Giftmord statt Goldschatz. Holger Rudolph

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Giftmord statt Goldschatz - Holger Rudolph

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dem Weg zur Baustelle fabuliert er. Sollte sich der Fund zu Geld machen lassen, dann könnte die Familie aus der kleinen Doppelhaushälfte am Stadtrand ausziehen. Ein eigenes Haus ganz ohne direkte Nachbarn wäre traumhaft. Absolut real aber ist der dicke rotbraune Kater, dessentwegen Bernd Bergner voll auf die Bremse seines Autos tritt. Der Wagen kommt wenige Zentimeter vor dem Tier zum Stehen, das Bergner von der Straßenmitte her einen unwirschen Blick aus gelbgrün leuchtenden Augen zuwirft. Glück im Unglück, der Kater hat überlebt. Vielleicht gibt es schon bald noch mehr Grund zur Freude, denkt Bergner und grinst dabei. Er erinnert sich an das alte Sprichwort, das auf die Straße rennenden Katzen eine Wirkung auf ihre menschlichen Betrachter zuspricht: „Rechts nach links, Glück bringt's“. Eine Glückssträhne sollte man zumindest nicht ausschließen. Erfreulicherweise kam die Katze nicht von links, denn „Links nach rechts, bringt's Schlecht's“. Nein, er glaubt nicht an die in dieser kleinen Stadt auch im 21. Jahrhundert vor allem bei den älteren Einwohnern noch immer beliebten Sprüche. Sind sie doch nicht mehr als Aberglaube, entlehnt aus nicht oder falsch verstandener Religion, der zu einer ganz eigenen Form der Religiosität führt. Statt sich bis ins Detail in der Bibel auskennen zu müssen, zimmerten sich die einfachen Leute schon vor Jahrhunderten ihre schlicht-schöne Glaubenslehre. Nur nicht mit dem Bösen einlassen, schon eine schwarze Katze könnte etwas unerwartet Übles bedeuten, ist sie am Ende gar eine Hexe? Er lacht über solchen Unsinn. Bergner braucht keine Religion. Er glaubt ja nicht einmal an Gott, ganz anders als seine Susanne, die als Katholikin an jedem Sonntag zur Kirche geht. Vor fast 20 Jahren hatte sie sich noch darum bemüht, auch aus Bernd einen gläubigen Christen zu machen. Doch er hatte mit Religion nichts am Hut. Sie war und ist für ihn nur ein Leitfaden für alle Mitmenschen, die nicht ohne so ein Gängelband auskommen. Und er findet es alles andere als erstrebenswert, dem Pfarrer auch intimste Geheimnisse beichten zu sollen, falls man eine angebliche oder tatsächliche Verfehlung begangen hat. Schlimmer noch: So ein aufrichtiger Katholik kann sich von fast jeder Schuld befreien, wenn er nur immer schön zur Beichte geht.

      Auch seine Susanne legt hin und wieder bei Pfarrer Wolfgang Glück die Ohrenbeichte ab. Der Priester betreut außer der kleinen Prinzenstädter Gemeinde auch noch ein paar Nachbarorte. Nur zu gern wüsste Bergner, was - um Himmels Willen – sie diesem lokalen Stellvertreter Gottes eigentlich mitzuteilen hat. So schlimm können ihre Missetaten nicht sein, meistens ist sie doch im wahren Wortsinn lammfromm.

      Als Realist sieht Bergner sich selbst als Schmied seines Glücks. Das Gebot der Stunde heißt, aus seinem Zufallsfund das Beste zu machen. Schon heute Abend wird er die Münzen, die sämtlich aussehen wie frisch geprägt, einem guten Bekannten zeigen. Der wird ihren Wert sicherlich recht genau einzuschätzen wissen. Vielleicht hat er auch eine Idee, wo sich die Geldstücke ohne Probleme verkaufen lassen.

      Enttäuschung

      Fritz Quarz erwartet seinen Vereinskumpel Bernd Bergner bereits in der weit geöffneten Haustür. Der hatte es am Telefon spannend gemacht. Er werde ihm etwas zeigen, das seit Jahrhunderten im Verborgenen gelegen habe, etwas ganz Besonderes. Und Quarz werde zu schweigen haben über alles, was mit dieser Angelegenheit zusammenhängt. Nach kurzem Zögern hatte der vollbärtige Endfünfziger die erbetene Verschwiegenheit zugesichert. Nun steht er auf der obersten Stufe der Treppe zu seinem Siedlungshaus, ganz in Erwartung des versprochenen Unbekannten, das ihn zum Mittwisser machen würde. Geheimnisse sind für ihn an sich alltäglich. Als Kundenberater der örtlichen Filiale einer Großbank hat er über die finanziellen Verhältnisse der Anlieger Stillschweigen zu bewahren.

      Quarz sammelt leidenschaftlich gern Münzen: Preußen, Sachsen, das Kaiserreich, die DDR, außerdem die nur in geringer Auflage erscheinenden Prägungen diverser Kleinstaaten. Wie Bergner ist auch er begeisterter Karnevalist und Mitglied im örtlichen Narrenverein „Die Prinzenstädter Prächtigen“. Jahr für Jahr nehmen sie vom Sessionsstart am 11. November bis zum Aschermittwoch vor allem die lokale Politik mit ihren oft derben, vor allem aber lustigen Späßen aufs Korn. Die Karnevalstradition ist in der Stadt vergleichsweise jung. Im etwa 15 Kilometer vom Zentrum der Kommune entfernt gelegenen einzigen Atomkraftwerk der DDR, das auch heute noch offiziell nur Kernkraftwerk genannt wird, entstand seinerzeit der närrische Verein. Wie in vielen anderen Großbetrieben auch durften die Arbeiter und Ingenieure in Faschingsclubs Missstände auf's Korn nehmen. Hauptsache, sie uferten nicht in echte Proteste aus. Zu offen darüber reden, was er gerade denkt, wird Quarz besser nicht im Städtchen. Vor allem den Begriff Atomkraftwerk hören manche früheren Mitarbeiter, von denen einige im Karnevalsverein sind, gar nicht gern. Nur zu oft hat er sich anhören müssen, dass die Rheinsberger auch in Jahrzehnten noch stolz darauf sein dürfen, dass es in ihrer Stadt das einzige ostdeutsche Kernkraftwerk, eine ingenieurtechnische Meisterleistung mit sowjetischer Unterstützung, gab. Immer wieder mal hatte er von kleineren Störfällen gehört, die zu DDR-Zeiten totgeschwiegen worden seien. Nach dem Rückbau des Kraftwerks soll auf dem Gelände ein Ökologie-Forschungszentrum entstehen. Doch nun möchte die Leitung des Naturparks, in dem sich das Werk befindet, dass später auch dort nur noch Natur ist, wo einst das Vorzeigeobjekt stand. Quarz fände diese Lösung am besten, nicht zuletzt, weil der Mensch nicht mit den Gaben Gottes experimentieren sollte.

      Auch das Interesse an lokaler Geschichte verbindet die beiden Männer. Einmal pro Woche treffen sie sich im Historischen Verein. Quarz wartet noch immer. Bergner hat sich etwas verspätet. Wie so oft dauerte es auf der Baustelle länger. Kumpel Quarz hatte längst zwei Prinzenstädter Pils kaltgestellt. Doch Bergner möchte heute keinen Alkohol trinken, nicht mal ein kleines Bierchen. Er holt die Schatulle aus seiner Arbeitstasche und legt sie auf den Tisch in der Veranda. Der Sammler ist sehr erstaunt, als er die Münzen sieht. Zumindest eines kann er seinem guten Bekannten sehr schnell sagen: „Der Mann auf den Geldstücken ist Friedrichs Kammerdiener Michael Gabriel Fredersdorf. Briefe belegen, dass ihn und den Preußenkönig eine sehr enge Freundschaft verband. Der Sohn eines Stadtmusikanten aus dem pommerschen Garz hatte es bis an die Spitze des preußischen Hofes geschafft. Einige Historiker vermuten, dass die beiden Männer eine homoerotische Beziehung hatten. Sicher ist, dass Fredersdorf 1744 in Rheinsberg den Prinzlichen Keller am Marktplatz, eine Brauerei an der Mühlenstraße und das Gut Zernikow von Friedrich geschenkt bekam.“ Einiges davon kommt Bergner durchaus bekannt vor. Im Geschichtsverein hatten sie mehrfach über Fredersdorf geredet. Auf den Münzen erkannte er dessen Gesicht trotzdem nicht gleich. Wie der Mann auf Abbildungen aussah, darauf hatte er aber nie besonders geachtet.

      Fritz Quarz ist für seine Gründlichkeit bekannt. Sein Ordnungssinn grenzt an Pedanterie. Es bereitet ihm fast schon körperlichen Schmerz, wenn sich einer seiner närrischen Mitstreiter in der Bütt verspricht. Dann presst er energisch, doch so, dass es kaum jemand sehen soll, beide Daumen gegen die Hand-Innenflächen. Dies und ein gedachtes Stoßgebet helfen ein wenig gegen den Verdruss. Auch seine Wohnung widerspiegelt die ihm eigene Genauigkeit. In seinem Häuschen sind die Scheiben der Vitrinen aufs Feinste gewienert. Auch bei der Bewertung der Münzen möchte Quarz genau sein und die Wahrheit sagen. Daher befindet er sich jetzt in einer sehr unangenehmen Situation. So gern er sich mit seinem Kumpel über dessen anscheinend unglaublich wertvollen Fund gefreut hätte, stellte sich doch, gleich als er den ersten Blick auf die Münzen warf, ein Schmerz in der Magengegend ein. Sofort war ihm aufgefallen, dass das Fredersdorf-Porträt durchaus die Arbeit eines Meisters sein könnte. Die Abbildung des Schlosses aber wirkt auf ihn wie das Werk eines Dilettanten. Die Perspektive stimmt nicht. Außerdem ist alles viel zu schlicht gestaltet. Auch die Linien sind viel zu dick. Niemals hätte Friedrich II. derart grässliche Münzen prägen lassen, erst recht nicht als Geschenk an seinen Vertrauten Fredersdorf, das der Schatz zu sein vorgibt. Einen anderen Zweck kann er sich dafür nicht vorstellen. Nein, den Begriff Schatz hat diese plumpe und höchstwahrscheinlich neuzeitliche Fälschung nicht verdient. Sind die Münzen doch auch viel zu leicht, um gänzlich aus Gold gearbeitet zu sein. Mehr als eine dünne Auflage des Edelmetalls gibt es bestimmt nicht.

      Seinem Freund gegenüber verheimlicht Quarz unter massivem Magengrimmen und mit angepressten Daumen alle Bedenken. Er bittet ihn stattdessen: „Kannst Du mir eine Münze hier lassen? Ich werde versuchen, mehr

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