Giftmord statt Goldschatz. Holger Rudolph

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Giftmord statt Goldschatz - Holger Rudolph

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wie Rheinsberg tatsächlich nicht täglich vor. Mehr noch, das kommt eigentlich gar nicht vor. Und sollte es doch passieren, dann dürfte sich einiges ändern im Städtchen. Normalerweise ist das Leben für den Reporter hier bis auf die sich häufig stundenlang streitenden Stadtverordneten überwiegend unspektakulär. Ganz anders als in den Vorabendserien im Fernsehen, in denen auch in Kleinstädten alle Nase lang jemand niedergemetzelt wird. Mittlerweile dürfte halb Wismar ausgerottet sein und nach Kitzbühel sollen absolut unbestätigten Quellen zufolge demnächst potenzielle Opfer aus Deutschland importiert werden.

      Langweilig war es für den Reporter trotzdem kaum einmal. Es hatte in den vergangenen 20 Jahren auch ohne Morde eine ganze Reihe von Themen gegeben, über die Reimer als einer der Ersten schrieb und die schließlich bundesweit für Schlagzeilen sorgten. So hatte ein Mann behauptet, von der DDR-Staatssicherheit zum Auftragskiller ausgebildet worden zu sein. Auch der Verfassungsschutz war überzeugt von den Erzählungen des angeblichen Täters, der seinerzeit reihenweise Mitmenschen liquidiert haben wollte. Am Ende der Ermittlungen stellte sich heraus, dass er alles erfunden hatte.

      Gut bei den Einwohnern an kamen fast immer Reimers Artikel über das Thermalbad. An der schönen Fiktion Therme arbeiten sich schon mehrere Bürgermeister ab. Falls die Stadtverordneten demnächst der Einstellung eines persönlichen Referenten für den Rathauschef zustimmen, wird das viel versprechende Bad eine von seinen Hauptaufgaben sein. Im Verlauf der Jahre wurden schon dutzende Investoren als potenzielle Bauherren gehandelt. Doch bis heute fand sich keiner, der das Risiko eingeht, in einer 8000-Einwohner-Stadt eine Therme zu errichten. Touristen sind hier vor allem von Mai bis September zu Gast, den Rest des Jahres wird es trotz einer Vielzahl von Klassik-Konzerten im Schlosstheater sehr viel ruhiger im Städtchen.

      Ein möglicher Mord beendet den Rheinsberger Frühjahrsschlaf. Heiko Reimer schaut rasch, ob der Akku in der Kamera ausreichend geladen ist und prüft sicherheitshalber auf einem Fetzen Papier, ob auch der Kugelschreiber seine Arbeit tut. In knapp 20 Minuten wird der in der benachbarten Kleinstadt Lindow lebende Lokalreporter vor Ort sein.

      Gefordert

      Das Klingeln ihres Handys reißt Kriminalhauptkommissarin Anna Klettner aus dem morgendlichen Tiefschlaf. Der Arbeitstag gestern war sehr lang geworden. Das liegt auch daran, dass eine Frühjahrsgrippe zwei ihrer Kollegen erwischt hat. Daher war sie wieder einmal allein für den Großteil der Ermittlungsarbeit der Neuruppiner Kriminalpolizei zuständig. Vor ein paar Jahren hatte das Land Brandenburg seiner Polizei eine Schrumpfkur verordnet. Bereiche wurden zusammengelegt. Die ständige starke Belastung macht anfällig für Krankheiten. Häufig fallen Kollegen aus, auch Anna Klettner selbst hat es schon einige Male erwischt.

      Es existiert längst nicht mehr in jeder Kleinstadt eine Polizeiwache. Auch in Rheinsberg wurde gespart. Dort hatte es seit Mitte der 1990er-Jahre eine rund um die Uhr recht gut besetzte Wache gegeben. Zu deren Einweihung hieß es seinerzeit, dass die Stadt wegen der vielen Touristen und des Kraftwerk-Rückbaus ein Schwerpunkt polizeilicher Arbeit sei und bleibe. Doch auch in der Prinzenstadt besteht längst nur noch ein weniger gut besetztes Revier.

      Anna Klettner ist aufgefallen, dass der aktuelle Ministerpräsident in Sachen Polizeistrukturreform den Kurs seines Vorgängers korrigiert. Sie ist froh darüber, dass schon bald zumindest wieder mehr deutlich Streifenwagen im gesamten Land im Einsatz sein sollen. Gut auch, dass der Wasserkopf an der Spitze zugunsten der Basis ausgedünnt werden soll. Lauter Schritte in die richtige Richtung, die Klettner vorerst aber wenig bringen. Tag für Tag macht sich die Ermittlerin neuen Mut und freut sich über jeden trotz alledem gelösten Fall. Vor zehn Jahren war die inzwischen 37-Jährige aus Berlin nach Nordbrandenburg gekommen. Damals wurde eine engagierte Ermittlerin gesucht. Sie fühlte sich sofort angesprochen. Doch inzwischen ist sie oft gestresst und bemerkt, dass sie manchmal Fehler macht.

      Als sie am potenziellen Tatort eintrifft, stehen dort schon gut 20 Schaulustige. „Hier gibt es nichts zu sehen“, teilt sie den Neugierigen in scharfem Ton mit. Zwei Rheinsberger Streifenpolizisten haben den Auffindeort mit rot-weißem Plastik-Flatterband abgesperrt. Die Kriminaltechniker sind noch nicht hier.

      So wie Bergner dort liegt, könnte er durchaus eines natürlichen Todes gestorben sein. Nichts deutet für Klettner auf Fremdeinwirkung hin. Doch dieser Mann war erst 42 Jahre alt, da stirbt man nicht ohne schwere Grunderkrankung. Depressiv war Bergner bestimmt nicht, glaubt sie. Wer sich so oft in der Zeitung feiern lässt, der begeht doch keinen Selbstmord.

      Sandy Schmitting hatte fast eine Deriviertelstunde gewartet, bis die Ermittlerin endlich eintraf. Die Streifenpolizisten hatten die Zustellerin mehrfach vertröstet. Sie möge doch bitte warten, bis die Chefin hier ist. Viel kann sie der Beamtin jetzt allerdings nicht sagen. Die ganze Angelegenheit ist Sandy mittlerweile doch mehr auf die Seele geschlagen, als sie zunächst wahrhaben wollte. Ein Zittern liegt in ihrer Stimme und sie gerät ins Stottern: „I ich ha habe ja noch versucht, ihn zu re etten. Aber da ging ni ichts mehr.“ Sie würde nun gern die restlichen Zeitungen in die Kästen stecken, sagt sie der Kommissarin. Es sei ohnehin schon viel zu spät. Eigentlich sollte jeder Leser sein Exemplar spätestens um 6 Uhr im Briefkasten haben. Für heute hat Anna Klettner keine Fragen mehr an sie.

      Erst jetzt entdeckt die Polizistin Heiko Reimer. Die Zeitung ist also schon vor Ort, kein Wunder, da doch die Austrägerin die Leiche gefunden hat. Der Journalist ist der Kommissarin bestens bekannt. Manchmal nervt er, wenn er sie persönlich wegen einer laufenden Ermittlung anruft, statt bei der Pressestelle nachzufragen. Doch sie wird versuchen, sich auch heute ihm gegenüber freundlich zu verhalten. Nein, sie könne ihm noch gar nichts sagen. Natürlicher Tod oder Mord, möglich ist beides. Auch ein Suizid könne nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Allerdings spreche die Auffindesituation eher dagegen. Gern könne er sie oder die Pressestelle im Laufe des Tages nochmals anrufen. Allerdings werde es dann noch keine Sicherheit geben. Bis zum Abschluss der kriminaltechnischen Untersuchung und der Obduktion würden etliche Tage vergehen.

      Wieder einmal ist es die Aufgabe der Ermittlerin, den Angehörigen die Nachricht vom Tod zu überbringen. Sie hasst das. Doch wer soll es sonst machen? Sie wird der Ehefrau nicht nur den Tod ihres Mannes mitteilen müssen. Sie wird ihr auch unangenehme Fragen zu stellen haben, denn die meisten Täter sind in der Familie oder im sozialen Umfeld des Opfers zu finden, sagt die Statistik. War es am Ende die schöne Susanne, wie sie halb Rheinsberg nennt, selbst?

      Warten

      Ralf Hinze schaut auf die großen Ziffern der Digitaluhr an der Wand seines Büros. Es ist schon fast Mittag. Der Immobilienmakler lebt in einer mecklenburgischen Kleinstadt. Unter dem Vorwand, ihm ein Einfamilienhaus anbieten zu wollen, hatte er sich gestern Abend gegen 23 Uhr mit Bernd Bergner in einem kleinen Rheinsberger Café getroffen. Es war das einzige in der Stadt, das zu dieser Zeit noch geöffnet hatte. Beim Telefonat am frühen Abend hatte sich Bergner zunächst gewundert, dass der Makler ihm ein Angebot unterbreiten wollte. Er hatte ihn doch überhaupt nicht kontaktiert. Woher konnte der andere wissen, dass er tatsächlich über einen Hauskauf nachdachte? Eine schlüssige Antwort hatte der Mecklenburger nicht parat, nur soviel: Er verfüge über einen großen Bekanntenkreis in Rheinsberg. Durch mehrere dieser Leute habe er von Bergnergs Interesse am Erwerb einer Immobilie erfahren.

      Da hatte sich sein Freund Quarz wohl gegenüber dem Mecklenburger verplappert, dachte Bergner. In Ordnung fand er das nicht. Darüber würde mit dem alten Kiesel, wie er seinen Kumpel scherzhaft nennt, noch zu reden sein. Die Angebote des Händlers wollte er sich aber trotzdem zeigen lassen. Nur Susanne sollte nichts davon bemerken. Ihr hatte er noch immer nichts von dem Münzenfund gesagt. Vor einem Monat war er auf das Kästchen gestoßen. Es war ihm bisher nicht gelungen, den vermeintlich wertvollen Fund zu verkaufen. Mehrere Münzhändler, denen er Fotos gemailt hatte, teilten ihm mit, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um recht frische Prägungen handele. Er sei wohl einem

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