Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher
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Mir selbst blieb die große Haushaltskladde, die ich zu bearbeiten schon begonnen hatte und ansonsten wartete ich auf die briefliche Antwort meiner Mutter, die frühestens in zwei bis drei Wochen eintreffen konnte. Die Arbeit an der Kladde war nun nicht gerade aufregend zu nennen und ich versprach mir nach den schon bearbeiteten Jahrgängen keine großen Erkenntnisse davon. Aber untätig herumsitzen und auf den Brief meiner Mutter warten wollte und konnte ich auch nicht. Also fügte ich mich in mein Schicksal und tröstete mich mit den abendlichen Zusammenkünften der beiden capellàs, die zunehmend einen rituellen Charakter anzunehmen schienen, was durchaus positiv gemeint und uns auch allen bewußt war.
Parallel zu meinen Nachforschungen im Haushaltsbuch der Marrascas wollten Don Remigio und Don Basilio in ihren jeweiligen Kirchenbüchern und den sonstigen Aufzeichnungen der Gemeinden nach Besonderheiten oder Auffälligkeiten, die in einem Zusammenhang mit den Marrascas oder meinem Erbe stehen konnten, recherchieren. Mehr konnten wir im Moment nicht tun, sagten wir uns. Auf jeden Fall fiel uns gegenwärtig nicht mehr ein, das traf die Situation weitaus besser, wie sich in der Folge herausstellen sollte.
Zeile um Zeile, Seite um Seite ging ich die Kladde durch, las von Mehl, Bohnen, Erbsen, Schweine-, Lamm- und Ziegenfleisch, das die Marrascas eingekauft hatten und das längst den Weg alles Irdischen genommen hatte, ebenso wie die Marrascas selbst, fügte ich sarkastisch in meinen Gedanken an. Es war ermüdend und nicht gerade aufbauend, so manche zusätzliche Flasche Wein aus dem Kellerverschlag half mir nur unzulänglich über die Eintönigkeit der Aufgabe hinweg.
Während der abendlichen Treffen in der Bar El Ultim tauschten wir die Erkenntnisse aus, zu denen wir tagsüber gekommen waren, doch allzuviel war es nicht, was des Tauschens wert gewesen wäre.
Weder Don Remigio noch sein Amtsbruder Don Basilio fanden verwertbare Hinweise auf unsere Sache und auch ich konnte nicht mehr zum Fortschritt der Aufklärung beitragen, als daß in dem einen Jahr einige Säcke Kartoffeln oder Reis mehr eingekauft worden waren als in dem Jahr zuvor oder dem danach. Nichts Auffälliges, nichts, das die Normalität des Einerleis durchbrochen, nichts, das mehr als einen müden Augenaufschlag verdient hätte.
Durch Vermittlung Pablos, dessen Onkel beim ayuntament arbeitete, konnten wir sogar die amtlichen Akten einsehen. Aber auch hier fanden sich keinerlei in unserem Sinne verwertbare Hinweise oder Spuren.
Es war wirklich zum Verzweifeln.
Und dennoch ermunterte mich das Schreiben Don Xaviers geradezu, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und lockte mit mehr oder weniger versteckten Hinweisen, die angeblich im Laufe der Zeit zu entdecken waren und mir Richtschnur und Anleitung zum Handeln sein sollten.
Abends haderten wir mit uns selbst. Was hatten wir übersehen? Es mußte irgend etwas geben, ein winziges Detail vielleicht, das offen vor unseren Augen lag, nur, daß wir mit der sprichwörtlichen Blindheit geschlagen waren und es nicht sahen. Dieser Vorwurf traf in erster Linie mich selbst und keinen anderen.
Zwar sprach es niemand von uns aus, aber der Gedanke schwebte, unsichtbar gewiß und dennoch zum Greifen nahe, über unseren Treffen: wir waren eindeutig überfordert. Es gab nur zwei Möglichkeiten, die ernsthaft in Betracht zu ziehen waren. Entweder wir bastelten uns eine völlig aus der Luft gegriffene Verschwörungstheorie zusammen, die jeglicher Grundlage entbehrte und nur in unseren Köpfen herumspukte. Wenn dem so war, handelte es sich bei der Botschaft Don Xaviers, den Fotografien mit meinem Großvater und überhaupt meinem ganzen Erbe um eine Anhäufung von Zufällen, die zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich war. Es soll in der Geschichte schon ganz andere Geschicke gegeben haben, die das Gefüge der Welt gehörig durcheinander brachten. Gegen diese Annahme allerdings sprach das unverhohlen gezeigte Interesse des Episkopats und die offen ausgesprochene Drohung an die Adresse Don Remigios.
Oder aber Don Xavier und wer sonst noch dahinter stecken mochte, hatten die Angelegenheit mit einer Schläue und Raffinesse eingefädelt, der wir uns, zumindest bisher, nicht gewachsen zeigten. Träfe diese Annahme zu, gäbe es wiederum zwei Möglichkeiten: entweder wir dachten zu einfach, oder wir dachten zu kompliziert.
Bis zu diesem Punkt der Einschätzung waren wir drei uns einig. Während allerdings die beiden frare davon ausgingen, wir hätten es uns zu einfach gemacht, neigte ich eher zu der gegenteiligen Ansicht.
Übereinstimmend beurteilten wir hingegen unsere Herangehensweise. Bisher hatten wir nach Dingen gesucht, von denen wir ausgingen, sie seien vorhanden und wir müßten sie lediglich erkennen. Das war insofern schwierig, da wir keinerlei Vorstellungen davon hatten, nach was wir eigentlich suchten.
Als Konsequenz daraus mußten wir unsere Nachforschungen auf die Dinge konzentrieren, von denen wir eine Vorstellung hatten, die aber nicht da waren, so daß wir sie auch gar nicht erkennen konnten. Die Frage war also: was fehlte?
Da war zunächst einmal das Fehlen jeglichen Hinweises, und sei er noch so unscheinbar, auf die finanziellen Einnahmen Don Xaviers, von denen er seine umfangreichen Ausgaben bestritt. Wo kam das Geld her, mit denen die Marrascas ihren Lebensunterhalt bezahlten, mit dem sie ihre Reisen finanzierten, auf denen sie, wie entsprechende Einträge in der Kladde bewiesen, zwar nicht in Saus und Braus aber doch in angemessenem Komfort recht ordentlich lebten.
Wir waren uns im Klaren, daß wir der Lösung des Geheimnisses um ein gutes Stück näher gekommen waren, sollte es uns gelingen, diesen Punkt zu enträtseln. Es war geradezu unwahrscheinlich, daß nicht irgendwo ein Fingerzeig, eine Andeutung aufzufinden war, die vielleicht der Anfang einer Spur sein könnte. Niemand war so perfekt, einen nicht unwesentlichen Teil seines Lebens hermetisch vor der Umwelt abzuschirmen und geheim zu halten, ohne daß ihm nicht an irgendeiner Stelle ein kleiner Fehler, ein Versehen oder einfach nur das Übersehen eines Schnipselchens unterlief. Auch nicht Xavier Marrasca, so sorgfältig, genau und gerissen er immer gewesen sein mag. Da war ich mir sicher.
Es war durchaus möglich, daß der Ursprung des Vermögens in der Vergangenheit Don Xaviers, eventuell sogar in seinem Heimatort, zu finden war. Dann mußten wir seinen Weg vom ersten Auftauchen in Artà zurück in die Berge der Serra de Tramuntana verfolgen und sehen, ob wir dort fündig wurden. Dabei war es eher unwahrscheinlich einen lebenden Menschen aufzutreiben, der Don Xavier noch persönlich gekannt haben und sich klaren Kopfes auch daran erinnern konnte. Aber vielleicht gab es andere Anhaltspunkte.
Wir saßen zusammen auf meiner Dachterrasse, die beiden capellas und ich, schauten in die Strahlen der untergehenden Abendsonne, die sich in unseren Gläsern brach und den Wein zum Funkeln verleitete. Einen Moment lang sprach keiner von uns, ein jeder hing seinen Gedanken nach, die sich indes alle um dasselbe Thema wanden. Wer war Xavier Marrasca, womit hat er sein Geld verdient?
Don Basilio machte sich auf den Weg nach unten, weil ein gewisses Bedürfnis ihn zwang, das lavabo aufzusuchen. Als er nach einer Weile wieder auf der Terrasse erschien, wirkte er noch etwas nachdenklicher als vordem.
„Die Bücher“, sagte er dann zu uns, „die Bücher“, wiederholte er und hielt mitten im Satz inne.
„Basilio sprich nicht in Rätseln, ich bitte dich. Was ist mit den Büchern?“, antwortete Don Remigio und sah ihn fragend an.
„Na, um ins lavabo zu kommen, muß ich durch die Bibliothek. Zweimal, um genau zu sein. Einmal auf dem Hinweg und einmal beim Zurückkommen. Und bei Letzterem fiel mir auf, daß Don Xavier jede noch so kleine Ausgabe in dieser vermaledeiten Kladde da verzeichnet hat. Auf all den vielen Seiten aber findet sich keine einzige Eintragung über den Kauf eines Buches. Nicht eine, Don Diego hat alles gewissenhaft durchforscht, Zeile für Zeile, Blatt um Blatt. Das ist doch merkwürdig. Da unten in der Bibliothek stehen schätzungsweise 2000