MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND. Michael Stuhr
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Wie hatte der Bootsmann es wagen können? Er, Llauk, würde diesen Kerl töten! Er würde ihm den Dolch in den Bauch jagen - ihn kastrieren - seine Augen ausstechen - seine Zunge herausreißen - und ihm dann ganz, ganz langsam die Kehle durchschneiden!
Als Llauk zum drittenmal aus seiner Ohnmacht erwachte, hatte sich das Wetter schon wesentlich gebessert. Kurz darauf ließ der Kapitän die Segel setzen und die `Große Geliebte' lag wieder hart am Wind.
Ein Zählapell brachte zutage, dass, bis auf den Bootsmann, der bei dem heldenhaften Kappen der Ladung von einer Woge fortgerissen worden war, keine Verluste zu beklagen waren. Sogar die teure Bronzeaxt steckte noch dort im Holz, wo sie das Tau durchschlagen hatte, was der Kapitän wohlgefällig zur Kenntnis nahm.
Kaum einen halben Tag später kam Land in Sicht. - Die Westlichen Inseln.
"Bitte, Herr, bitte!" Völlig aufgelöst lief Llauk neben dem Kapitän her, der mit großen Schritten das Hafengelände von Sordos durchschritt. "Ihr könnt mich doch nicht allein hier zurücklassen. War ich nicht treu? War ich nicht nützlich? War ich nicht dankbar? - Bitte, Herr, lasst mich nicht hier zurück! Was soll ich essen? Wo soll ich schlafen? Ich habe alles verloren, was ich hatte auf der Welt! - Lasst mich Euer Knecht sein, Euer Sklave, aber lasst mich nicht zurück!"
"Verschwinde!" Der Kapitän blieb noch nicht einmal stehen. "Du und mein Sklave? Du bist nichts wert! Geh in den Hafen, Herr, und biete dich dort an! Vielleicht findet man ja Gefallen an dir. Ich jedenfalls bin froh, dass ich dein weinerliches Gesicht nicht mehr sehen muß. Du kannst dich bei mir bedanken, dass ich dich nicht über Bord werfen ließ, als du kein Geld mehr hattest. - Verschwinde, Herr!"
Wie betäubt blieb Llauk stehen. Was hatte er noch zu verlieren? - Nichts! Das Geld verloren, die Ware im Meer versunken, der Stolz gebrochen und die Hoffnung erloschen. Gestrandet als Bettler in einem fremden Hafen und verhöhnt von seinem Peiniger. - Nein, Llauk hatte nichts mehr zu verlieren. Aber er konnte noch etwas erledigen!
Nachdenklich sah er dem Kapitän nach, der jetzt schon einige Schritte entfernt war. Verstohlen tastete seine Hand nach dem kleinen Dolch, den er während der ganzen Fahrt in seiner Kleidung verborgen gehalten hatte. Mit ausdruckslosem Gesicht zog er die Waffe und setzte sich in Bewegung.
Schneller und schneller schlugen seine Füße den Takt auf den Pflastersteinen. Hoch schwang er die Waffe in seiner Rechten. Mit letzter, lautloser Anstrengung rannte er auf den Kapitän zu. Irgendwo stieß eine Frau einen Warnruf aus. Der Kapitän wollte sich umdrehen, aber da hatte ihm Llauk schon den Dolch mit voller Wucht bis zum Heft in den Nacken getrieben.
"Tja, Herr Stoffmacher aus Estador, da seid Ihr nun in Schwierigkeiten!" Der Richter nickte verständnisvoll und lächelte Llauk zu. "Da kommt Ihr daher und stecht einfach einen Kapitän in den Rücken. - Das ist nicht richtig, Herr. - Das seht Ihr doch ein?"
"Ja, natürlich!" Llauk nickte eifrig. Er war froh, auf einen so verständnisvollen älteren Herrn gestoßen zu sein. Das Urteil würde bestimmt milde ausfallen, zumal er den Kapitän ja nicht getötet, sondern nur verletzt hatte.
"Beraubt seid Ihr worden, bestohlen, übervorteilt und gedemütigt, sagt Ihr. Warum in aller Götter Namen habt Ihr den Mann nicht verklagt, Herr? Seht doch ein, dass auch wir Richter essen müssen." Wieder lächelte der Mann.
Llauk lachte verlegen auf. "Ich war wahnsinnig! Ich bin die ganze Fahrt über gequält worden! Ich habe alles verloren was ich besaß! Ich war wahnsinnig!"
"So, so, wahnsinnig also." Der Richter schüttelte lächelnd den Kopf. "Wir Dramilen haben Angst vor solchem Wahnsinn, Herr. Das versteht Ihr doch? - Einen Kapitän in den Rücken stechen - das ist bei uns regelrecht verboten! - Wußtet Ihr das nicht, Herr?"
"Äh, nein."
"Tja, bedauerlich, bedauerlich! Ich werde den Hafenmeister foltern lassen. - Er hätte Euch das bei Eurer Ankunft sagen müssen, Herr!"
Fragend legte Llauk den Kopf schräg. - Wenn das bloß nicht wieder einer dieser groben Späße wurde, die die Dramilen so liebten ...
"Aber auch Ihr müßt Buße tun, Herr! Ich werde Euch allerdings milde bestrafen. Ihr habt sehr viel gelitten, Herr."
Llauk atmete auf. Er hatte es gewußt! Dieser freundliche Richter war ein gerechter Mann. Er würde davonkommen! Vielleicht könnte er Arbeit auf einem Schiff finden, das nach Thedra fuhr. Dort hatte er Verwandte, die ihm bestimmt ...
"Zahlt dreihundert Bronzestücke an das Gericht, und die Sache ist beigelegt, Herr", unterbrach der Richter Llauks Gedanken.
Llauk wurde blass. "Aber, aber ich habe doch kein Geld", stammelte er.
Jetzt zeigte sich eine Unmutsfalte auf der Stirn des Richters. "So, so, kein Geld habt Ihr? Noch nicht einmal dreihundert Bronzestücke? Ihr seid ein seltsamer Kaufmann, Herr!"
Das fand Llauk zwar im Moment auch, aber sicher ließ sich die Sache doch irgendwie anders gütlich beilegen.
"Aber sicher habt Ihr doch Freunde in Sordos, die die Buße für Euch bezahlen werden?" Der Richter schien ehrlich besorgt.
Llauk überlegte fieberhaft, aber es blieb nur eine Antwort: "Nein, ich kenne niemanden hier."
"Tja, ich werde dann wohl das Urteil ändern müssen", stellte der Richter mehr für sich fest. Er schaute Llauk an, als sei der ein seltsames kleines Tier, das sich in seine Amtsstube verlaufen habe. - Ein ekliges kleines Tier!
"Was habt Ihr mit mir vor? Muß ich jetzt ins Gefängnis? Gibt es keine andere Lösung?"
"Ins Gefängnis, Herr? Kein Gedanke!" Der Richter schüttelte energisch den Kopf "Ich denke, ich lasse dir mit kupfernen Haken die Gedärme herausreißen und sie auf der Pier verstreuen. So sieht es unser Recht vor. Wenn du dich wacker hältst, Herr, kannst du noch zusehen, wie die Möwen sich an deinen Eingeweiden erfreuen." Jetzt lächelte der Richter nicht mehr. "Urteil und Vollstreckung kosten dich fünfundzwanzig Bronzestücke, Herr."
"Aber ich habe doch kein Geld!", schrie Llauk auf.
Der Richter gab den Gerichtsdienern das Zeichen, den Gefangenen abzuführen.
"Bitte! - Ich habe doch kein Geld!" Llauk hielt sich am Tisch fest.
"Tja, Herr, dann werde ich die Haken wohl glühend machen lassen. - Auf eigene Kosten, Herr!" Das kalte und grausame Gesicht des Richters ließ Llauk ahnen, dass es für ihn nichts mehr zu hoffen gab.
KAPITEL 5 - DAS FREMDENHAUS
Selbstgerechtigkeit ist die Gerechtigkeit der Reichen.
Das Jahr siebenundzwanzig der Amtszeit Reos, in dem Teri Thedra verließ, war das schlechteste Jahr, das die Zunft der Former je erlebt hatte.
Seit es den Formerfelsen gab, hatte die solide thedranische Gebrauchskeramik mit ihren Zopf- und Rankenmustern überall auf dem Kontinent ihre Abnehmer gefunden. Erst in den letzten Jahren hatte sich ein starker Absatzrückgang bemerkbar gemacht. Schuld daran waren die Erzeugnisse aus Tigan, der Formerstadt südlich