Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher

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Marrascas Erbe - Gerhard Schumacher

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der Großmutter argen verbalen Prüfungen und Befragungen ausgesetzt, bis mich der patro dann unter seine Fittiche nahm und das gleiche Spiel, diesmal aus männlicher Perspektive, von vorne begann.

      Dazwischen wurde ausgiebig getrunken und gegessen, jedoch hatte ich immer häufiger das Gefühl, die anderen Gäste wären nur als schmückende Ergänzung eingeladen. Es bedurfte nicht nur einer geraumen Zeitspanne, sondern auch des dezenten Hinweises Don Remigios, bis ich endlich mitbekam, daß mich die angesehenen Familien der Stadt als eine gute Partie für ihre Töchter auserkoren hatten und diese ganzen Festivitäten nur als Vorwand dienten, festzustellen, ob ich ihren Ansprüchen genügen würde oder nicht.

      Als ich das endlich begriffen hatte, nahm ich die Angelegenheit mit Humor und fügte mich meinem Schicksal. Den Einladungen selbst war kaum zu entgehen. Wenn ich eine annahm, mußte ich auch die anderen annehmen. Eine Ablehnung der Einladungen ohne triftigen Grund aber wäre einer nicht wieder gutzumachenden Beleidigung des Gastgebers gleichgekommen und hätte mich außerhalb der Gemeinschaft des Ortes gestellt.

      Also machte ich eine gute Miene zum nicht böse gemeinten Spiel, zumal die Kandidatinnen in ihrer Mehrzahl durchaus wohltuend anzusehen und die festas fraglos kurzweilig waren. Allerdings fand ich die Richtige, jedenfalls aus meiner Sicht, lange Zeit nicht unter den Aspirantinnen.

      Es war eine angenehme Zeit, die ich verbrachte, mit mehr als ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet, ohne große Verpflichtungen, genau genommen, in den Tag hinein zu leben. Immer seltener dachte ich an das Schreiben Don Xaviers das eigentlich nicht möglich sein konnte, und die näheren Umstände, die mich zum Erben gemacht hatten. Immerhin besuchte ich regelmäßig die Grabstätte der Familie Marrasca, auf der auch Don Xavier einen Gedenkstein hatte, obwohl seine sterblichen Überreste nicht dort lagen. Er war aus schwarzem Marmor, auf dem im unteren Drittel schlicht „el corb“ und darüber ein stilisierter Rabe eingemeißelt waren. Außerdem hatte ich zwei darauf spezialisierte Senyoras mit der Pflege des Grabes beauftragt.

      Doch die Ruhe und Beschaulichkeit, in der ich mich wähnte, waren trügerisch, wie sich schon bald herausstellen sollte.

      drei / tres

      Wie es mir inzwischen zur angenehmen Gewohnheit geworden war, ging ich eines Tages nach dem Mittagsschlummer in die Bibliothek hinauf, um mir ein Buch auszusuchen, das ich bei einem Glas Wein auf meiner Dachterrasse durchblättern wollte. Als ich die Regale entlangging und die Buchrücken las, bemerkte ich einen kleinen Unterschrank mit zwei Schubladen, der mir bislang noch nicht aufgefallen war. Ich zögerte, die Schubladen zu öffnen und deren Inhalt zu durchsuchen, es kam mir vor wie eine Verletzung der Intimsphäre der verstorbenen Eigentümer, auch wenn sie mir alles ohne Einschränkungen vermacht hatten und ich nun der rechtmäßige Besitzer war. Auch im übrigen Haus hatte ich aus Respekt meinen Gönnern gegenüber so weit es ging alles beim Alten gelassen, nur wenig verändert und den Inhalt der Schränke, viele waren es ohnehin nicht, weitestgehend unberührt gelassen. Schon wollte ich auch den Unterschrank ignorieren, als ein sechster sich den vorhanden fünf Sinnen anschloß und mich dazu bewog, die beiden Schubladen doch zu öffnen.

      In der Unteren befanden sich einige Briefe, die ich ungelesen wieder zurücklegte. Außerdem eine sehr dicke Kladde im Folioformat, die sich als Haushaltsbuch herausstellte. Fein säuberlich waren Tag für Tag die Ausgaben aufgeführt, saldiert und kumuliert, so daß sich eine genaue Aufstellung der Haushalts- und Lebenskosten ergab. Und zwar über Jahrzehnte hinweg.

      Beim flüchtigen Durchblättern erkannte ich zwei unterschiedliche Handschriften, offensichtlich hatte Don Xavier die Auflistung begonnen, die nach seinem Tod dann von Dona Maria fortgeführt worden waren. Sie endeten mit dem 31. Dezember des vergangenen Jahres. Der Januar des neuen Jahres, der Monat, in dem Dona Maria starb, war nicht mehr begonnen worden. Auch fehlte nach meiner ersten Durchsicht jeglicher Hinweis auf irgendwelche Einnahmen, von denen die Ausgaben bestritten worden waren. Letztere aber waren akribisch auch für den kleinsten gekauften Artikel (beispielsweise Wäscheklammern, das Päckchen zu 5 peseta) bis auf die letzte Kommastelle aufgeführt. Ich legte die Kladde wieder zurück und wollte sie später einmal genauer unter die Lupe nehmen.

      Die obere Schublade wurde von einer Holzkiste vollkommen ausgefüllt. Als ich sie herauszog und öffnete, stellte ich fest, daß sie bis an den Rand mit Fotos unterschiedlicher Größen bestückt war. Meinem ersten Impuls folgend, wollte ich auch diese Fotos ungesehen wieder der Verschwiegenheit des Schranks anvertrauen, doch dann obsiegte die Neugierde und ich nahm sie statt eines Buches mit auf die Dachterrasse. Ich kann heute gar nicht mehr genau nachvollziehen, was mich dazu bewog, meiner Neugierde nachzugeben. Offensichtlich versprach ich mir einen vergnüglichen Nachmittag, von dem ich abends Don Remigio zu berichten gedachte.

      Nachdem ich mir ein Glas kühlen rosados eingegossen hatte, breitete ich einen Teil der Fotos auf dem Tisch aus. Es war ein eigenartiges Gefühl, in die bildhaft dokumentierte Vergangenheit toter Menschen einzudringen, zu denen ich zur Zeit der Aufnahmen noch keinerlei Bezug hatte, geschweige denn überhaupt von ihrer Existenz wissen konnte.

      Ein Großteil der Motive zeigte Dona Maria und einen Mann, von dem ich wohl zu recht annahm, es handelte sich um Xavier Marrasca. Meist waren sie zusammen vor wechselnden Hintergründen zu sehen. Don Xavier, etwas größer als seine Frau, stand stets rechts von ihr, den Arm besitzergreifend (diesen Eindruck hatte ich zumindest) um ihre Taille gelegt. Dona Maria aber zeigte immer das stolze, nur leicht angedeutete Lächeln der überlegenen Senyora, als würde sie allen Nebenbuhlerinnen mitteilen wollen, seht her, ihr habt euch alle vergebens bemüht, ich aber habe ihn bekommen.

      Verschiedene Aufnahmen waren auf einem Boot gemacht worden, denn hinter den beiden konnte man Reling und Meer erkennen. Dann wieder standen sie in Artà vor der Pfarrkirche, zusammen mit Don Remigio als blutjungem Priester, der unbeschwert fröhlich in die Kamera winkte.

      Auf einzelnen Bildern hatten sie sich wahrscheinlich gegenseitig aufgenommen. Eine ganze Serie von 10 bis 15 Fotos zeigte im Hintergrund die Kathedrale La Seu in Palma und den dortigen Hafen.

      Das älteste Foto, das ich fand, war in einem Atelier entstanden. Dona Maria saß auf einem Stuhl, die Hände züchtig im Schoß gefaltet, während Don Xavier schräg hinter ihr stand, eine Hand ruhte auf ihrer Schulter, nicht aufdringlich, sondern in beiderseitigem Einverständnis Eigentum andeutend.

      Es handelte sich offensichtlich um das Hochzeitsfoto und mußte, der Kleidung beider nach zu urteilen, um 1875 gemacht worden sein. Es war auf Hartpappe aufgezogen und mit einem ovalen Passepartout versehen. Die Rückseite hatte den braunen Aufdruck eines Fotoateliers in Manacor, eine Jahreszahl war nicht angegeben.

      Alle anderen Fotos waren aber ganz offensichtlich jüngeren Datums, das heißt, mit diesem Hochzeitsbild begann die dokumentierte Geschichte des Paares Maria und Xavier Marrasca. Ich beschloß, das Bild rahmen zu lassen und an zentraler Stelle im Haus aufzuhängen, sozusagen als Reminiszenz an meine Gönner, die ehemaligen Besitzer.

      Der Tisch war nicht groß genug, alle Bilder der Kiste auf einmal nebeneinanderzulegen. Deshalb mußte ich erst eine Schicht wieder abräumen, bevor ich eine neue auflegen konnte. Mittlerweile ließ mein Interesse allerdings merklich nach, da die Fotos mit wenigen Ausnahmen immer die gleichen Motive, nämlich Dona Maria und Don Xavier, mal einzeln, mal zusammen, vor wechselnden Hintergründen zeigten und bis auf die durch die verschiedenen Jahrzehnte wechselnde Garderobe und Haartrachten so gut wie keine Abwechslung boten.

      Alle Fotos, die zur Zeit ihrer mehr als dreißig Jahre währenden Witwenschaft aufgenommen worden waren, wiesen nicht einmal die wenigen modischen Unterschiede auf, da Dona Maria sich ab dem Heimgang ihres Mannes nur noch in das traditionelle Schwarz der vom Tod um ihren Partner betrogenen Frauen kleidete. Das ermüdete mich zunehmend, die Aufmerksamkeit ließ zu wünschen übrig

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