Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher
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Álvaro aber saß, wie seit Wochen schon, auf seinem Stammplatz nahe der Küchentür und träumte von einer gemeinsamen Zukunft mit der begnadeten Köchin.
fünf / cinc
Wohl wird sich der geneigte Leser eine Vorstellung davon machen können, wie stark die Ungewißheit war, in der ich mich befand. Nicht nur meine eigene Person war ja von der Rätselhaftigkeit der Ereignisse betroffen, meine Familie, so schien es zu diesem Zeitpunkt wenigstens, war es ebenso. Dessen ungeachtet aber war ich mir sicher, trotz aller Obskurität und Verschwommenheit bestand ein dunkler Zusammenhang zwischen den Zufällen, die sich längst nicht mehr als solche darstellen konnten. Genauso sicher nagten auch die Zweifel an mir, hängten sich gewaltige Fragezeichen in die so unbeschwert begonnene Alltäglichkeit, die ich nicht einfach zur Seite wischen konnte, als wäre nichts geschehen. Egal was letztendlich dabei herauskam, ich war fest entschlossen, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen, und wenn meine Beharrlichkeit mich auch aller Illusionen der Vergangenheit und der Zukunft berauben sollte.
Die nunmehr täglichen Zusammenkünfte mit Don Remigio, der jetzt gleich mir dazu übergegangen war, sein Nachtessen regelmäßig in der Bar El Ultim einzunehmen, und vor allen Dingen der Wein, der diese Abende begleitete, sorgten für eine ausgezeichnete Nachtruhe. Scheinbar traumlos schlief ich, unbehelligt durch Nachtmahre und gespenstische Gedanken, von dem Augenblick, in dem ich meinen Kopf in das Kissen legte, bis zum Gezwitscher der Vögel, das den anbrechenden Morgen des nächsten Tages verkündete.
Erst beim Kaffee und der ensaimada, die ich als frühes Essen zu mir nahm, begannen die Grübeleien, die mich dann den Tag über begleiteten und für unterschiedliche Stimmungen sorgten.
An dem Morgen, der auf Don Basilios Bericht über das Leben des Raben folgte, wollte ich der Schublade gerade die Haushaltskladde entnehmen, um damit zu beginnen, die einzelnen Ausgabenposten mühsam nach Merkwürdigkeiten zu durchforsten, als mir das Päckchen mit den Briefen wieder in die Hände fiel. Ich hatte es über die anderen Ereignisse aus meinem Gedächtnis verdrängt.
Aufgrund des seidenen Bandes, das die Briefe zusammenhielt, schloß ich auf einen sehr persönlichen Inhalt der Schreiben von Don Xavier an seine esposa oder aber umgekehrt von Dona Maria an ihn. Nach wie vor war ich der Meinung, nicht das Recht zu haben, mich in die Intimität zweier Menschen zu drängen. Ich hatte Hemmungen, die Briefe zu lesen, betrachtete es als eine Indiskretion, die mir keinesfalls zustand, auch oder gerade, weil die beiden Menschen, um die es hier ging, nicht mehr unter den Lebenden weilten. Denn die Intimsphäre, war ich der Meinung, wird durch den Tod nicht aufgehoben.
Doch als ich das schmale Bündel in den Händen hielt, überkam mich die Versuchung, einen Blick hineinzuwerfen. Ich suchte Rechtfertigung in meiner eigenen Situation und gaukelte mir eventuelle neue Informationen vor, die die Briefe enthalten könnten. Also verletzte ich, wenn auch schlechtesten Gewissens, die Grenzen, die ich selbst mir gesetzt hatte, zerrte das Seidenband vom Papier und begann, noch auf dem Fußboden der Bibliothek hockend, ein Schreiben nach dem anderen zu lesen.
Als ich fertig war, ordnete ich die Schriftstücke in der gehabten Reihenfolge, knüpfte das Seidenband darum und war froh, nicht im grellen Sonnenlicht der Öffentlichkeit zu sitzen, sondern im Halbdunkel der Bibliothek. Ich schämte mich abgrundtief für den Bruch des mir selbst auferlegten Feingefühls.
Unschwer schon an der Handschrift zu erkennen, waren alle Schreiben von Don Xavier verfaßt und an seine esposa, Dona Maria, gerichtet. Weder habe ich vordem noch jemals wieder danach Zeilen größerer Zärtlichkeit und Zuneigung eines Menschen an einen anderen gelesen, die mit dem Wort Liebe nur unzulänglich wiedergegeben wären. Sicher habe ich als Ausländer fremder Zunge die Texte in català nicht in ihrer vollen Schönheit und Poesie erfassen können. Aber ich habe das, was ich verstand, ermessen und den Rest taktvoll erahnt.
Damit nicht ein anderer nach mir einstmals derselben Indiskretion erliegen konnte, der ich erlag, hatte ich in diesem Augenblick beschlossen, die Briefe des Don Xavier an Dona Maria zu verbrennen, um weiteren Mißbrauch ein für alle Mal auszuschließen.
Und so geschah es dann auch. Aus einem zinkenen Eimer auf der Dachterrasse in der Carrer Major kräuselte sich heller Rauch in den wolkenlosen Himmel über Artà und bewahrte das Geheimnis zweier verstorbener Menschen vor der Gewöhnlichkeit lebender Dritter.
Sodann legte ich mir einen Stapel Papier sowie einige Stifte bereit und schlug die Kladde auf. Sollte sie eine versteckte Botschaft, ein Geheimnis enthalten, ich war fest entschlossen, es ihr zu entreißen.
Meine Vorgehensweise war denkbar einfach. Ich ging die einzelnen Positionen Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat durch und strich zunächst die, die ich dem täglichen Bedarf an Nahrung zuordnete und die sich mit wenigen Ausnahmen ständig wiederholten. Es handelte sich im Wesentlichen um Brot und verschiedene Backwaren, Bohnen, Reis, ab und zu ein Huhn, Würste und Schinken, hin und wieder Fleisch wie Lamm und Zicklein, Wein und Kleinigkeiten aller Art, eben all die Dinge, die Senyora Marrasca nicht selbst in ihrem Garten anbaute oder großzog. Auf einem gesonderten Blatt notierte ich den jeweiligen Artikel und machte dann Striche dahinter, je nach der Häufigkeit seines Vorkommens im Laufe eines Jahres. Das tat ich nicht, um die Eßgewohnheiten der Marrascas nachzuvollziehen, sondern um eventuellen Auffälligkeiten auf die Spur zu kommen.
Nachdem ich die Nahrungsmittel eines Jahres abgearbeitet hatte, verfuhr ich ebenso mit den Einkäufen, die zur Aufrechterhaltung des Haushalts notwendig waren, Töpfe, Pfannen, Gefäße unterschiedlichster Art, aber auch Seifen und Gartengeräte, Ziegel und Hölzer, die offensichtlich zum Erhalt der baulichen Substanz eingesetzt wurden. Auch hier notierte ich jeden einzelnen Posten auf einem gesonderten Blatt und seine Häufigkeit mit einer Strichliste.
Als Nächstes wollte ich die übrig gebliebenen Positionen, die sich in keines der beiden Schemata einordnen ließen, auflisten. Doch ich fand keine, zumindest nicht während der Prüfung der ersten Jahre.
Die Kladde begann mit dem Januar des Jahres 1886 und endete mit dem Dezember 1931, umfaßte also insgesamt 46 Jahre. Pro Monat hatte Don Xavier in zierlicher Schrift etwa eine Seite benötigt, in späteren Jahren manchmal zwei. Die Zeiten seiner Abwesenheit waren nicht erfaßt. Mal war er drei oder vier Monate im Jahr auf Reisen, in einzelnen Jahren auch nur zwei. Ich schätzte, daß er im Durchschnitt etwa neun Monate zuhause in Artà, die restlichen drei Monate hingegen in der Fremde weilte.
Schnell hatte ich die ersten zehn Jahre durchgearbeitet und keinerlei Auffälligkeiten entdecken können. Die Ausgaben hielten sich insgesamt durchaus im normalen Rahmen, umfaßten eben all die Dinge, die ein Haushalt dieser Größenordnung benötigte, nicht unübersehbar mehr oder weniger. Sicher, die große festa, die die Marrascas einmal jährlich veranstalteten und ab und zu eine abendliche Einladung an den einen oder anderen Würdenträger des Städtchens, erhoben das Jahresbudget über das eines vergleichbaren Durchschnitthaushalts, doch diese Mehrausgaben waren durch den Aufwand durchaus erklärbar und somit nicht als ungewöhnlich oder gar sonderbar zu bewerten.
Nachdem ich die Anfangsjahre durchgearbeitet hatte, schwirrte mir der Kopf vor Zahlen, Positionen und Bezeichnungen, die ich mir teilweise erst erarbeiten mußte, da die Schrift Don Xaviers zwar klar und deutlich war, er aber unterschiedliche Abkürzungen benutzte, die ich in detektivischer Kleinarbeit erst zu entziffern hatte. Unterdessen schickte die Sonne ihre letzten untergehenden Strahlen an die Küste von Canyamel, es würde binnen kurzer Zeit dunkel werden. Also räumte ich meinen Platz auf der Dachterrasse, die Kladde verstaute ich an ihrem gewohnten Platz in der Bibliothek und begab mich nach alter Gewohnheit in die Bar El