Giftmord statt Goldschatz. Holger Rudolph

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Giftmord statt Goldschatz - Holger Rudolph

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      Janina Gutenberg hat die Nachricht von Bergners Tod heute früh kaum noch überrascht. Der umtriebige Bautischler lebte schon seit Jahren gefährlich. Nicht, dass er sich auf der Arbeitsstelle, als Stadtverordneter oder durch die Tätigkeit in mehreren Vereinen Feinde gemacht hätte. Der mögliche Schlüssel zu seinem Tod befand sich an ganz anderer Stelle. Noch ist sich die 34-Jährige unsicher, ob sie zur Aufklärung der Tat beitragen möchte. Sie müsste in diesem Fall wahrscheinlich aus Rheinsberg verschwinden. Noch besser wäre es, wenn sie – ausgestattet mit einer neuen Identität – woanders ganz neu anfangen könnte. Doch zuvor hätte sie einen Verrat zu begehen.

      Wenn die hübsche Janina werktags an ihrem Schreibtisch in einem Callcenter in einer Nachbar-Kleinstadt sitzt, bekommt sie es immer wieder mit anzüglichen Anspielungen von Kollegen auf ihre tolle Figur zu tun. Diese schwanzgesteuerten Idioten halten sie anscheinend für Freiwild. Doch sie weiß unerwünschte Annäherungsversuche sehr gut abzuwehren. Sie genießt ihr Single-Leben ebenso wie ihre Nebentätigkeit, von der offiziell niemand weiß.

      Janina könnte die Ermittlungsarbeit der Polizei in eine bestimmte Richtung lenken, die mit ihrer zweiten Arbeitsstelle zu tun hat. Allerdings würde das unter anderem für vier weitere junge Rheinsbergerinnen erheblichen Ärger bedeuten.

      Die Frau spaziert durch den westlich vom Schlosspark gelegenen Boberow-Forst. Hier draußen findet sie die nötige Ruhe, um über jene Dinge nachzudenken, für die es eine Lösung zu finden gilt. Sie muss sich darüber klar werden, was sie tun wird.

      Auf der gegenüberliegenden Seite des Grienericksees ruht das Wasserschloss in stolzer Schönheit. Die Tage sind schon wieder deutlich länger als zur Wintersonnenwende kurz vor Weihnachten. Die untergehende Sonne tut ihr Bestes dazu, dass Park und Schloss geradezu märchenhaft wirken. An einem derart herrlichen Ort kann, nein darf es so viel Bosheit doch eigentlich gar nicht geben. Und doch ist ein Mord geschehen. Janina glaubt zu wissen, wer Bernd Bergner auf dem Gewissen hat.

      Ein wiederkehrendes Grummeln in der Magengegend könnte ein Zeichen dafür sein, dass es Zeit für das Abendbrot wäre. Viel eher aber rührt das Rumoren daher, dass sie sich in der kommenden Stunde zu entscheiden hat, ob sie auch heute Abend wieder, wie schon seit drei Jahren, ihrer Nebentätigkeit nachgehen wird. Vielleicht ist es besser, vorerst alles beim alten zu belassen. Anders entscheiden kann sie sich auch später noch, falls die Polizei den Täter nicht ermitteln sollte.

      Für Janina steht fest, dass ein ihr sehr gut bekannter Mann den Ehemann ihrer Freundin umgebracht hat. In Frage käme noch ein anderer Rheinsberger. Doch wie es aussieht, hat er den gemeinsam mit seiner Komplizin geschmiedeten üblen Plan nicht zu Ende gebracht. In einer schwachen Stunde hatte Susanne Bergner ihre Freundin Janina eingeweiht, vielleicht weil sie zu viel getrunken hatte, vielleicht auch, um ihr Gewissen zu entlasten. Janina wundert sich ohnehin, wie Susanne Lebenswandel und Glauben miteinander vereinbart. Sie weiß, dass ihre Freundin für ihr eigenes Glück über Leichen gehen würde. Diese Frau ist unberechenbar und gefährlich. Nein, sie wird ihr Wissen vorerst nicht preisgeben.

      Schnelleren Schrittes geht sie zurück in den Park. Dabei trifft sie einen ihrer abendlichen Kunden. Er gehört zur Oberschicht im Städtchen und wahrt den Anschein. Grußlos begegnen sich die beiden. Sie soll auch weiterhin annehmen, dass er nicht weiß, dass sie ihm schon als Catwoman, Krankenschwester, Polizistin und Gefängniswärterin begegnet ist. In allen Rollen dirigiert sie ihre fast ausschließlich männliche Kundschaft. Auch heute Abend wird sie sich wieder verkleiden und eine ganz Andere sein dürfen als die freundliche Frau vom Callcenter, die Kunden verschiedener Versandhäuser Auskunft über ihre Bestellungen gibt.

      Erpresst

      Achim Platt, dem Janina vor wenigen Minuten begegnet war, kam kurz nach der Wende aus einem Kaff in der Nähe von Kiel nach Rheinsberg. Er brachte damals seine Ehefrau Yvonne und eine größere Summe Geld auf den Konten mit in den Osten. Platt setzte alles daran, zu den Siegern des großen Umbruchs zu gehören. Es hieß allgemein, er habe zuvor über Jahrzehnte hinweg sehr gut an der Börse spekuliert. Nachdem er von der Treuhandanstalt das Rheinsberger Arzneimittelwerk für ganze hunderttausend Mark gekauft hatte, motzte er die recht heruntergekommene Chemiebude, wie das Werk bei den Rheinsbergern nur hieß, wieder auf.

      Seit Anfang des 20. Jahrhunderts galt für Pharmazeutika aus Rheinsberg der Werbespruch „Prosil hilft viel“. Das Prostatapräparat, für dessen Wirkung vor allem ein Extrakt aus Kürbiskernen sorgt, hat Unternehmer Platt auch heute noch im Sortiment. Außerdem hat er sich den Markennamen „Prinzenstädter“ schützen lassen. Und so gibt es mittlerweile neben dem „Prinzenstädter Verdauungstrank“ auch die „Prinzenstädter Jungbrunnen-Pille“, aus deren Zusammensetzung sich auch für Fachleute nicht erkennen lässt, worauf die versprochene Wirkung beruhen könnte. Die „Prinzenstädter Vitaminbombe“ ist eine Kapsel, die in ihrer Zusammensetzung stark jenen Präparaten ähnelt, die es im Supermarkt für ein paar Euro gibt. Nur kosten die Kapseln erheblich mehr und dürfen ausschließlich in Apotheken verkauft werden. Die Verpackungen aller Präparate ziert ein Bild des Schlosses. Kaum ein Tourist fährt ohne eines der in den Apotheken auffällig platzierten Prinzenstädter Medikamente nach Hause.

      Der stets akkurat gekleidete Mittsechziger Platt ist mehr als ein bisschen stolz darauf, dass er es geschafft hat, die Marke „Prinzenstädter“ mit einer Werbekampagne in halb Europa bekannt zu machen. Mit 430 Beschäftigten hat es das Werk zu einigem Ansehen in der Region Nordbrandenburg gebracht. Geht es danach, was die Rheinsberger erzählen, so reicht das Vermögen des alten Platt in den dreistelligen Millionenbereich. Alle paar Minuten fahren Lkw vom Gelände an der Berliner Chaussee, um die neue Ware zu den Großhändlern zu transportieren.

      Platt hat viel geschafft, lebt selbst gut von seinem Geld, gibt aber auch gern ab. Er spendet für Schulen, Kindergärten und dafür, dass die innerstädtischen Grünanlagen stets mit den Blumen der Saison bepflanzt werden. Seit vorigem Schuljahr lernen die Kinder schon in der ersten Klasse das Prinzenstädter Lied, eine vor 110 Jahren entstandene Lobeshymne auf die Wirksamkeit der Medizin und die Schönheit der Stadt. Seinerzeit war es ein Auftragswerk des damaligen Fabrikanten. Lange war die sehr spezielle Ode später in Vergessenheit geraten. Doch nun wurde sie als Rheinsberger Folklore wiederentdeckt und wird in Ehren gehalten.

      Achim Platt hat es geschafft. Er ist längst einer der wichtigsten Rheinsberger. Nur seine Frau kam ihm bei alledem abhanden. Sie brauchte keinen Ehemann, der in erster Linie mit seinem Unternehmen verheiratet ist. Yvonne Klatt lebt schon seit Jahren, von Achim finanziell bestens unterstützt, bei der gemeinsamen Tochter und deren Familie in Schleswig-Holstein.

      Dass Achim Platt an diesem Abend durch den Schlosspark irrt, liegt daran, dass ihm irgendwann im Verlauf des Arbeitstages jemand ein Kuvert unter der Tür seines Vorzimmers durchgeschoben hatte. Die Sekretärin brachte ihm den Brief, auf dessen Umschlag lediglich sein Name stand. Er öffnete ihn. Jemand hatte sich als Dichter versucht. Auf dem Blatt Papier war in kerzengerader, enger Blockschrift zu lesen: „Der Bergner ist tot, auch Du bist bald in Not. Zahlst Du keine Million, ist alsbald Dein Lohn, dass die ganze Stadt lacht sich PLATT, weil eine von fünf Freundinnen dich jeden Abend mit Genuss auspeitschen muss.“ An die wenig gelungene Reimarbeit schloss sich Prosa an: „Wandele heute Nachmittag auf den Spuren der Historie. An einer der drei Pyramiden wirst Du erfahren, wo Du das Geld zu deponieren hast!“

      An der Pyramide vor dem Schlosspark, die früher als Postmeilensäule diente und die größte ihrer Art im heutigen Brandenburg ist, hatte Platt trotz ausgiebigen Suchens nichts gefunden. Also versuchte er es an Prinz Heinrichs Grabpyramide im Schlosspark. Doch auch dort konnte er keinerlei Anweisung entdecken. Es blieb nur noch die mächtige Pyramide auf der schlossabgewandten Seite des Grienericksees übrig, dicht am Boberow-Forst gelegen. Prinz Heinrich hatte das weithin sichtbare Bauwerk einst errichten lassen, um die Gefallenen des Siebenjährigen Krieges zu ehren.

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