Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler
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Das Entzücken, das ihm die ersten Schritte in diese fremde, in seine Kindheit wie ein verschlossenes Märchenland noch ganz von fern hereinstrahlende Hofgesellschaft machten, und gleichzeitig sein so gern betontes Urberlinertum spiegelt mit einem Humor, der ihm bald abhandenkam, der folgende frühe Brief an eine Freundin:
„Heut bin ich nicht eilig. Ich habe die Nacht vor mir, meine Kaffeemaschine kocht, und ich komme eben von meiner alten Freundin, der Gräfin Kalckreuth, Babette Meyer.
Den ganzen Abend hat mir die Abeken von 1840 erzählt. Ihre Mutter ist die ‚schöne Müllerin‘, die Sie mir gesungen haben, eine geborene Staegemann, in deren Hause die Müllerlieder entstanden. Die Abeken (eine Schwester der Marie Olfers, die auch da war), ist vor Hässlichkeit schön. Sie trug ein hellgraues Samtjäckchen mit drei großen Perlenreihen, und alle ihre Zähne, die auch graue Perlen sind, hat sie in Gold gefasst. Aber sie erzählte, wie Tieck las, wie die Sonntag sang, und wie die Elsler tanzte. Die Elsler trug lange Kleider und tanzte das Ballett ‚Sylphide‘; darin starb sie mit den edelsten Bewegungen. Die Abeken versteht nicht, wie sie – die Elsler – es mit dem alten Gecken Friedrich von Gentz aushalten konnte, der ein Freund der Rahel war. Mit Varnhagen (sie spricht's mit F und n-n) war man bis 1848 befreundet; dann wurde er zu radikal.
Ich weiß, das ist Ihnen alles gleichgültig; aber mir ist's etwas ganz besonderes, dem Elektrikerjungen, noch einmal mit Händen den Zauberring der Romantik zu berühren.
Wer sonst noch da war? Das Ehepaar Voss, zwei Geschwister von Wildenbruch, zusammen acht Frauen und vier Männer. Zum Schluss hatte Exz. Wildenbruch eine Gnade für mich. ‚Sind Sie schon längere Zeit in Berlin?‘ – Seit knapp vier Generationen. – ‚Und was ist Ihr Beruf, wenn ich fragen darf? Auswärtiges Amt?‘ – Nein, ich bin Bankier. – ‚Auch ganz schön.‘
Der vierte Mann dagegen, ein Graf Baudissin, ist besser unterrichtet. Er hält mich für einen Kunstreferenten der ‚Zukunft‘.
Auch Bettina hat die Abeken noch gekannt. Am Rolandbrunnen stand eine riesenhohe Pappel, daneben, im Kempergarten, aß man Bierkaltschale, die damals ganz anders schmeckte, und Kirschkuchen. Tieck hatte die schönsten blauen Augen und las die Frauenrollen mit einer Art Fistelstimme. Seine Freundin, die Gräfin X, trug einen grünen Augenschirm. Die Sonntag, als Gräfin Rossi, wurde Gesandtenfrau. Sie sang aber in Gesellschaft die Iphigenie und hatte junge Mädchen als Chor mit sich. 1848 verlor sie all ihr Geld, ging nochmal zur Bühne, verdiente eine halbe Million und starb in Mexiko.
‚Die Historiker‘, sagte die Abeken, ‚sind nicht zu brauchen. Sie haben keine Kenntnis von den Personen und wollen alles Vielfältige strahlenförmig einordnen‘.“
Wie er im Übrigen das neue Reich von seinem neuen Standort Berlin aus sah, hat er in knappen Zügen in seinen Schriften „Der Kaiser“ und „An Deutschlands Jugend“ festgehalten:
„Man war reich geworden, mächtig geworden und wollte es der Welt zeigen ... Ein überhitztes, tatsachenhungriges Großstadtleben, auf Technik und sogenannte Errungenschaften gestellt, begierig nach Festen, Erstaunlichkeiten, Aufzügen und ähnlichen Nichtigkeiten, für die der Berliner die Spottnamen Klimbim und Klamauk erfunden hat, veranlasste eine Repräsentation, die Rom und Byzanz, Versailles und Potsdam auf einer Platte vereinigte ...“
„Den Monarchen umgab das Hofgesinde, das in entsagungsvoller Sorgsamkeit ihn vergötterte, den Staat als Allerhöchste Familienangelegenheit ansah und alles Widrige ihm fernhielt. ‚Er muss Sonne haben‘, hieß es.“
„Den Hof umschloss die Schicht des ländlichen, militärischen und bürokratischen Adels. Ihr gehörte Preußen, sie hatte es mitgeschaffen, sie war in Wechselbeziehung der Interessen mit der Krone verbunden ...“
„Um diese Schicht lagerte sich das plutokratische Bürgertum, Einlass fordernd um jeden Preis und bereit, alles zu verteidigen, für alles einzustehen ...“
„Draußen aber lag das Volk. Das Landvolk zäh, ohne Vergleichsbild, der Führung des ländlichen Adels, der Kirche, des Instruktionsfeldwebels, des Landrats hingegeben, das Stadtvolk beweglich, respektlos, doch imponierbar, im Taumel des Verdienens und Vergnügens sich verbrauchend. Abseits grollend die Arbeiterschaft, abweisend und abgewiesen, grundsätzlich die Gegenwart verneinend, der Zukunft lebend.“
Als Typus der hoffnungsvollen Jugend, die Aussicht auf „Karriere“ hatte, „der Patentscheißer, aufgeschwemmte Burschen, schnöde und zynisch im Auftreten, mit geklebtem Scheitel, gestriemten Gesichtern, Reiterstegen an den gestrafften Beinkleidern, schnarrender Stimme, die den Kommandoton des Offiziers nachahmte. Den Hochschulbetrieb verachteten sie, die kümmerlichen Prüfungsreifen erlangten sie durch sogenannte Pressen, ein feindseliges und herausforderndes Wesen trugen sie zur Schau, außer wenn es sich um Konnexionen handelte, ihre Zeit verbrachten sie mit Pauken, Saufen und Erzählen von Schweinereien. Solche Gestalten wurden geduldet, ja anerkannt; sie waren bestimmt, zu denen zu gehören, die das Volk regieren, richten, lehren, heilen und erbauen.“
Diese, wie Domela bezeugt, noch heute nicht völlig ausgestorbene Art, beherrschte damals in der Tat alle Zugänge zur Macht im Staat. Man konnte ihr und ihren Vertretern in Beamtentum und Militär nur von oben beikommen; von unten ließ sie sich nur strategisch umgehen, nicht durchbrechen. Rathenau, dem solche bloß auf Anmaßung und Missbrauch der Macht beruhende Überlegenheit besonders zuwider sein musste, umging sie, indem er sich die Türen zu demjenigen Teil der Hofgesellschaft, welcher Geist und Eigenart schätzte, zu öffnen verstand. Dieser Kreis, durch den etwas frische Luft und Kultur in die obersten Regionen des Militär- und Beamtenstaates eindrang, vereinigte Elemente aus den Umgebungen der Kaiserinnen Augusta und Friedrich mit solchen aus der Hocharistokratie, die mehr europäisch als bürokratisch eingestellt waren. Er hatte sich von Salon zu Salon fortgeerbt, von den Zeiten, da die Frau des preußischen Hausministers von Schleinitz, die spätere Gräfin Wolkenstein, gegen Bismarck frondierte und Richard Wagner protegierte, über die Teezirkel der Kaiserin Augusta, die sich den französischen Dichter Jules Laforgue als Vorleser hielt, über die Atelierbesuche und musikalischen Unterhaltungen der Kaiserin Friedrich, bis in eine Anzahl von Salons, die um 1900 in der Berliner Hofgesellschaft den Ton angaben: den Salon der schönen Palastdame Gräfin Harrach, den der Frau von Hindenburg, Tochter des Fürsten Münster, den der Frau Cornelie Richter, Tochter Meyerbeers, den der Fürstin Guido Henckel-Donnersmarck, geborenen Murawioff, den der Fürstin Marie Radziwill, geborenen Gräfin Castellane, vor allem den der Fürstin Bülow, der Frau des Reichskanzlers, der schönen italienischen Prinzessin Camporeale. Diese Salons übten durch ihre europäischen Beziehungen, ihr Ansehen, ihre Unabhängigkeit selbst gegenüber dem Kaiser, ihre Lebensart und gesellschaftliche Klugheit einen Einfluss aus, der bei der Besetzung hoher und höchster Posten, namentlich in der Diplomatie, dem Einfluss der Beamtenkreise die Wage hielt; besonders gerade unter den Kanzlerschaften von Bülow und Bethmann, die beide zu diesem Kreise gehörten. Rathenau war in dieser Welt, die sich damals noch streng abschloss gegen den neuen Reichtum, bald nach 1900 als einziger seiner Gesellschaftsschicht