MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND. Michael Stuhr
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"Teri!"
Langsam, mit hängenden Schultern, drehte Teri sich um. Jetzt nur nicht übertreiben, was immer der Obmann auch sagen würde.
"Wieviel Geld hast du noch?"
"Acht", Teri mußte sich räuspern, "...acht Bronzestücke, Obmann."
"Gut!" Athan schien zufrieden. "Damit kommst du erstmal aus. - Komm übermorgen zur Zeit der Tagteilung zum Tor des Schwalbenhafens. Dort wirst du Bescheid erhalten. - Aber mach dir nicht zu große Hoffnungen. Ich habe da eine bestimmte Idee, aber ich will nichts ohne die anderen Kapitäne entscheiden."
"Übermorgen", wiederholte Teri mit leiser Stimme und einem scheuen Lächeln. "Ich werde dort sein." Dann ging sie und schloß leise die Tür hinter sich.
Auf dem Hauptgang des Königsfelsens nahm Teri sich noch zusammen, aber als sie die Wachen am Eingang passiert hatte, konnte sie nicht verhindern, dass ein kleines, freches Lächeln ihr Gesicht überzog. Sie ging schnell, wobei sich ab und zu ein kleiner Hopser in den Takt ihrer Schritte schlich. Als das zweite Hornsignal die Besucher der Stadt zum Fremdenhaus rief, hüpfte und lief sie schließlich ausgelassen durch die Straßen Thedras. - Sie hatte gewonnen! - Athan würde mit der Kapitänsversammlung über sie sprechen! Sie hatte gewonnen! - Athan würde sich für sie einsetzen! - Sie würde mit den Schiffen fliegen! - Ja, sie hatte wirklich gewonnen!
Außer Atem kam Teri im Fremdenhaus an. Mit hochrotem, stolzem Gesicht breitete sie ihr Lager aus. Sie konnte ihre Freude nicht verbergen. Leise summte sie vor sich hin und streichelte liebevoll über ihre Felldecke.
Manche ihrer Mitbewohner im Fremdenhaus sahen sich vielsagend an. Sie vermuteten, die junge Frau habe wohl gerade ein beglückendes, vielleicht sogar ihr erstes, Liebesabenteuer gehabt. - Sie hatten gar nicht so unrecht.
Der folgende Tag brachte Teri eine Reihe neuer Erkenntnisse.
Mangels besserer Beschäftigung schlief sie morgens, bis die Rufe eines Wanderhändlers sie weckten.
Nach einem ausgiebigen Frühstück aus ihren eigenen Beständen gab sie ihr Bündel der Wirtin einer Hafenschenke in Obhut und besuchte die Orte, die sie als Kind so gut gekannt hatte.
Wie grau und eng alles geworden war.
Seit über zwei Jahren hatte Teri sich an die Weite des offenen Meeres und die lichtdurchfluteten, großzügig angelegten Hafenstädte des Südens gewöhnt. - Erstaunlich zu erkennen, wie Thedra im Vergleich dazu abschnitt.
Der Platz am Schneckenhafen, früher Teris Zentrum der Welt, wo die größten Feste des Kontinents gefeiert wurden, war ein Steingeviert mittlerer Größe, etwa wie ein Vorortmarkt von Osange. Der Hafen selbst war klein. - Regelrecht klein.
Der Strand, früher ein endloser Spielplatz voller feinen Sandes, war zu einem kurzen, klippenumstandenen Stück Kies geworden, der unter den Füßen knirschte. - Kein Vergleich mit dem wirklich endlosen, weißen Strand bei Kaji!
Auch waren die Wohntürme längst nicht mehr so hoch, wie sie Teri einst erschienen waren. Einzig die Königsklippe ragte in wirklich imponierender Höhe über den Häfen auf.
Teri fühlte sich bestohlen und beschenkt zugleich. - Bestohlen um die Illusion in der Stadt aller Städte, im Land aller Länder zu leben. - Beschenkt um die Erkenntnis, dass es freundliche und unfreundliche, kluge und dumme, sanfte und gewalttätige Menschen überall auf der Welt gab. - Ob sie sich hier in Thedra oder in Isco, in Osange oder Ago aufhielt, überall gingen die Menschen ihren Geschäften nach, zankten und vertrugen sich und scherten sich nur wenig darum, was Götter und Könige vorschrieben.
Sicher gab es Unterschiede zwischen dem Gastgeber in Kaji, der als geizig galt, wenn er den Gast nicht aufs Feinste bewirtete und dem Gastgeber aus Thedra, der seinen Gast geizig nannte, wenn der sich sein Essen nicht selbst mitbrachte, das sah auch Teri. - Aber hier, im alten Thedra, fühlte sie sich zum erstenmal so richtig als weitgereiste Weltbürgerin und lebte dieses Gefühl auch in vollen Zügen aus.
Die klimatischen und geographischen Gegebenheiten völlig außer acht lassend, begann sie, Thedra vor ihrem geistigen Auge komplett umzugestalten. Thedra hätte eine so schöne Stadt sein können, fand sie, wenn sich die Bewohner nur ein wenig Mühe geben würden. - Sie selbst hatte jedenfalls die berühmte thedranische Arroganz gegen die Ignoranz der Weltreisenden eingetauscht. Ihr reichte das Blümchen in der Mauerspalte nicht mehr. - Es mußten Palmen sein! Die Straßen hätten breiter, die Plätze größer und die Wohnungen prächtiger sein müssen! Bedauernd stellte Teri bereits am Vormittag fest: Thedra war Provinz!
Die Tagteilung ging vorüber.
Etwas wie Wehmut schlich sich in Teris Gedanken. Wie bei einem Kind, das nach und nach erkennt, dass der eigene Vater nicht der stärkste Mann der Welt ist, wandelte sich ihr Geist, aber nicht ihr Gefühl. Noch immer war Thedra die Stadt aus der sie kam, wo sie sich auskannte, die sie liebte. Doch sah sie jetzt, dass auch andere Städte durchaus mit Thedra konkurrieren konnten.
Ärmer an Illusionen aber reicher an Erfahrung schlenderte Teri durch Straßen und Gassen. Was blieb, waren die Fliegenden Schiffe, Frucht der Erfindungsgabe und des Geistes der Thedraner. Sie waren es, die Thedra einzig machten unter der Sonne! - Und mit ein wenig Glück würde Teri schon bald selbst zur Sturmflottenschar zählen und wieder ferne, interessante Länder und Städte bereisen. - Hoffentlich!
Zeitig stand Teri am nächsten Morgen auf. Sie hatte tief geschlafen und fühlte sich erholt.
Nach einem kleinen Frühstück schnürte sie ihr Bündel zusammen, klopfte das muffige Stroh des Fremdenhauses davon ab und ging auf den Hafenplatz hinaus.
Obwohl die Herbstsonne auf den schwach belebten Platz schien, fröstelte Teri in der Kühle des Morgens. Ein frischer Wind kräuselte das stille Wasser des Hafenbeckens und zerrte kurz an ihren Kleidern. Ab und zu drang das Knarren von Tauwerk und Holz durch die Stille, für Teri ein Geräusch, so vertraut wie der Schlag des eigenen Herzens.
Es blieb noch viel Zeit bis zur Tagteilung. Teri beschloß, sich bis dahin die Zeit mit einem Rundgang durch die Stadt zu vertreiben, die sie heute schon mit freundlicheren Augen betrachtete. Sie war wieder daheim!
Hatte Thedra auch nicht die Weitläufigkeit Osanges zu bieten, so gab es hier doch auch nicht nahezu täglich kleine Erdbeben. - Waren die Strände auch nicht so weiß, wie die von Kaji, so ließ man doch hier nicht die Sterbenden in Einsamkeit zurück. - Mochte es auch nicht ewiger Frühling sein, wie in Ago, so war doch der frische Wind, der in Böen um die Felstürme strich, auch etwas wert.
Teri warf einen kurzen Blick auf die Stelle, an der noch gestern die `Sesiol' gelegen hatte. Ihre Vermutung war richtig gewesen: Der Kapitän hatte keine anderen Geschäfte in Thedra gehabt. Keine Fracht war gelöscht und keine Handelsware an Bord gebracht worden. Nur ein wenig frischen Proviant hatte der Kapitän von den Händlern auf dem Kai erstanden. Nachdem Teri von Bord war, war die `Sesiol' sofort mit der nächsten Flut wieder auf die Reise gegangen. Der einzige Sinn und Zweck ihres Abstechers nach Thedra war erfüllt gewesen. Teri war wieder zu Hause.
Teri sog tief die frische Luft ein. Zu Hause! - Gestern war sie von Thedra enttäuscht gewesen. Hatte geglaubt, so etwas wie ein Zuhause könne es für sie hier nicht mehr geben. - Hatte gedacht, die Fliegenden Schiffe seien das einzige, was Thedra vor den anderen Städten des Kontinents auszeichne. - Doch sie hatte sich getäuscht.
Je mehr