wenn nicht mit diesem, dann mit dem Verfasser der Zeilen, einem gewissen Carl Vogt? Ich nahm mir vor, über beide Erkundigungen einzuholen, vielleicht gab es ja Berührungspunkte mit dem Raben.
Die