Die beiden Sträflinge. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Die beiden Sträflinge - Gerstäcker Friedrich страница 2
„Sein nächster Weg?" wiederholte die Mutter mit einem leisen, kaum unterdrückten Seufzer - „Du lieber Gott, es sind Tausende von Meilen."
„Nun ja, so sehr nahe ist er gerade nicht," lächelte ihr Gatte, „aber was heißen in unserer Zeit Entfernungen? Man geht eben an Bord und richtet sich dort häuslich ein, und ob /9/ die Reise nun vier Wochen oder vier Monate dauert, bleibt sich am Ende gleich. Man ist eben nur so viel länger unterwegs."
„Und wie zerstreut sind wir in der Welt," sagte Sarah, indem sie den Brief gedankenvoll mit ihren Händen in den Schooß sinken ließ - „welche entsetzliche Strecken liegen zwischen allen Denen, die uns lieb und theuer sind."
„Allerdings," erwiderte der Vater, langsam mit dem Kopfe nickend, „und die Meinigen besonders. Wir sind unserer fünf Brüder, und davon lebt nur einer noch in Altengland; ich bin hier, Ernst in Kanada, Eduard in Bombay, und der fünfte schwimmt jetzt, Gott weiß wo, auf einem von Ihrer Majestät Kriegsschiffen entweder im Chinesischen oder Stillen Meere umher. Das wäre ein Festtag, der uns einmal Alle wieder um einen Tisch versammelte, aber guter Gott, daran ist freilich nicht zu denken - wir müßten denn sämmtlich alt und grau geworden sein."
„Gebe dann nur Gott, daß der Tisch in England steht," sagte die Mutter lächelnd - „wenn mir ein guter Geist das fest vorher versprechen könnte, wollte ich ja Alles gern und willig tragen."
Ihr Gatte sah zu ihr auf, als ob er reden wollte. Wenn dies aber seine Absicht gewesen, so änderte er sie, noch während er die Lippen öffnete, und vertiefte sich bald wieder in den eben erbrochenen und begonnenen Brief.
Mit diesem war er übrigens kaum zu Ende, als das Bellen der Hunde draußen und das pistolenschußähnliche Knallen der langen Ochsenpeitschen die nahenden Karren verkündete. Die ganze Familie, den ältesten Sohn ausgenommen, der draußen im Busche war, um ein paar weggelaufene Pferde wieder aufzusuchen, trat jetzt vor die Thür der Wohnung, um die Leute zu begrüßen und die mitgebrachten Waaren in Empfang zu nehmen.
„Nun, Cole," rief Mr. Powell dem alten Treiber zu, der den vordern Karren führte, „wie geht's - seid Ihr glücklich wieder angekommen? Wohl schlechter Weg draußen?"
„Danke, Sir," sagte der Mann, indem er mit einem kräftigen, mi- beiden Händen geführten Schlage seiner langen, /10/ gewichtigen Peitsche die vorderen Stiere herum und den Wagen dadurch geschickt vor die Thür des Vorrathshauses brachte - „oh, wohl Diamant - hoh, Bock - so recht, meine Thiere - verdamm' Eure Augen - bitt' um Entschuldigung, Sir - verflucht - sehr schlechte Wege draußen, und Holz hier unten noch im Billibong umhergestreut, als ob es in Klaftern aufgestellt werden sollte. - Haben doch das Paket Papier bekommen?"
„Alles in Ordnung, Cole."
„Die Rechnungen liegen dabei."
„Habe sie schon gesehen - Wolle hatte ziemlich guten Preis."
„Aber Mehl auch - will verd- hm - will - hm - es ist doch merkwürdig, was die Händler da drin unverschämt werden, wenn sie das liebe Gut, das Mehl, herausrücken sollen. Wissen wahrhaftig bald gar nicht mehr, was sie dafür fordern möchten."
„Geht nur vorsichtig mit den Säcken um, Leute, daß keiner platze. So - hier legt sie hinunter - die Säcke aufeinander, und das Uebrige dort in eine Reihe, daß ich es erst revidiren kann. Der Thee - ach, da sind die Kisten."
„Ja, die vergessen wir schon nicht," lachte der Treiber, der das Entladen der Güter den anderen Arbeitern überließ, während er sich selber nur mit seinen Thieren beschäftigte und sie ausspannte, - „wär' ein ver- wär' ein „blutiges" Leben im Busch ohne Thee - g'rad' wie ein Dingo ohne Känguru, oder gar so ein schwarzes Beest von Indianer."
Der zweite Treiber hatte ihm indeß geholfen, seine Stiere frei zu machen, und Cole, der erste Treiber, lenkte sie jetzt mit einem nur halb unterdrückten Fluche seitab an den Häusern vorbei, der eigenen Hütte zu, um ihnen dort die Joche abzunehmen und sie endlich frei auf die Weide hinaus zu lassen.
Kaum war er aber außer Gehörweite der Häuser, an denen Mr. Powell noch mit den Damen stand, als er, gleichsam um seinem Herzen Luft zu machen, den Leitstieren erst ein paar Mal um die Ohren knallte und dann ein so lästerliches Fluchen begann, daß selbst die Ochsen verwundert die /11/ Köpfe nach ihm umdrehten. Erst verdammte und verfluchte er Alles, was auf und unter der Erde war, dann sein Vieh, dann sich selber noch einmal ganz besonders, und zuletzt die Schuhe, in denen er stand. Eigentlich geschah dies nur, wie sich gleich darauf auswies, aus lauter Freude, daß er wieder glücklich angekommen war; daun aber auch, um sich für den ganz ungewohnten Zwang zu entschädigen, den ihm, wenn auch nur auf einige Minuten, die Nähe seines Herrn und der Damen aufgelegt. Er wußte, daß Mr. Powell es nicht litt, wenn seine Leute in seiner Gegenwart fluchen wollten.
Cole war ein durchaus redlicher, treuer und zuverlässiger Diener, und außerdem ein herzensguter Bursche, der keinem Kinde ein Leid zugefügt hätte - obgleich er allerdings ein früherer, indeß schon seit mehreren Jahren freigelassener Sträfling war. Nur das Fluchen war seine Leidenschaft, und es ist überhaupt entsetzlich, wie das Fluchen und Blasphemiren bei den Leuten im Busch getrieben wird und überhand genommen hat. Man glaubt sonst gewöhnlich, daß dies eine Haupt- und hervorragende Eigenschaft - ja, man möchte fast sagen, ein Laster - der Seeleute wäre, die ihrem Herzen ebenfalls nur zu oft mit einem Kernfluche Luft machen; den „old hands" im australischen Busch kommen sie aber nicht gleich und können ihnen darin wahrlich nicht das Wasser reichen.
Fast jedes Wort, das sie sprechen, selbst das gleichgültigste, ist von einem Fluche und dem Eigenschaftsworts „blutig" begleitet, und das „verdamm' Deine Augen" eigentlich noch eine ganz herzliche und vollkommen gut gemeinte Redensart zwischen ihnen, etwa gleichbedeutend mit: „wie geht's, alter Junge?" - Nur die Mississippi-Bootsleute dürften sich in dieser Hinsicht mit ihnen messen.
Der stete Umgang mit den störrischen Ochsen mag viel dazu beitragen, die Leute zu solchen gotteslästerlichen Reden zu verleiten, mehr aber fast noch der stete rauhe Umgang mit lauter Männern - einer der schlimmsten Uebelstände im australischen Busch - wo sie der mildernden Nähe weiblicher Wesen gänzlich entrückt sind und bleiben. Der Herr hat allerdings seine Familie bei sich auf der Station, aber die /12/ Leute kommen mit dem Hause - wie dessen Wohnung zum Unterschied von den Hütten genannt wird - nicht zusammen. Selbst die Küche besorgt dort ein Koch, und da noch überdies von allen auf der Station beschäftigten oder dort einsprechenden Arbeitern wenigstens neun Zehntheile gewesene Sträflinge sind, so läßt es sich leicht erklären, wie die Unterhaltung der Leute keineswegs eine zarte sein kann. Nur das herbe Geschick ihres Lebens spricht sich darin aus, und das „feine Reden" überlassen sie den „swells" - das heißt allen Denen, die einen ordentlichen Rock anhaben und nicht zur Klasse der „old hands" und „bundlemen" gehören.
Die Zufuhren waren jetzt mit Hülfe der übrigen, gerade in der Nähe des Hauses beschäftigten Arbeiter in das Vorrathshaus geschafft, aber noch nicht verschlossen worden. Georg, der älteste von Powell's Söhnen, der eben in vollem Galopp zum Hause zurückkehrte, weil er draußen die Ochsenpeitschen der ankommenden Treiber gehört, hatte mit dem jüngsten Bruder auch wohl eine Stunde lang vollauf zu thun, den ihn umringenden Arbeitern Tabak abzuwiegen und zuzumessen oder andere Kleinigkeiten zu verabreichen, auf die sie schon mit Schmerzen Monate lang gewartet hatten.
Tabak besonders, jenes Labsal des Busches, war schon in den letzten Wochen ein vergebens ersehntes Bedürfniß, und die danach lechzende Schaar von Tag zu Tag auf die rückkehrenden Karren vertröstet worden. Kein Wunder, daß sie jetzt in ihrer Ungeduld die Zeit nicht erwarten konnten, bis ihnen wieder etwas davon zugetheilt wurde, und kauend und rauchend erfüllten sie bald mit sehr zufriedenen, ja man könnte fast