Amaterasu. HeikeHanna Gathmann

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Amaterasu - HeikeHanna Gathmann 1

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Sie empfand plötzlich ein ihr nicht erklärbare Vertrautheit. Und traf es nicht zu, dass sich die hässlichen, schwarzen Flecken auf dem blinden Glas unmerklich aufzulösen begannen. Im Nichts verschwanden? Verwundert beobachtete Sabrina das Schauspiel, welches sich gerade vor ihren Augen auftat. Aus ihrer Arbeit als Therapeutin kannte sie Wahrnehmungsstörungen, die sich etwa bei drogenabhängigen oder wahnerkrankten Patienten zeigten. Nein, sie sei nicht beschwipst oder gestört, versuchte sie sich zu beruhigen. Vermutlich handelte es sich um eine chemische Reaktion, die mit der hohen Luftfeuchtigkeit zu tun hatte, welche seit Tagen in der schwülen Luft hing. Sie beugte ihren Oberkörper vor. Mit schierem Unglauben stellte sie fest, dass ihre Gesichtszüge beinahe deutlich abgebildet wurden. Sie anlachten. „Nein, ich bin nicht die Schönste im Land. Und will dies auch nicht sein!“, machte sie sich selbst Mut, gelassen zu bleiben, „falls du mir wahrsagen möchtest: Nur zu!“ Gleichzeitig drängten sich Worte ihrer verstorbenen Mutter, welche ihr den schmucken Ring hinterlassen hatte, auf: „Niemand und nichts gehen jemals verloren. Jeder ist es wert, von anderen angenommen zu sein.“ Sabrina erschrak, denn die Zeichen wirbelten wild durcheinander, um dann wunderbare Abstraktionen zu bilden. Sie ergaben eine wundersame, rätselhafte Malerei. Sie fühlte ihr klopfendes Herz, denn die tobenden Farben liessen sie nun an Schiffbrüchige denken. An in brausenden Meerwogen elend Ertrinkende. Und als sei diese Einbildung nicht schlimm genug, tauchten ringsherum eine Unmenge an Plastikteilen auf: Becher, Duschvorhänge, Klosettdeckel, Chipstüten - Wohlstandsutensilien. Die Therapeutin beschloss, sich von dieser offensichtlichen Narretei nicht irre machen zu lassen. „Diese Verrücktheit ist nicht anderes als eine harmlose Sinnestäuschung“, rief sie laut, „eine sommerlich überhitzte Fata Morgana.“ Ihre Stimme hatte einen dermassen entrüsteten Ton angenommen, dass Sabrinas aufgeschreckte Tigerkatze miauend die Treppenstufen hinuntergelaufen kam. „Wenn du ein Zauberspiegel bist, wirst du einen Wunsch von mir erfüllen können“, brüllte sie herausfordernd. Sie schloss die Augenlider und sagte, um ihrem Anliegen noch mehr inbrünstigen Ausdruck zu verleihen: „Augenblicklich möchte ich mit nackten Füssen im warmen Meerwasser waten!“ Sie wartete einige Sekunden, doch nichts geschah. Die tanzenden Zeichen ruhten bewegungslos und friedlich auf dem Holzrahmen. Die Glasfläche war wie gehabt von einem scheusslichen Dunkelgrau bedeckt. Sie beschloss, ihrer hungrigen Katze Futter zu geben und anschliessend eine erfrischende, zugleich ernüchternde Dusche zu nehmen.

      II.

      Der Vertreter einer bundesweiten Telefonfirma erwischte sie am nächsten Morgen auf falschem Fuss. Er war wegen eines Vertrages über eine Glasfaserverbindung gekommen. „Webwelt, Wunderwelt“, frohlockte der gutaussehende Mann mit roten Stoppelhaaren, „der bisherige Festnetzanschluss mit schnellen Internetanschluss wird sich nicht wesentlich verteuern.“ Im Bademantel in der Haustür stehend fühlte sich Sabrina seinem aufdringlichen Geschäftsgebaren willenlos ausgeliefert. Es gelang ihr, den aufdringlichen Rotfuchs um eine Stunde zu vertrösten. Als sie sich angekleidet hatte, im Bad in

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      den Spiegel blickte, um Rouge, Wimperntusche und Lippenstift aufzutragen, begann sich die Frau sich über ihr tagtägliches Verschönerungsritual zu wundern. Tat sie dies, um sich sicher zu fühlen? Zweifelsohne diente das morgendliche Ritual zwei Zwecken: Einer Verhübschung und einer Selbstvergewisserung. Ja, sie war noch da! Sozusagen die alte geblieben und hatte sich nicht über Nacht zum Schlechteren verändert. In ihrem Outfit, so in hellgrauer Jeans, schwarzem Shirt, himmelblauen Strickpullover und mit dunkelrotem Halstuch war ihre Person annehmbar. Für sich und das Gegenüber. Diese im Grunde nicht notwendige, eitle Gewohnheit, sagte sie sich, gäbe ihr Ruhe. Das Gefühl, nicht nackt, sondern allen Widrigkeiten gegenüber gewappnet in den neuen Tag zu gehen. Prüfend musterte sie ihren Körper von allen Seiten. Ihr Busen sei fülliger geworden, beklagte sie sich, eine hormonelle Tatsache, welche sich wegen ihrer inzwischen fast fünfzig zählenden Lenze nicht aus dem Weg räumen liess. Unvermittelt fiel ihr eine Fleischbeschau zwischen ihr und der um einige Jahre älteren Schwester ein, die beide Jugendlichen einst vor dem Schrankspiegel veranstalteten. „Du hast einen süssen Apfelbusen!“, bewunderte die Jüngere ihr Vorbild, dem sie lange nachgeeifert hatte. „Du nicht! Denn eine Birne bleibt eine Birne“, hatte die zänkische Rivalin erwidert. Ihre Erinnerungen wurden von dem ungeduldigen Klingeln des Telefon-, Handy- und Webexperten unterbrochen. „Wie schön! Dieses Mal öffnet mir kein müdes Bleichgesicht“, folgte ihr der Mann an den Küchentisch. „Ein Vertrag mit äusserst preiswertem Strom? Wie kann es geschehen, dass ein Konzern für das Kommunikationswesen nun zudem in artfremden Gefilden wildert?“, fragte sie den etwa Vierzigjährigen irritiert.

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      Obgleich er dreist mit seinen Angeboten hofierte, fand sie den Rotfuchs nicht unsympathisch. Seine hellbraunen Augen besassen Witz, seine stattliche Statur vermittelte Beständigkeit. Oder Hartnäckigkeit. „Schliesslich ist die Energiewende im vollen Gang. Da will jeder etwas vom Kuchen“, versuchte er sein freches Vorgehen zu rechtfertigen. Es blieb beim schnelleren Webanschluss. Der eben noch forsch Handelnde zeigte sich zerknirscht, beinahe weinerlich. „Ah, ich verstehe! Sie werden nach Anzahl ihrer Vertragsabschlüsse bezahlt. Das ist leider ein stressiges, undankbares Arbeitsverhältnis.“ Der Rotfuchs bejahte. „Sie helfen mir, ich helfe Ihnen. Dann haben wir eine klassische Win-Win Situation.“ Auch seine höflich hinterlegte Visitenkarte, seine Komplimente über den tollen Ausblick auf das Flussufer konnten sie nicht umstimmen.

      Der Fund aus dem verwilderten Grundstück war von der Kommode gefallen. Ohne einen triftigen Anlass. Sabrina warf einen strengen Blick auf ihre Katze, die aufgeregt um ihre Waden strich. „Das ist kein Malheur!“, streichelte sie den Vierbeiner. Sie stellte den Spiegel, welcher keinen Schaden genommen hatte, wieder an seinen Platz. Erstaunt notierte sie die klare Abbildung ihrer Nase, die der Mutter so sehr ähnelte. Es waren die gleichen, feinen Stirnfalten. Ihre Augen glichen in der graublauen Farbe denen des Vaters, weil nachdenklich, in sich gekehrt. Einen leicht melancholisch anmutenden Zug in sich tragend. „Schluss jetzt mit dieser blödsinnigen, narzisstischen Selbstbespiegelung!“, schimpfte sie. Erst jetzt bemerkend, dass in der vergangenen Nacht ein heftiger Regenguss niedergegangen war und die Schwüle fortgefegt hatte. Die Frau wollte sich mit aller Macht von dem Fundstück abwenden. Wiederum hatten sich die bunten Zeichen vom Holz gelöst. Funkelnd zeichneten sie in Wellenlinien ein weiteres Bild. Schaudernd erkannte sie eine Landschaft voller Wälder, wobei sich die Wipfel der Bäume chaotisch hin- und herbewegten. Die kräftigen, im Sturm wehenden Zweige drohten abzubrechen. Einzelne Äste wirbelten umher. Mächtige Stämme schwankten, fielen danieder. Der Sog, der das schreckliche Szenario bei ihr auslöste, machte übel. Sie fürchtete, sich erbrechen zu müssen. Erschöpft liess sie los und rannte in die Küche. Ihr fiel ein, dass sie versäumt hatte, zu frühstücken. „Flauer Magen, wirre Gedanken“, versuchte die Therapeutin sich ihre Phantasmen auszureden, „möglicherweise sei es das Beste, sich diesen irrwitzigen Gegenstandes auf dem Trödel zu entledigen!“ Nachdem sie behutsam eine Brotstulle zubereitet, Tee aufgegossen hatte, wagte sie es, einen verschüchterten Blick auf die Flurkommode zu werfen. Es herrschte Stille, nichts war geschehen. Nur die Katze knabberte Leckerli, das süssliche Teearoma erfüllte die Raumluft. Und doch war ihr, als hielte sich in dem verrückten, gläsernen Ding etwas verborgen. Als sei darin die Zeit gefesselt, überlegte sie. Vielleicht könne sie das närrische Ding ihrer Freundin Elfi für einen guten Preis unterjubeln, grübelte sie angestrengt. Bemüht, wieder Ordnung in die Verwirrung zu bringen. Elfi war geradeaus. So ein Horror würde ihr vermutlich nie passieren. Bis dato war kein gemeinsames Treffen zwischen den beiden Freundinnen vergangen, an dem die Sozialarbeiterin nicht entweder eine neue Frisur oder die neuen Schuhe präsentierte. Manchmal war Sabrina schleierhaft, aus welchem Grund sie an dieser Freundschaft festhielt. Denn die resolute Elfi gab ihr häufig das Gefühl, törricht zu sein. „Warum bist du zu jedermann so freundlich?“, hatte sie mit einem geringschätzigen, amüsiertem Lächeln bemerkt, „mir sind die Ansichten anderer grundsätzlich egal. Ich muss zugeben, dass ich es geniesse, wenn mir jemand von seinen Sorgen und Nöten berichtet. Sicherlich gebe ich mir grösste Mühe, anderen zu helfen, aber ich kann

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