Der Isländische Freistaat in Sagas. Helmut H. Schulz

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Der Isländische Freistaat in Sagas - Helmut H. Schulz

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konnten die Wikingerschiffe nicht hoch am Wind segeln, also nicht gut gegen den Wind kreuzen. Dem entsprechend wurden viele Hände an den Ruderbänken gebraucht, in dem Fall, dass für längere Zeit Flaute herrschte. Es sollen die Langschiffe unter Riemen immerhin an neun Knoten erreicht haben, etwas weniger als zwanzig Stundenkilometer; manche geben die Fahrtgeschwindigkeit noch höher an. Die Überfahrt von Norwegen nach Island beträgt ohne Umweg oder Ablenkungen rund 1.350 km; also zirka 580 nautische Meilen. Eine Knorr, die 7,5 Knoten Fahrt unter Segel macht, soll fünf bis sechs Tage für die Reise gebraucht haben. Nach Koppelrechnung wären diese Angaben zutreffend. Anders, ohne günstigen Wind hatte sich der Rudergast ins Zeug zulegen, um im Takt zu rudern und das Schiff lenz zu halten. Großes Selbstbewusstsein, Mut und Erfahrung, die Hoffnung auf ein besseres Leben in einem freien Land, das hielt sie zusammen und trieb sie vorwärts. Wie lange die Auswanderer unterwegs sein würden, ob sie überhaupt ihr Ziel erreichten, hing von den Wetterbedingungen auf der nördlichen Halbkugel der Erde ab.

      In neuerer Zeit haben Seeabenteurer mit Langschiffen versucht, die frühen Reisen nachzustellen. In einer dokumentierten Fahrt brauchten die rudernden Amateure von Dänemark bis Dublin nördlich um Schottland herum zwanzig Tage, und kamen völlig entkräftet in Irland an.

      Da sich ein regelmäßiger Verkehr zwischen der Insel und dem Festland entwickelt hatte, dürften die späteren Fahrten der Kauffahrer Routine gewesen sein und die Fahrtzeiten unter vierzehn Tage gelegen haben. An ein raues Klima waren die Norweger gewöhnt; als Seefahrer abgehärtet und verwegen, vertrauten sie ihrem Mut und ihrer Kraft. Auf den Lastschiffen gab es keine Bequemlichkeit, der Rudergast saß auf seiner Seekiste, die seinen persönlichen Besitz enthielt und er schlief auch an seinem Arbeitsplatz. Wurde gesegelt, konnte der Mann aufstehen und Kraft sammeln. Das Heck war für die Führer mit Wollstoff gedeckt, der das Wasser abwies, sonst waren die Schiffe bis zum Bug hin offen und Wind und Wetter ausgesetzt. Beim Heck, steuerbords, war der Platz des Steuermannes. Mit den Vorräten und Gütern, mit den unbedingt nötigen Zuchttieren, dürften die Auswandererschiffe so hoch wie nur möglich gestaut gewesen sein. Die jeweils anliegenden Kurse, alle in West- und Südwestrichtungen, waren den Steuerleuten bekannt; erfahrene Seeleute hatten Segelanweisungen für die Nachkommen hinterlassen. Von der norwegischen Westküste aus wurden häufig die Inselgruppen der Hebriden, der Orkneys und der Faröer angelaufen, Wasser und Proviant übergenommen oder ergänzt, vielleicht eine kurze Ruhezeit eingelegt, ehe zur Weiterreise aufgebrochen werden konnte. Häufig genug lagen die Auswandererschiffe wegen widriger Wetterverhältnisse länger als geplant in den Küstenorten fest. Berichtet wird, dass Führer und Besatzungen vereinzelt in die alten Gewohnheiten der Wikingerzeit fielen, und die Küstennester Schottlands und Irlands brandschatzten und Sklaven raubten.

      Die Söhne Ketil Plattnases, Björn und Helgi Bjolan waren wie schon erwähnt, bereits in Island angekommen. Ihre Schwester Unn die Weise, in anderen Handschriften Unn die Unerschrockene oder auch Aud die Unerschrockene genannt, folgte ihnen zwar, fuhr aber ins Ungewisse. Unns Steuermann, ihr Enkel Olaf Feilan Thorsteinsson war durch den Tod seines Vaters ohne Besitz und Erbe. Zwar beginnt die Familiengeschichte der Einwanderer am Breidafjord in der Hauptsache mit den Söhnen Ketils, die aber weit weniger für die Entwicklung wie für den Bestand der Siedler im Laxartal getan haben als ihre Schwester Unn. Ein anderer sesshaft gewordener Björn als Björn Ketilsson hatte mit seiner Frau Ljuta, eine Tochter namens Jorun. Der Eigenname Björn ist häufig und bedeutet Bär; was auf die Abstammung der Sippe von einem Bären hinweist, dem stärksten und mächtigsten Tier des Nordens.

      Koll, durch Unn mit Thorgerd Thorsteinsdóttir, also einer Tochter Thorsteins verheirate, hinterließ seinem Sohn Höskuld am Breidafjord einen Hof. Höskuld trat das Erbe an, wurde sesshaft, warb um Jorun Björnsdóttir und bekam sie zur Frau. Alle Heiraten waren gut überlegt und stets sozial begründet; die Frauen der Ansiedler spielen eine bedeutende Rolle in der frühen Geschichte Islands; sie standen hinter den Leistungen ihrer Männer kaum zurück, wenn es darum ging, den Alltag zu meistern. Man heiratete wie in allen bäuerlichen Gesellschaften unter einem praktischen Gesichtspunkt. Waren nüchterne Erwägungen für eine Verbindung entscheidend, so spielte die Zuneigung der jungen Männer und Frauen doch eine wichtige Rolle. Selten zwang ein Vater seiner Tochter einen Mann auf, den sie ablehnte. Tat er es doch, dann hielten diese Ehen meist nicht lange, wie die Saga zu berichten weiß. Eigentlich aber haben die Frauen der Islandsiedler die Verhältnisse ebenso stark wie ihre Männer gestaltet, obschon ihre Rechte im Freistaat gering waren. In der Saga vom Weisen Njal sind an sechshundert handelnde Personen herausgerechnet worden, von denen also nur der kleinste Teil in Blutfehden und das über Jahre hinweg verwickelt gewesen sein kann; man ging der Blutrache und ihren Folgen eher aus dem Weg.

      III. Unn die Weise,

      dürfte bereits das dreißigste Lebensjahr überschritten haben, als sie sich unter dem Zwang der Verhältnisse, zur Auswanderung entschloss. Sie war verwitwet, hatte erwachsene Kinder und schon Enkel. Ihr Vater Ketil Plattnase lebte nicht mehr und ihr Sohn Thorstein war gefallen. Sie trug die Verantwortung für die von ihm hinterlassenen Kinder und Enkel. Sie wird nicht ohne Nachricht gewesen sein, wo sich ihre Brüder ungefähr niedergelassen hatten, als sie aufbrach. Was ihr Lebensalter betrifft; die Germanen pflegten ihre Söhne und Töchter früh zu verheiraten. Mit zwölf Jahren galt der Sohn und Erbe, der künftige Sippenvorstand, als voll rechts- und handlungsfähig. Hatte der Junge früh einen Totschlag verübt, galt dies als ein Zeichen von Tapferkeit und von Männlichkeit. Vierzehnjährige führten als Wikinger Kriegs und Handelsschiffe über den Atlantik in die Nord- und Ostsee und blieben für einige Monate, oft für länger, im Ausland, in Norwegen oder Dänemark und bis in die Baltische See hinein. Mädchen wurden selten später als mit vierzehn Jahren vermählt. Die Nordländerin war also verhältnismäßig jung, wenn sie selbst Kinder besaß und schon Enkel unter ihrer Aufsicht standen. Jorun Björnsdóttir, mit Höskuld verheiratet, galt als einer der schönsten und tüchtigsten jungen Frauen im noch schwach besiedelten Laxartal und Höskuld Kollsson als Hofbesitzer und Handelsmann als einer der wohlhabendsten Männer. Jorun dürfte wenig älter als vierzehn Jahre gewesen sein, als sie Höskuld als Frau nahm und er ihr die Leitung des Herrenhofes Höskuldsstadir übertrug, den er gegründet hatte.

      Je ausgedehnter der Grundbesitz, je höher der Viehbestand und je größer die Bevölkerung an Kopfzahl, desto rascher wuchsen auch die Aufgaben der Goden, in deren Händen das Rechtswesen beim Bezirks- und Althing, beim Viertelgericht und die Ordnung in ihren Bezirken lagen. Zwangsläufig waren sie oft längere Zeit von ihren Gehöften abwesend, sei es, weil sie auf dem Viertelthing, das regelmäßig mehrmals im Jahr tagte, oder sogar zu Sondersitzungen einberufen wurde, wo sie Rat und Stimme innehatten, sei es das Althing im Spätsommer, der Zusammenkunft aller Bezirksvertreter Islands in Thingvellir, eine wochenlange oft bis in den Herbst hinein andauernde Versammlung, die Legislative des Freistaates, wenn man will. Zu all diesen Treffen mussten rechtzeitig Ladungen an die Thinggemeinschaft durch berittene Boten, herausgehen. Sesshaft geworden, hatte Höskuld den Godentitel durch die Unterstützung des Weisen Njal erworben, der vieles durchsetzen konnte. Als Weiser wird man nicht geboren, Klugheit erwirbt man durch Erfahrung. Während Höskulds Abwesenheit lag die Leitung der Wirtschaft also in Händen der jungen Bäuerin Jorun. Wenn von Jorun die Rede ist, wird sie nicht nur als eine schöne Frau beschrieben, sondern auch als eine besonders tüchtige Wirtschafterin, die echte tatkräftige und umsichtige Bäuerin. Sie trug den Beinamen Mutterwitz, konnte sich demnach scharf oder treffend ausdrücken. Als gut erzogene Isländerin beherrschte sie neben den gewöhnlichen ländlichen Arbeiten, dem Buttern, der Käseherstellung, der Konservierung von Fleisch und Fisch, dem Anlegen von Wintervorräten, der Nahrungssicherung für viele Menschen, vor allem die Kunst des Garnspinnens und des Webens. Die Bäuerin braute das Bier, schnitt die Kleidung für sich, für die Mägde und für die Männer zu, nähte Hemden und Mäntel. Knöpfe waren auf Island lange unbekannt; die Hemdsärmel wurde an den Handgelenken mit Nähnadeln und einem groben Faden, Wolle oder Hanf, zugenäht. War die Bäuerin für die Wirtschaft auf einem Herrenhof unentbehrlich, so war ihr Einfluss auf die Entscheidungen, die innerhalb der Sippe und weiter auf den Versammlungen getroffen wurden, entsprechend hoch.

      Unn

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