Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher
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„Doch Mutter, ich weiß, was so ein Gespräch kostet. Sag mir wo Du bist und ich rufe Dich sofort zurück.“
„Deshalb kostet das Gespräch doch nicht weniger. Ob ich Dich nun anrufe oder Du mich, ist den Kosten doch vollkommen egal. Oder bekommst Du irgendwelche Prozente?“
„Nein Mutter, ich bekomme keine Prozente. Bitte beantworte mir eine Frage, auch wenn sie Dir im Moment vielleicht komisch vorkommt. Ich erkläre Dir dann alles in einem Brief, versprochen. Also, weißt Du, ob Großvater je auf Mallorca war und wenn ja, wann das gewesen ist? Bitte Mutter, es ist wichtig für mich. Sehr wichtig.“
„Wer soll wann wo gewesen sein? Ich weiß nicht, was das soll.“
„Ich muß wissen, ob Großvater jemals hier auf Mallorca gewesen ist und wann das ungefähr war. Es ist wichtig, sehr wichtig.“
Ich schrie jetzt mit aller Stimmkraft in den Hörer. Pablo, Consuela, ihr Sohn und Álvaro schauten mich interessiert an. Aus der Küche hatte Bienvenida ihren Kopf durch die Tür gesteckt.
„Ich weiß wirklich nicht, warum Du mich diese Dinge fragst. Was ist so wichtig daran, ob Dein Großvater selig in Spanien war oder woanders? Er ist lange tot, lassen wir ihn in Frieden ruhen.“
Langsam bekam ich den Eindruck, meine Mutter wollte aus irgendeinem Grund nicht mit der Sprache heraus. Was war so Geheimnisvolles an den Reisen ihres Vaters?
„Mutter, bitte, ich erkläre Dir alles später. Was ist nun, war er oder war er nicht?“
Es entstand eine Pause, meine Mutter antwortete nicht, schien zu überlegen. Man hörte nur ein Rauschen in der Leitung. Von irgendwoher quakten Stimmen undeutlich in fremder Sprache durch die Sphären. Dann war die Stimme meiner Mutter wieder da. Ihr Tonfall ein anderer als zuvor, gequält, so als müßte sie sich zu einer Antwort zwingen.
„Ja, Dein Großvater war in Spanien. Ob er auch auf Mallorca war, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, er hat nie darüber gesprochen. Er hat überhaupt sehr wenig gesprochen, nachdem er wieder zu Hause war. Meistens hat er nur in seinem Zimmer gesessen und vor sich hin gegrübelt. Er ist ein komplett anderer Mensch gewesen seit dieser, seiner letzten Reise. Es war die Zeit der Jahrhundertwende, etwa ein Jahr nach seiner Rückkehr nach Deutschland ist er dann gestorben, das war 1902 im April. Du warst gerade zwei Jahre alt, hast ihn ja nicht mehr kennengelernt, Deinen Großvater selig…“
Die Stimme meiner Mutter erstarb, ich hörte allerlei Geräusche in der Leitung. Ich schrie erneut mit aller Kraft den Hörer an, wollte eine Trennung des Gesprächs verhindern.
Die Aufmerksamkeit meines Publikums erreichte ebenfalls einen Höhepunkt, man nahm teil am Geschehen, auch wenn es sich aus Sicht meiner Zuhörerschaft um ein Einmannstück handelte, schien meine Vorstellung einigermaßen dramatisch bei ihnen anzukommen. Vielleicht dachten sie, ich kämpfe aus irgendeinem Grund um meine große Liebe.
In der Leitung war nur noch Rauschen, meine Mutter hatte aufgelegt. Als auch ich den Hörer auf den Apparat an der Wand legte, klatschte Consuela Beifall, Pablo nickte und Álvaro und Bienvenida hauchten im Chor „meravellós“, wobei sie mich fast ehrfürchtig ansahen.
Ungefragt hatte Pablo mir einen Kaffee auf die Theke gestellt. Ich trank in kleinen Schlucken, wollte zahlen, aber Pablo bedeutete mir, meine Vorstellung sei ihm Lohn genug und fragte nur, wann ich heute Abend zum sopar käme. Er hatte schon einen gewissen schlitzohrigen Humor, der Wirt der Bar El Ultim, das mußte ich neidlos anerkennen.
Nachdenklich ging ich nach Hause. Die Art, wie meine Mutter eine Antwort zuerst hinauszögerte, dann stockend und bedrückt, so schien es mir wenigstens, doch eine Antwort gab, eine Antwort allerdings, die mehr neue Fragen aufwarf denn sie alte klärte, hatte für mich etwas Unverständliches. Über meinen Großvater wurde in unserer Familie nie groß geredet und da ich ihn nicht kannte, stellte ich auch kaum Fragen nach ihm. Ich wußte nur, daß er sehr wohlhabend gewesen sein mußte, denn er ging keiner geregelten Arbeit nach, sondern reiste einen Großteil seines Lebens durch die Welt. Sein Erbe verhalf unserer Familie zu einem ähnlich sorglosen Leben. Erst jetzt fiel mir auf, daß ich nichts über die Umstände seines Todes wußte. Als er starb, war mein Großvater gerade 52 Jahre alt, kein Alter um ins Schattenreich zu wechseln.
Ich setzte mich auf die Dachterrasse und schrieb meiner Mutter einen längeren Brief, in dem ich ihr alle die Dinge mitteilte, die zu meiner Frage geführt hatten. Aus ihrer telefonischen Antwort hatten sich nun weitere Fragen ergeben, die ich sie bat, mir baldmöglichst zu beantworten. Als ich den Brief beendet hatte, verschloß ich das Kuvert, beschriftete es mit Adresse und Absender und gab ihn im oficina de correus zur schnellstmöglichen Beförderung auf. Aus der Erfahrung heraus wußte ich, daß der Brief etwa eineinhalb, eher zwei Wochen benötigte, ehe meine Mutter ihn in den Händen hielt. Wenn sie meiner Bitte um Beantwortung unverzüglich nachkam, konnte ich mit ihrem Schreiben in etwa vier Wochen rechnen. Solange mußte ich mich in Geduld üben, aber ich hatte ja genug andere Sachen zu tun, um die mysteriösen Umstände einer Klärung herbeizuführen.
Als ich das oficina de correus verließ, fühlte ich mich um einiges leichter als bei meinem Eintritt.
Auf dem Rückweg in die Carrer Major traf ich Don Remigio, der zu unserer Verabredung wollte, die ich über die ganze Aufregung völlig vergessen hatte. Erst jetzt bemerkte ich, daß es schon nachmittags war.
Don Remigio teilte mir mit, daß er, mein Einverständnis vorausgesetzt, seinen Kollegen Don Basilio zu unserem Treffen hinzugebeten hatte. Don Basilio, erklärte er mir, wüßte besser über den Raben und die gesamte Familie Marrasca bescheid als er selbst und da er davon ausging, mich würden entsprechende Einzelheiten interessieren, habe er ohne vorherige Absprache in hoffentlich meinem Sinne gehandelt. Ich stimmte ihm lachend zu, erinnerte an das >te absolvo<, das ich ihm vorauseilend erteilt hatte und erzählte dann von den Ereignissen des Tages.
Wir hatten kaum auf der Dachterrasse Platz genommen und den ersten Schluck Wein genossen, da hörten wir schon Don Basilios fröhliche Stimme von der Carrer Major zu uns herauf schallen.
„Hola Don Diego, Remigio, wollt ihr einem armen Diener des Herrn keinen Einlaß gewähren? Was ist das für ein unchristliches Verhalten, Remigio, alter Heide“, gefolgt von dröhnendem Gelächter. Ich beeilte mich, seiner Aufforderung unmittelbar nachzukommen, eher er noch die ganze Straße zusammengeschrieen hatte.
Don Basilio war nur wenige Jahre älter als sein Kollege Remigio und betreute die Wallfahrtskirche, die etwas höher lag als die Pfarrkirche. Er war von rundlicher Gestalt, jedoch hochgewachsen, insgesamt eine stattliche Erscheinung, der man eine Vorliebe für gutes und vor allen Dingen reichliches Essen und Trinken durchaus ansah. Don Basilio war Festlandspanier, seit dem Priesterseminar aber hier auf der Insel tätig und vertrat die mallorquinischen Interessen vehementer und militanter als so mancher Eingeborene es tat. Wie er mir einmal erzählte, war er keineswegs freiwillig zu seinem geistlichen Beruf gekommen, sondern durch einen Entschluß seines Vaters, dem patro der Familie, der noch der alten Tradition anhing, einen seiner Söhne der Kirche zu schenken. Don Basilio fügte sich seinem Schicksal und wurde pare, nicht aus Glaube und Überzeugung, sondern aus rein materiellen Überlegungen, denn hätte er sich dem Willen des Vaters nicht gebeugt, wäre er enterbt worden und damit so arm wie die Mäuse, die sich im Holzgestühl seiner Kirche herumtrieben.
Also dachte