Die Leiden des Schwarzen Peters. Till Angersbrecht

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Die Leiden des Schwarzen Peters - Till Angersbrecht

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meinen Arm mit seiner rechten Pranke gepackt, was sicher gut gemeint, aber dennoch wenig angenehm war, denn die Arme des Mannes sind stark wie die Beine eines Stiers, und seine Hände scheinen Schraubstöcke zu sein. Beinahe hätte ich mein Gesicht vor Schmerz verzogen.

      Glücklicherweise ließ er nach einiger Zeit wieder locker, sonst hätten die Bürger von Goldenberg möglicherweise bemerkt, dass auch ich von Vorurteilen keineswegs frei bin, denn, um ehrlich zu sein, schreckte mich der Anblick dieses Mannes doch einigermaßen ab, ja, erfüllte mich sogar mit Beklemmung. Als er mich vor dem Stadttor empfing und zur Begrüßung in seine tatzenstarken Arme schloss, zuckte ich im ersten Moment zusammen wie vor einem kannibalischen Überfall, denn der Schädel des Herrn Bürgermeisters – so muss ich es wahrheitsgemäß protokollieren - ist überaus seltsam geformt: Er gleicht nämlich einer in Goldenberg äußerst beliebten Frucht, die sie Kartoffel nennen, aber er gleicht ihr in einem Zustand unfertiger Bearbeitung, wenn sie also erst halb geschält ist, denn neben einigen käsebleichen, also vergleichsweise hellen Stellen, weist der Kopf des Stadtoberen auch dunkle bis schwarze Flecken auf, so die behaarte Schädeldecke und den ebenfalls grauschwarzen Bart, Stellen, welche sozusagen die noch unbearbeiteten Teile der Erdfrucht repräsentieren.

      In dem Moment, als sich dieses Kartoffelgesicht mit seinen mächtigen Kiefern zu mir hinunterbeugte, erfasste mich panischer Schrecken, denn ich weiß ja: Die Lust am Verspeisen anderer Lebewesen, selbst wenn es die eigenen Mitmenschen sind, liegt uns allen bis heute im Blut, nicht jeder hat sie vollständig überwunden. Außerdem darf ich mit Fug und Recht von mir behaupten, nicht ganz unappetitlich zu sein. Im Gegensatz zu meinem Gegenüber strahlt mein Gesicht den Glanz einer leckeren, lockenden, die Esslust aufreizenden Schokolade aus – ohne mich übertriebener Selbstverliebtheit schuldig zu machen, darf ich behaupten, dass sich kein anderer Bewohner der Stadt einer solchen Anziehungskraft rühmen kann.

      Zum Glück erwies sich meine Befürchtung als unbegründet. Es zeigte sich, dass der Bürgermeister – inzwischen kann ich das von den Eingeborenen dieser Stadt insgesamt behaupten - von solchen Gelüsten und Anwandlungen frei ist. So sehr es für mich im ersten Augenblick auch danach aussehen musste, wollte Bremme mich keinesfalls fressen, obzwar sein Mund meinen Wangen ganz nahe kam, ja sie sogar flüchtig berührte. Eine solche Annäherung entspringt bei ihnen nicht dem Appetit oder schlimmeren Gelüsten, sondern ist nur ein bei ihnen üblicher, wenn auch reichlich seltsamer Brauch. Einem verehrten Gast oder vortrefflichen Ankömmling drücken die Goldenberger mit ihrem Mund einen, wie sie es nennen, Willkommenskuss erst auf die linke, dann auf die rechte Wange. Ob dieser Brauch freilich nur das verfeinerte Überbleibsel einer früher bei ihnen üblichen, inzwischen aber überwundenen Art des Kannibalismus ist, vermag ich nicht zu sagen. Diesen Punkt werden spätere Forschungen klären müssen.

      An dieser Stelle, gleich zu Beginn meines Berichts, möchte ich mich ausdrücklich zu meiner großen Bewunderung für die Eingeborenen dieser Stadt bekennen, die sich wirklich alle erdenkliche Mühe geben, um den Fremden in ihre Welt einzuführen und ihn seine Fremdheit vergessen zu lassen. Gewiss ist dieses Vorhaben nicht immer einfach für sie gewesen. Vorurteile gibt es schließlich auf beiden Seiten. Schon heute, also am zweiten Tag meines Aufenthalts in der Fremde, führen sie mich in das Odysseus, wo ich sofort ohne Prüfung und bürokratischen Aufwand – der Bürgermeister selbst erteilt eine entsprechende Weisung - als ordentlicher Kellner angestellt werde, und zwar aus keinem anderen Grund, als weil nach Meinung der Goldenberger kein Mensch vollständig, ehrenwert oder auch nur menschenwürdig zu nennen sei, wenn er seine Tage nicht mit Arbeit verbringt, denn erst dadurch verschaffe er der Sozietät einen für alle sichtbaren Nutzen. Erst wenn der Mensch, festgezurrt an eine Arbeitsstelle, seinen unveränderlichen Platz im großen Ganzen hat, ist die Obrigkeit beruhigt und der allmächtige Polizeipräsident Knarr ist dann gleichfalls zufrieden, weil er den Betreffenden unter ständiger Beobachtung hat. In diesem Punkt kennen die Goldenberger keinen Spaß, so freundlich sie sonst in jeder Hinsicht auch sind: Gegen ziellose, wie Hunde frei herumstreunende Existenzen hegen sie unüberwindbares Misstrauen.

      Die erste Frage, die sie einander und natürlich auch jedem Fremden bei einer ersten Begegnung stellen, lautet grundsätzlich: Was ist dein Beruf? - und wehe, wenn du dann verlegen den Kopf schütteln musst und ihnen nichts anderes zu sagen weißt, als dass du leider nichts Besseres seist als ein Mensch, ungebunden und keinem anderen hörig. Dann messen sie dich von unten nach oben mit vernichtendem Blick. Ein Mensch ohne Arbeit ist für sie ein Unmensch, ein Barbar, ein minderwertiges Wesen, zu jeder Schandtat bereit und fähig.

      Diese Reflexionen füge ich vorsichtshalber gleich zu Beginn meines Berichtes ein, damit ihr, hoher Rat, eine Vorstellung von der Ehre habt, die mir schon am Tag meiner Ankunft erwiesen wird, indem man mir den Posten eines regulären Kellners offeriert, und zwar, ich sagte es schon, im renommierten Odysseus, das sich im Zentrum der Stadt am Rande des Stadtparks unweit vom Schloss befindet. Ich meinerseits zögere nicht einen Augenblick, das Angebot voller Dankbarkeit anzunehmen, obwohl ich in aller Freimütigkeit zugeben muss, dass ich durchaus keinen natürlichen Drang zur Arbeit besitze, sondern diese vielmehr für ein großes Übel und eine Plage halte, da die Lilien auf dem Felde, wie doch jedermann weiß, nach unseres Schöpfers Willen ganz ohne Arbeit vollkommen glücklich sind. Euch, die ihr mich kennt, darf ich anvertrauen, dass ich die Lilien auf dem Felde von jeher beneide und es mir immer darum zu tun war, das Glück des seligen Nichtstuns mit ihnen zu teilen, denn nichts bereitet mir ein so großes Vergnügen, als einfach so in der Sonne zu liegen und nichts zu suchen – ja, das ist in solchen Momenten wirklich mein ganzer Sinn! Dann gelingt es mir sogar - köstliche Augenblicke! -, mein Denken vollständig abzuschalten, wobei ich einen wollüstigen Nirvanageschmack auf der Zunge verspüre, weil die süße und warme Leere, die vom Sonnengeflecht in meinen Bauch über die Region des Herzens hinauf bis in die oberen Sphären des Kopfes quillt, mir wie die Vorfreude auf die Erlösung von allen Übeln erscheint – Erlösung vor allem von dem großen Übel der Arbeit.

      Überhaupt liege ich nicht nur gern in der Sonne, die ja unserer Heimat ganz besonders gewogen ist, denn dort scheint sie fast jeden Tag, ich rede auch gern mit anderen Menschen, auch wenn dabei überhaupt nichts gesagt wird und gar nichts dabei „herauskommt“, denn ich will nicht leugnen, dass ich von Natur aus gesellig, mitteilsam und vor allem neugierig bin – Letzteres sogar ganz besonders, denn ich bin ja nicht aus reinem Vergnügen nach Goldenberg gekommen, als weltreisender Privatmann sozusagen, sondern ihr habt mich mit einem sehr ernsten und jedenfalls bedeutsamen Auftrag hierher geschickt, einem Auftrag, über den ich allerdings, so habt ihr mir eingeschärft, zu niemandem reden solle.

      Ihr wisst, was ich mit diesen Ausführungen über meine Natur andeuten möchte, nämlich dass ich an und für sich - rechnet man zusätzlich noch meine Neigung zu gedankenfreien Sonnenbädern hinzu – schon genug Beschäftigung habe. Da hätte man mich keinesfalls noch zusätzlich zu einem Kellner im Odysseus ernennen müssen. Gleichwohl bin ich natürlich mit allem einverstanden, denn die völlige Anpassung an die Sitten und Sonderbarkeiten der eingeborenen Stadtinsassen ist ja das erste Gebot meiner Mission. Eben deswegen überwinde ich meine Abneigung gegen die Arbeit und sage auf Anhieb „ja“ zu dem Angebot - nicht ohne allerdings in einem unbeobachteten Moment meinen persönlichen Schutzgeist Loso zu befragen, denn gegen seinen Willen möchte ich nichts unternehmen. Loso allerdings bleibt mir die Antwort schuldig, was mich sehr traurig stimmt: Seit ich in Goldenberg bin, hat er alle Zwiesprache verweigert.

      Das Odysseus ist übrigens ein anziehender Ort, vermutlich sogar der beste, um die Sitten, Bräuche, Anschauungen und Schrullen der Eingeborenen an ihrer Quelle, nämlich dort zu studieren, wo das Gespräch ungehemmt sprudelt - und das ist bei ihnen nun einmal an diesem gastlichen Ort der Fall. Erwähnte ich schon, dass sich das ganz aus Holz errichtete Odysseus zwischen mächtigen Kastanien am Rande des Stadtparks befindet? Dort wird sich also von nun an mein tägliches Leben abspielen; dort werde ich gerade in diesem Moment in die höheren Weihen der Geselligkeit eingeführt - vom Bürgermeister höchst persönlich. Er schiebt mir nämlich jenen honiggelben, sonnenfunkelnden Saft vor die Nase, ohne dessen tägliche Einverleibung in einem gläsernen Humpen – er ist etwa so hoch, wenn auch nicht ganz so breit wie der Kartoffelkopf Bremmes

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