Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher
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Diesen offensichtlich auch, denn gleich mir aß er schweigsam andächtig aber mit sichtlichem Genuß. Don Remigio wußte die Kunst, ein außergewöhnliches Mahl zu bereiten, durchaus zu schätzen. Geduldig brachte er mir die dafür notwendigen Kenntnisse bei und schulte meine Geschmacksnerven bis auch ich meine rauhen teutonischen Eßgewohnheiten zu Gunsten der verfeinerten mediterranen abgelegt hatte.
Aber auch das Paradies kann, ganz im Gegensatz zur Aussage von Don Remigios Arbeitgeber, nicht ewig währen. Nachdem wir die letzten Reste unseres Nachtmahls mit Brot von den Tellern gesogen, aufgegessen, einen Schluck Wein getrunken und für einen Moment im Gedenken an das soeben Genossene die Augen geschlossen hatten, erinnerte mich der pare unbarmherzig an sein Anliegen.
„Lassen Sie uns über allen irdischen Freuden nicht vergessen, was uns beide bewegt. Im Übrigen kann ich nach diesem Essen verstehen, warum Ihr Chauffeur so hartnäckig der guten Bienvenida nachstellt, das sei nur nebenbei bemerkt. Aber zurück zu unserem gemeinsamen Anliegen: wo, Don Diego, haben Sie den Ring her, den Sie da am Finger Ihrer rechten Hand tragen, gerade wie die Person auf den Fotografien?“
Also erzählte ich Don Remigio, daß mein Vater den Ring nach seinem Tod für mich bestimmt, so wie sein Vater Gleiches mit ihm getan hatte und ich den Ring an meinen männlichen Nachkommen, so ich dereinst einen solchen haben werde, vererben würde. Mir wäre nicht bekannt, ob der Vater meines Großvaters ihn schon besessen, oder gar hatte anfertigen lassen, auf jeden Fall aber sei er, der Ring, irgend etwas zwischen 120 und 160 Jahren alt und seitdem, meines Wissens jedenfalls, ununterbrochen im Besitz unserer Familie.
Der pare nickte, winkte Consuela um neuen Wein und steckte sich dann eine Zigarre beachtlichen Ausmaßes an. Behaglich schloß er die Augen, zog an der Zigarre und ließ kleine weiße Rauchwölkchen in die Luft steigen.
„Und Ihr Vater, der Ihnen den Ring vererbt hat, war der jemals hier auf der Insel, oder Ihr Großvater, der diesen Ring Ihrem Vater vermachte vielleicht? Ich meine es wäre ja immerhin möglich, bei der Ähnlichkeit, die der Fremde auf den Fotos mit Ihnen hat, daß es sich um Ihren Vater oder Großvater handelte. Dann hätten wir zumindest eins der Rätsel gelöst, das mit dem Ring. Und ein Neues aufgetan, nämlich das, welche Verbindung zum Ehepaar Marrasca bestand. Ach ja, so ist es nun mal, schließt man das eine Leck, reißt man sofort ein neues auf. Finden Sie nicht? Ein Merkmal des Lebens, glauben Sie einem ungläubigen capellà. Also, wie sieht es aus, wissen Sie, ob einer Ihrer Vorfahren jemals unsere schöne Insel besucht hat?“
An diese Möglichkeit hatte ich in meiner Aufregung noch gar nicht gedacht. Don Remigio hatte recht, das wäre eine einleuchtende Erklärung für die unverkennbare Ähnlichkeit der aufgenommenen Person mit mir. Und auch eine Erklärung für den Ring an unseren Fingern. Ich überschlug im Kopf die wenigen Fakten, die ich zur Verfügung hatte. Bei meinem Vater konnte ich einen Besuch auf Mallorca ausschließen. Er war zwar vielfach hin- und hergereist, dabei aber, jedenfalls soweit ich es beurteilen konnte, stets innerhalb der Grenzen deutscher Lande geblieben.
Bei meinem Großvater war mein Überblick über seine diesbezüglichen Aktivitäten schon wesentlich lückenhafter. Ich selbst hatte ihn nie bewußt kennengelernt, er verstarb zu einer Zeit, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, ich war damals zwei Jahre alt. Aus Erzählungen meiner Eltern kannte ich ihn als unternehmungslustigen Mann, immer auf der Suche nach neuen Eindrücken, der auch die Strapazen einer weiten Reise nicht scheute, seinen Horizont zu erweitern. Doch, ich hielt es durchaus für möglich, daß mein Großvater Mallorca besucht hatte, und beantwortete die Frage des pare in diesem Sinne.
„Außerdem“, fügte ich hinzu, „haben meine Eltern und andere nahe Verwandte immer betont, wie sehr mein Aussehen dem meines Großvaters ähnelte. Sobald während einer Familienfeier jemand dieses Thema anschnitt, zog sich mein Vater aus Spaß in einen Schmollwinkel zurück und tat beleidigt, weil er seinen Anteil an meiner Existenz nicht genügend gewürdigt sah.“
Ich fragte Don Remigio, ob er sicher sei, daß die Fotos überhaupt auf der Insel gemacht wurden. Vielleicht war ja mein Großvater nicht nach Spanien, sondern das Ehepaar Marrasca nach Deutschland gereist. Oder aber man habe sich in irgendeinem anderen Land, zufällig oder nicht zufällig getroffen. Der vorstellbaren Varianten waren nicht wenige.
„Mit Sicherheit kann ich nur sagen, daß die Aufnahmen nicht in Artà gemacht wurden. Vielleicht in Manacor oder in Palma. Es wird schwer sein, das herauszufinden. Andererseits müssen sie vor der Jahrhundertwende entstanden sein, sonst wäre Don Xavier nicht mit drauf. Damals war das Fotografieren noch nicht so üblich wie heute, wo jeder Zweite einen Fotoapparat besitzt. Consuela, ein Vergrößerungsglas bitte.“
Nachdem Consuela das Gewünschte gebracht hatte, schaute er sich die beiden Bilder noch einmal ganz genau an. Dann reichte er sie mir und schob die Lupe über den Tisch.
„Schauen Sie sich einmal die Kaffeekännchen genau an. Sehen Sie die Buchstaben am oberen Rand? Sie sind zwar schwer zu erkennen, aber auf dem einen könnten sie >FORN< heißen. Das andere Kännchen steht auch anders, da sieht man nur noch drei Buchstaben vom Ende der Beschriftung >TRE<. Ich kenne nur ein Café auf der Insel, zu dem diese Buchstabenkombination passen könnte, das Forn des Teatre, eine Bäckerei in Palma“, sagte der Pare.
Mit einiger Mühe entzifferte ich die Buchstaben, jedoch auch nur, weil ich wußte, was sie bedeuten sollten. Immerhin. Wenn es stimmte, was Don Remigio vermutete, hatte die Begegnung hier auf Mallorca stattgefunden und nicht in Deutschland oder sonstwo. Nun mußte ich nur noch herausfinden, ob und wann mein Großvater die Insel besucht hatte. Den Bildern nach zu urteilen, machte es nicht den Eindruck, als würden sich die drei darauf abgebildeten Personen kennen. Dennoch mußte es irgendeine Art der Verbindung zwischen ihnen gegeben haben. Alles andere wäre des Zufalls nun doch zuviel. Aber eine Bekanntschaft zwischen ihnen konnte auch nach den Aufnahmen entstanden sein. Aber diese Dinge mußten herauszubekommen sein, ein Telefonat mit meiner Mutter, einige Briefe müßten Klarheit schaffen.
Auch Don Remigio lächelte mir zu, offensichtlich sehr zufrieden mit seinem detektivischen Gespür.
„Das bringt meine professió so mit sich“, meinte er, machte dann aber ein nachdenkliches Gesicht und fuhr fort, „es gibt nur ein klitzekleines Problem dabei, das Forn des Teatre wurde erst 1927 eröffnet, vor fünf Jahren. Da war der Rabe schon lange tot.“
„Und mein Großvater auch, er ist kurz nach der Jahrhundertwende gestorben. Ich sagte Ihnen ja bereits, daß ich ihn selbst gar nicht mehr kennengelernt habe.“
„Es gibt, wie immer, zwei Möglichkeiten. Entweder ich irre bei der Beschriftung der Kaffeekännchen oder die ganze Angelegenheit nimmt einen äußerst komplizierten Verlauf“, sagte Don Remigio und hatte damit, wie so oft, wieder einmal recht.
Wir verabredeten uns für den kommenden Nachmittag auf meiner Dachterrasse, wollten beide nochmals gründlich über alles nachdenken. Vielleicht gelang es mir bis dahin, ein Telefongespräch mit meiner Mutter zustande zu bringen, das ein wenig Klarheit bringen würde.
Nach Don Remigios Buchstabenkombination hielt ich das Rätsel schon gelöst, war erleichtert, ich selbst zu sein und nicht schon eine dubiose Existenz vor mehr als dreißig Jahren hinter mir zu haben, von der ich zu allem Unglück auch nichts mehr wußte. Ich hatte nicht das geringste Verlangen, ein neuer Dorian Gray zu werden. So kann man sich irren.
Álvaro saß verträumt vor der Tür zur Küche der Bar