Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher

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Marrascas Erbe - Gerhard Schumacher

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sein, ich behandle das Wissen darum wie ein Beichtgeheimnis, es ist gut bei mir aufgehoben.“

      Don Remigio nahm nun einen reichlichen Schluck aus seinem Weinglas, wischte sich erneut mit dem Ärmel den Mund ab und schaute mich endlich mit Augen an, von denen ich mir nicht sicher war, ob sie Traurigkeit oder Mitgefühl ausdrückten. Dann deutete er auf den Umschlag in meinen Händen und sagte:

      „Als ich wegen der Übersetzung in Palma war, habe ich gleichzeitig das Papier und die Tinte untersuchen lassen. Ich ging davon aus, und tue dies noch immer, es wäre in Ihrem ureigensten Interesse. Beides, Papier wie Tinte, wurde ohne Zweifel vor dreißig bis vierzig Jahren hergestellt und vertrieben. Allerdings sagt diese Feststellung noch nicht allzuviel aus, denn zumindest theoretisch ist es möglich, daß sowohl vom Papier als auch von der Tinte auf irgendeinem verstaubten Dachboden Restkontingente schlummerten, die zu neuen Aktivitäten erweckt wurden.

      Wie auch immer, ich denke, ich lasse Sie jetzt eine Weile alleine und höre in einer der vierzehn Kapellen meiner Kirche, die ich zur Auswahl habe, ein wenig in mich hinein, vielleicht nutzt es der Wahrheitsfindung, man soll ja die Hoffnung nie aufgeben.

      Gießen Sie sich das Glas voll und lesen Sie in aller Ruhe das Schreiben von Don Xavier. Einmal, zweimal, so oft Sie wollen, ich werde Sie nicht stören, meu amic. Wenn Sie es wünschen, stehe ich Ihnen anschließend gerne zur Verfügung. Gemeinsam werden wir versuchen, das Problem in den Griff zu bekommen.“

      Ich bedankte mich bei Don Remigio, versicherte ihm, wenn nötig, auf sein Angebot der Hilfestellung zurückzukommen, bedeutete ihm aber gleichzeitig, das Schreiben lieber in meinem neuen Heim, dem vormaligen des Absenders, zu lesen.

      Er akzeptierte meine Entscheidung ohne die Spur eines Widerspruchs und wir verabredeten uns für den Abend zum Nachtmahl in der Bar El Ultim. Ich verabschiedete mich und war schon an der Tür, als mich der pare nochmals ansprach:

      „Verzeihen Sie mir meine Bemerkung von vorhin, Don Diego, Sie mögen nicht über unlösbare Lösungen nachdenken. Das war natürlich Quatsch, im Überschwang dahergeplappert. Bitte entschuldigen Sie meine dumme Schwatzhaftigkeit. Und noch etwas, vergessen Sie nicht, Gut und Böse, Gott oder Teufel, der eine ist nicht ohne den anderen zu haben.“

      Es war das erste Mal heute Morgen, daß mich Don Remigio mit der spanischen Version meines Namens Jakob anredete.

      Dann verabschiedete ich mich und ging in Gedanken verzögerten Schrittes nach Hause. Als ich bergab aus der Carrer Sant Salvador hinter dem ayuntament auf die Placa d’ Espanya einbog, sah ich dort immer noch das Automobil stehen, in dem ich hergekommen war. Also mußte mein nächtlicher Logiergast, der Chauffeur, auch noch in der Stadt sein und ich vermutete, nicht zu Unrecht, wie sich im Verlauf des Tages herausstellte, ihm noch eine weitere Nacht Gastfreundschaft gewähren zu dürfen (aus dieser Nacht wurden dann einige Wochen, ich habe sie nicht gezählt, das konnte ich jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen). Aber es war mir im Moment sowieso gleichgültig, meine Gedanken waren verständlicherweise mit anderen Dingen beschäftigt.

      Von der Placa d’ Espanya bog ich nach links in die Carrer Rafael Blanes in deren Verlängerung ich die Marxando durchschritt, um dann nach rechts in die Carrer Major einzuschwenken und nach wenigen Metern mein neues Heim zu erreichen.

      Natürlich war es reine Einbildung, aber als ich das Haus betrat, hatte ich das Gefühl es roch ungewohnt und strahlte überhaupt eine andere Atmosphäre aus als noch am heutigen Morgen.

      Ich ging sofort auf mein Zimmer, schloß die Fensterläden, zog die Vorhänge bis auf einen kleinen Spalt zu, so daß nur noch dämmriges Zwielicht den Raum in Verschwommenheit tauchte und entzündete auf dem kleinen Tischchen neben meinem Sessel eine Kerze. Warum auch immer hielt ich Kerzenlicht für die angemessene Beleuchtung des Bevorstehenden, obwohl es mittlerweile Mittag war und die Sonne kraftvoll das Städtchen bestrahlte. Um diese Zeit war es still auf den Straßen, wer sich nicht aus irgendwelchen Gründen im Freien aufhalten mußte, blieb in seinem Haus, in dem es angenehm kühl war.

      Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, holte ich den Umschlag hervor, den mir Don Remigio übergeben hatte. Er enthielt mehrere Bögen Papier, einige davon neueren Datums mit dem Kopf eines Notariats in Palma, das die korrekte Übersetzung des Schreibens in die deutsche Sprache bestätigte. Dann folgte ein längerer Text, mit einer Schreibmaschine geschrieben, deren einzelne Typen keine gleichmäßige Ausrichtung mehr hatten und munter auf den Zeilen tanzten. Unter der letzten Zeile befand sich eine schwungvoll ausladende Unterschrift mit vielen Kreisen und Kringeln versehen und unter dieser ein Stempel des Übersetzungsbüros in Palma, der Auskunft darüber gab, wer das Dokument transkribiert hatte.

      Es folgten einige Blätter eines deutlich erkennbaren älteren Papiers, die am linken Rand mittels einer dünnen Kordel zusammengefaßt waren. Die Ränder der Seiten wiesen Spuren der Vergilbung auf und waren leicht gewellt. Der Text selbst war in einer gleichmäßig kräftigen Handschrift mit stahlblauer, fast schwarzer Tinte in katalanischer Sprache geschrieben.

      Ich wollte versuchen, ihn im Original zu lesen und nur für den Fall auf die beglaubigte Übersetzung zurückgreifen, wenn meine eigenen Sprachkenntnisse sich als nicht ausreichend erweisen sollten.

      Die Atmosphäre war ein wenig unheimlich. Im Haus herrschte absolute Stille und die flackernde Kerze warf Schatten und Schemen auf Möbel und Wände. Als ich das alte Papier zur Hand nahm, meinte ich, das Haus seufzen zu hören, aber auch das war natürlich meiner Einbildung geschuldet.

      Dann ließ es sich nicht weiter hinauszögern und ich las den Brief eines vor mehr als dreißig Jahren verstorbenen Mallorquiners an mich, obwohl der Briefeschreiber nach allen Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die die Natur uns vorgibt, mich überhaupt nicht kennen konnte.

       Hochverehrter und geschätzter Don Diego,

       wahrscheinlich werden Sie in nicht geringes Erstaunen fallen, wenn Sie diese Zeilen lesen. Ich kann Ihnen jedoch bei meiner Ehre versichern, daß nichts Übersinnliches oder gar Okkultes daran Schuld trägt, sondern andere, höchst profane Umstände. Die Dinge verlaufen oft nicht geradlinig, sie drehen Kreise und schießen Purzelbäume, wie man es sich vorzustellen nicht immer in der Lage ist. Dennoch findet sich in den meisten Fällen eine natürliche Erklärung für vermeintlich übernatürliche Erscheinungen. In den meisten Fällen, wohl gemerkt, wenn auch nicht in allen.

       Unsere Sinne und die Erklärungswut der Wissenschaft stoßen hin und wieder noch an Grenzen, die sie nicht überwinden können. Dafür sei dem Schöpfer aller Dinge, wie immer Sie diese Kraft auch benennen wollen, gedankt, halten sie die Menschheit doch davon ab, dem Größenwahn der Allmächtigkeit zu verfallen. Auch der Wurm vergißt nur allzu schnell, daß er ein Wurm ist, sobald er von einem Baum auf die Erde schaut.

       Sowohl meine esposa, Dona Maria, als auch ich selbst dürfen uns bei Ihnen bedanken, denn Sie haben unser Angebot, das Haus meiner Väter nach unserem Ableben weiterzuführen, großzügig angenommen. Die wenigen Auflagen, die damit verbunden sind, werden Sie ohne Einschränkung Ihrer persönlichen Lebensumstände erfüllen können. Näheres teilt Ihnen der notari mit, bei dem Dona Maria alle notwendigen Dokumente hinterlegt hat.

       Eine der Bedingungen besagt allerdings, daß das Haus mindestens sechs Monate im Jahr, und zwar während der Winterzeit, von Ihnen selbst bewohnt sein muß. Es wäre in meinem Sinne und dem meiner esposa, Sie entschlössen sich, Ihren Lebensmittelpunkt fest und für immer nach Artà zu verlegen, also das zu werden, was Ihnen durch Ihre Geburt bislang verwehrt blieb: Mallorquiner.

       Damit Sie mich an dieser Stelle nicht falsch verstehen, darf ich Ihnen versichern,

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