Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Bd. 1 - Gerstäcker Friedrich

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wirklich in einem wahren Meer von Wonne. So wohl war ihm auch noch nie geworden. – Niemand hatte sich bis jetzt um ihn bekümmert, jeder in verspottet und verhöhnt, und zum ersten Mal vielleicht seit langen, langen Jahren fühlte er sich unter Menschen einem Menschen gleich, wußte sich nicht mehr verachtet und unter die Füße getreten, und sah freundliche Augen um sich her, die ihn wie ihresgleichen anschauten.

       Dem löste such auch endlich seine Zunge, oder wenigstens sein guter Wille zu reden, so weit, daß er beginnen wollte, Geschichten zu erzählen. Das ging aber unter keiner Bedingung; beim Singen ja, aber beim Sprechen brachte er kein Wort mehr über die Lippen, und selbst das Singen versagte ihm zuletzt den Dienst. Die Augenlider wurden ihm schwer, er fing an zu lallen, und war eben zurück auf seinen Stuhl und dem Schlaf in die Arme gesunken, als die Tür aufging und zwei Gerichtsdiener ins Zimmer traten. Es war etwa elf Uhr abends und die meisten Gäste, mit Ausnahme des einen Tisches, hatten das Haus schon verlassen.

       «Hallo, was ist das?» sagte Kellmann, der die beiden Leute zuerst bemerkte. «Das ist wunderlicher Besuch – es wird doch nicht etwa in Heilingen eine Polizeistunde eingeführt?»

       Aber auch der Wirt war die ,Diener der Gerechtigkeit’, wie sie meist etwas poetisch genannt werden, gewahr geworden und ging auf sie zu, um sich zu erkundigen, was sie hierher geführt.

       «Ein kleiner, buckliger Mann soll hier heut Abend bei Ihnen sein», sagte der Erste, «er ist aus dem Dollinger’schen Geschäft.»

       «Dort sitzt er in der Ecke», sagte der Wirt vom Pechkranz, nach Loßenwerder hinüberzeigend, «hat er etwas verbrochen?»

       «Ich weiß nicht», erwiderte der Zweite ziemlich kurz, «wir sollen ihn abholen.»

       «Wird schwer sein», meinte der Wirt. «Sie haben ihm heut Abend hier ordentlich zugetrunken, und der Wein hat jetzt das Übergewicht – wenn er aufsteht, kippt er wieder um.»

       «Hm – da wird wohl auch nicht viel mit Fragen aus ihm herauszubringen sein, Meier; was meinst Du, nehmen wir ihn mit?»

       «Ich denke, das Beste wird sein, wir führen ihn nach Haus und einer bleibt bei ihm, bis er morgen früh wieder zu Verstand kommt. Jetzt ist doch nichts mit ihm anzufangen.»

       «Aber, um Gottes Willen, was ist denn vorgefallen?» frug Kellmann bestürzt. «Der arme Teufel hat doch nicht etwa irgend ‘was verbrochen?»

       «Noch ist nichts Gewisses bekannt», erwiderte der erste Polizeidiener. «Nur bei Dollingers ist heute Nachmittag eingebrochen, und die Untersuchung muß jetzt erst ergeben, wer schuldig sei.»

       «Bei Dollingers eingebrochen?» riefen mehrere. «Heute Abend?»

       «Nein, heut am hellen Tag», sagte der Mann.

       «Alle Wetter, das muß dann gewesen sein, während sie nach dem Roten Drachen gefahren waren», sagte Kellmann rasch. «Sie kamen mit dem jungen Henkel an uns vorbei.»

       «In der Zeit war’s», bestätigte der Polizeidiener. «denn wie sie nach Hause kamen, wurde es entdeckt. Hier da, Loßenwerder – Sie da – wachen Sie auf!»

       «Ja, wenn Sie den stoßen wollen, bis er munter wird», lachte einer der jungen Leute, «da haben Sie Arbeit.»

       «Sie – Loßenwerder – hören Sie?»

       «Ja – ja», stammelte der von dem ungewohnten Wein, von dem er eigentlich gar nicht so sehr viel getrunken, Betäubte, «me – me – me – mehr We – we – wein; ich za – zah – zahle A – a – a – a- alles !»

       «So?» sagte der Polizeidiener ruhig. «Nun für heute möcht’ es doch wohl genug sein; komm, faß ihn drüben unter den Arm, er wohnt ja auch nicht so sehr weit von hier. Wo ist sein Hut?»

       «Hier – armer Teufel, das wir ein böses Erwachen werden.»

       «Wie man sich bettet, so schläft man», sagte der zweite Polizeidiener, und den Betrunkenen in die Höhe richtend, der dabei unverständliche Sachen stammelte und sogar einen total mißglückten Versuch machte, wieder zu singen, führten sie ihn hinaus und seiner Wohnung zu, indes die Gäste noch das ,Für und Wider’ der Schuld des Mannes, von dem sie nie etwas Übles gehört, bei einer anderen Flasche besprachen.

       Und es w a r ein böses Erwachen für den Mann. Von dem Weindunst betäubt, schlief er wie ein Toter bis zum lichten Tag, und als er die Augen aufschlug und ihn der Kopf zum Zerspringen schmerzte, fiel sein erster Blick auf den ungeduldig in seinem Zimmer auf und ab gehenden Polizeidiener, den er einen Moment bestürzt anstarrte und dann die Augen, wie vor einem unangenehmen Traumbild, wieder schloß.

       «Nun, Loßenwerder, ausgeschlafen?» sagte der Mann aber, froh, endlich einmal zu einem Resultat zu kommen. «Das hat lange gedauert. Kommen Sie, stehen Sie auf und ziehen Sie sich an.»

       Die Stimme war k e i n Traum, und der kleine Mann richtete sich erschreckt von seinem Bett, auf dem er noch mit den Kleidern vom vorigen Abend lag, empor. Wo war er? – Wie war er hierher gekommen? Er drückte sich mit beiden Händen die Stirn und der klare Angstschweiß brach ihm über den ganzen Körper aus. Er w u ß t e nicht mehr, was gestern alles geschehen, und die unheimliche, finstere Gestalt vor ihm füllte sein Herz mit einer wilden Ahnung von Unheil, die alles Blut dorthin in jähem Strom zurücktrieb.

       Wie ein schlag da hinein traf ihn die Nachricht von dem entdeckten Diebstahl, das Gefühl, daß der Verdacht auf ihm laste. Die nächste Stunde lag dazu wie ein Alp auf seiner Seele. Ein anderer Polizeibeamter visierte bei ihm und fand nichts weiter, als in einem Winkel seines kleinen Schreibtisches unter dreifachem Schloß ein Päckchen mit zweihundert Talern in Fünfundzwanzig-Taler-Kassenanweisungen, wie noch einige Goldstücke. Dann kam seine Abführung nach dem Dollinger’schen Hause, da Herr Dollinger gebeten hatte, den Mann, an dessen Schuld er nicht glauben wollte, erst einmal an Ort und Stelle selber zu befragen, und so betäubt war er von dem allen, daß er kein Wort zu seiner Verteidigung sagen, ja nicht einmal eine an ihn gerichtete Frage beantworten konnte.

       In dem Dollinger’schen Hause angekommen, wurde er gleich in Herrn Dollingers Zimmer hinaufgeführt, und der alte Herr ging, als Loßenwerder die Stube betrat, mit auf dem Rücken gekreuzten Händen in seinem Zimmer auf und ab. Der junge Henkel saß in der einen Ecke des Sofas, das rechte Knie über das linke geschlagen, mit einem Buch in der Hand, über das hin er den Gefangenen aufmerksam betrachtete.

       Loßenwerder war bleich wie ein Toter – jeder Blutstropfen hatte sein Antlitz verlassen, und bei dem Versuch, den er zum Reden machte, kam kein Laut über seine Lippen.

       «Loßenwerder», sagte Herr Dollinger endlich, nach einer kleinen Weile vor ihm stehen bleibend und ihn ernst, ja traurig betrachtend, «ein böser Mensch ist gestern während unserer Abwesenheit in unser Haus geschlichen und hat, außer einigen Juwelen, auch noch das Geld entwendet, das Du mir gestern Mittag gebracht und das ich, wie Du weißt, in den Sekretär schloß. Warst Du während unserer Abwesenheit wieder im Haus und in dem Zimmer meiner Töchter?»

       «He – he – he – he – he – he – rr Do – Do – Do …. »

       «Schon gut, Loßenwerder, Du bist jetzt aufgeregt und das Sprechen wird Dir schwer; beschränke Dich auf ein einfaches Ja und Nein.»

       «Ja – a !»

       «In dem Z i m m e r meiner Töchter?»

       «J – a – a, aber i – i – i – ich wo – wo –

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