Die Leiden des Schwarzen Peters. Till Angersbrecht

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Die Leiden des Schwarzen Peters - Till Angersbrecht

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Entschuldigungen vor. Leider gebe es selbst in seiner sonst in jeder Hinsicht aufgeklärten und fremdenfreundlichen Stadt ein paar schwarze Schafe, denen man die Gebote der Gastfreundschaft vergeblich gepredigt habe. Der Polizeipräsident Knarr nimmt die Sache allerdings weniger gelassen: Er winkt einen bis dahin unscheinbar im Hintergrund verborgenen Mitarbeiter herbei und befiehlt ihm, den Flüchtigen und seinen Dackel erkennungsdienstlich zu erfassen.

      Währenddessen hat sich ein weiterer Gast unserem Tisch genähert, denn natürlich war es einigen ausgesuchten Honoratioren der Stadt nicht verwehrt, den Fremden gleich am ersten Tag in persönlichen Augenschein zu nehmen. Die Frau Pastor Frieda Torbrück setzt sich mir gegenüber, sie tut es mit einem freundlichen, geradezu gerührten Lächeln. Sie hat eine liebe Art. Es sieht ganz so aus, als wäre ich für sie eine Erscheinung aus einem anderen, höheren Reich, der man sich mit behutsamer Ehrfurcht nähert.

      So viel Freundlichkeit macht mich verlegen, dennoch habe ich die Torbrück im Laufe der Zeit sehr schätzen gelernt, denn von vornherein hat sie mich für fähig gehalten, die Wahrheiten ihrer Religion zu begreifen, wichtig sei nur, dass das unter ihrer kundigen Anleitung geschieht. Dann, so ihr Versprechen, würde ich irgendwann zu einem Menschen werden, dem sie dasselbe Anrecht auf den späteren Einzug ins Paradies verheißen könne wie jedem eingesessenen Goldenberger, ja, ihrer Ansicht nach sogar ein größeres Recht, weil ein verlorenes oder aus der Fremde glücklich in die Herde aufgenommenes Schaf ein höherer Gewinn für den Glauben sei als die Trägen und Gleichgültigen der eigenen Heimat, die sich zu Unrecht einbildeten, sie hätten die künftige Erlösung schon von Geburt an in der Tasche.

      Nun, lieber Rat, damit eile ich wieder einmal den Ereignissen voraus, aber ich sehe mich genötigt, dieses Verfahren gleich noch ein zweites Mal zu befolgen, weil ich nur auf diese Art den vollen Umfang der mir hier entgegengebrachten Gastfreundschaft zu würdigen vermag. Denn ist es nicht eigentlich ein großes Wunder, dass mich Leute mit so viel Freude und Festlichkeit empfangen, die mich doch andererseits durchaus für fähig halten, ihre Haustiere zu reißen und zu verschlingen? Und muss ich nicht nachträglich die Tollkühnheit des Bürgermeisters besonders rühmen, der sich vor dem Tor zu mir herabbeugt hatte, um mir erst links und dann rechts einen Empfangskuss auf die Wange zu drücken, während er doch insgeheim befürchten musste, dass ich ihm, noch ungezähmt wie ich war, die Nase abbeißen könnte?

      Daran erkennt ihr, hochwertes Komitee, wie sich die Menschen in aller Welt mit größten Vorurteilen begegnen, und trotzdem entwickelte sich alles Weitere dann doch recht harmlos und schön.

      Übrigens sprechen nicht alle Vorstellungen, welche seit wer weiß wie vielen Jahrhunderten in den Köpfen der hiesigen Eingeborenen Wurzeln geschlagen haben, von vornherein gegen mich. Das möchte ich ausdrücklich betonen, um nicht in den Verdacht zu geraten, als würde ich den Menschen von Goldenberg nichts als schlechte Annahmen über einen Fremden wie mich zutrauen. Damit würde ich ihnen großes Unrecht tun, denn sie trauen mir ganz im Gegenteil gewisse Fertig- und Fähigkeiten zu, die mein tatsächliches Können weit überschreiten. Da kann ich euch zum Beispiel von folgendem Beispiel berichten.

      Einige Tage nach meinem ersten Treffen im Odysseus wurde von einem der Gäste eine Handlung begangen, die man auf den ersten Blick für harmlos und zufällig halten konnte, zumindest wenn man als frisch Zugereister noch so naiv und gutgläubig ist wie ich. Die zu dieser Zeit um die Tische des Odysseus versammelten Gäste waren allerdings durchaus nicht naiv, sie waren sich im Gegenteil durchaus bewusst, dass der Mann, der da scheinbar im Spiel seinen Hut abgenommen und ihn – wie es schien, ebenfalls aus reinem Zufall - so hoch geworfen hatte, dass er an einem Ast des Kastanienbaums ganze acht Meter über dem Boden hängen blieb, sehr wohl eine Absicht damit verfolgte, denn alle Blicke waren plötzlich auf mich gerichtet, der ich nichtsahnend der mir hier aufgetragenen Arbeit oblag: Ich hatte gerade ein Tablett mit funkelnden Humpen auf dem Serviertisch abgestellt.

      Ich stutzte über die mir zugewendete Aufmerksamkeit; sie machte mich verlegen.

      Warum schauen die Leute jetzt abwechselnd auf den Hut in acht Metern Höhe und dann wieder auf meine Person?, fragte ich mich und spürte ein deutliches Unbehagen, weil die Leute ja offensichtlich etwas von meiner Person erwarteten. Und warum machte sich auf ihren Gesichtern Enttäuschung breit, als nichts geschah, jedenfalls nichts, was ihrer Erwartung entsprach?

      Erst später verstand ich den Grund für die Enttäuschung: Der Mann hatte mir mit seinem schwungvollen Wurf die Gelegenheit geben wollen, meine angeborenen Talente – oder was er dafür hielt - vor aller Welt zu beweisen. Die Goldenberger sind nämlich in ihrer Mehrheit fest überzeugt, dass ein dunkelhäutiger Mensch meines Schlages unseren gemeinsamen Vorfahren, den Primaten, sehr viel näher sei als sie selbst. Sie glauben, dass ich nach einem Blick auf den Hut wie ein Affe und mit der diesen Wesen von Natur eigenen Geschicklichkeit den Baum erklimmen und mich von Ast zu Ast zum Hut hinaufschwingen würde, um ihn dann aus der Höhe dem glücklichen Besitzer zu apportieren. Sicher waren alle bereit und warteten nur darauf, mich nach vollbrachter Heldentat mit tosendem Applaus zu belohnen - davon bin ich durchaus überzeugt.

      Natürlich rührte ich mich nicht, ich habe in meinem Leben überhaupt nie das Bedürfnis verspürt, Bäume zu erklimmen und Gegenstände zu apportieren. Die im Odysseus versammelten Eingeborenen waren um eine Erwartung ärmer: Sie wussten nun, dass ich genauso ungelenk bin wie sie selbst, genauso degeneriert, könnte man vielleicht sagen, wenn man unsere gemeinsamen, baumbewohnenden Ahnen als Vorbilder betrachtet. Doch muss ich der Gerechtigkeit halber diese Erfahrung mit einem Nachsatz versehen: Sie ließen mich ihre Enttäuschung keineswegs spüren, sondern brachten mir weiterhin eine ausgesuchte Freundlichkeit entgegen. Doch in ihren Augen habe ich zweifellos etwas von meinem Prestige eingebüßt, ich war sozusagen auf das ihnen vertraute Normalmaß geschrumpft.

      Gottes ausgestreckter Zeigefinger

      Verehrte Auftraggeber, lieber Ältestenrat! Meine Mission verläuft in der von euch vorgesehenen Bahn, ihr könnt also durchaus beruhigt sein. Seitdem man mich mit einer anständigen Arbeit beehrte – arbeiten ist hier an und für sich schon anständig! -, rücke ich den Eingeborenen mit jedem Tag etwas näher. Ich bin, so nennen sie es hier: schon wesentlich „integriert“, ein Wort, das, wie sie mir erklären, von einer ausgestorbenen Sprache stammt, in der die Wurzel „integer“ so viel wie „unversehrt“, „unverdorben“, „vollständig“ heißt.

      Diese Verwandlung schreibe ich in erster Linie dem goldenen Schimmer der von mir ausgetragenen Pierhumpen zu, der lässt mich unversehrt, unverdorben und keusch erscheinen. Denn die in ihren Augen bedauerliche Dunkelheit meiner Haut wird dadurch doch etwas aufgehellt, zumal wenn die Sonne den goldenen Widerschein aus den Humpen auf meinem Gesicht zum Glühen bringt. Dazu verleiht mir die Arbeit in ihren Augen so etwas wie Vollständigkeit, denn ich sagte es ja schon: Wer sich hier nicht Tag für Tag an irgendeinem Ding abrackert, der ist für sie kein ganzer und schon gar kein achtbarer Mensch. Es ist wirklich ein großes Glück, dass sie mich gleich am ersten Tag integrierten, vor meiner Ankunft hatte es nämlich – so viel habe ich schon erfahren - auch warnende Stimmen gegeben.

      Wird er nicht wild und unbeherrschbar sein, wenn er zu uns so direkt aus der Wildnis kommt? Wie fangen wir ihn im Park oder in den Straßen der Stadt dann wieder ein?

      Derartige Bedenken hatte der Polizeipräsident Knarr angemeldet, aber auch Fred Tautzig, der bekannte Zigarrenfabrikant, dessen Stimme in Goldenberg als gewichtig gilt und der mit dieser Warnung nicht wenigen Bürgern ziemliche Furcht einflößte.

      Als sich die Eingeborenen durch den Augenschein davon überzeugten, dass ich mich mit der Verlässlichkeit eines emsig hin und her flitzenden Weberschiffchens zwischen Tresen und Tischen des Odysseus bewege, die goldgelbe Hure Pier dabei ganz unversehrt bleibt und ich auch niemandem den Schädel mit einem Humpen einschlage, wie man das doch von einem Wilden befürchten konnte, sind sie voll des Staunens,

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