Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich страница 3
2.
Das Gemeinde-Haus.
Valerie hatte, so lange ihre Mutter lebte, nie das Bedürfniß gefühlt, sich an irgend jemand Andern anzuschließen, und deshalb auch mit Kindern ihres Alters wenig oder gar keinen Verkehr gehabt. Diese spotteten ja auch nur über ihre Sprache und ihr ganzes fremdartiges Wesen, und herzlich gegen sie war keins von allen gewesen. Was brauchte sie auch Fremde - ihre Mutter galt ihr Alles auf der Welt, und sie sehnte sich nicht hinaus zu den Menschen!
Jetzt plötzlich war ihr Alles mit einem Schlag genommen, und sie selber nur auf die angewiesen, von denen sie sich früher zurückgezogen, ja von denen sie zurückgestoßen worden, und wie unglücklich sie sich dabei fühlte, läßt sich denken. Aber sie klagte weder, noch weinte sie. Als ob sie im Unglück ergraut wäre, so packte sie das Wenige, was ihr noch geblieben, zusammen und verließ das Haus - das einzige, das sie als Heimath kannte, um in das Gemeinde-Haus überzusiedeln. Dort lebte eine arme alte Frau in der einen Stube, der sie zugetheilt wurde, und die zugleich die Aufsicht über sie führen sollte, worauf diese auch sehr gern eingegangen war, da sie das Kind als Aufwartung recht gut gebrauchen konnte.
Das Gemeinde-Haus stand, wie gesagt, nicht weit vom Kirchhof und war insofern eins der stattlichsten Gebäude im Dorfe, da es ganz neu und massiv aus Sandstein aufgeführt und mit Ziegeln gedeckt worden; öde genug sah es freilich noch aus, denn kein Baum oder Strauch befand sich auf wohl vierzig Schritt im Umkreis; nur rother, lehmiger Boden, bei Regenwetter fast unnahbar. Dicht hinter dem Haus hatte der kleine Ort auch einen Brunnen graben lassen, aber das herausgeworfene Erdreich lag noch in hohen Haufen rings umher und machte den Platz dadurch nur noch wilder und trostloser.
Und das Innere? - Das ganze Haus bestand aus sechs Zimmern, einem Erker oder Mansardstübchen und einer Küche. /10/ Bewohnt war es nur zur Hälfte von drei Parteien: jener alten Frau, der Wittwe eines emeritirten Schullehrers; einem alten wüsten Burschen, der seit etwa dreißig Jahren auf Märkten und Messen mit einer Drehorgel und Mordgeschichten herumgezogen war und jetzt, da er nicht mehr fort konnte, an seine Gemeinde zurückgeliefert wurde, und einem blinden Schuhmacher, der eigentlich in ein Irrenhaus gehört hätte, denn er hielt sich für den König David und sang fortwährend Psalmen. Das aber ärgerte den alten Bänkelsänger, und so wie der Schuhmacher drüben in seiner Stube einen Psalm begann, fiel er mit einer seiner alten Mord- und Räubergeschichten ein, so daß diese Zwei zusammen tagtäglich ein ohrzerreißendes Concert lieferten.
Drei von den Zimmern standen öde und leer, so daß es im Winter eigentlich nie warm wurde; aber auch selbst die bewohnten Zimmer besaßen nur das Allernothwendigste von Hausgeräth - ein Bett mit Strohsack und wollener Decke, einen rohen Stuhl und eine wie mit der Axt zugehauene Commode. Die Oefen waren ziemlich gut, aber von außen zu heizen, und das Kochgeschirr in der Küche, mit ein paar blechernen Tellern und Löffeln, zum gemeinschaftlichen Gebrauch für alle Insassen.
Da hinein kam Valerie - dort sollte sie ihre Jugend verbringen, und als sie zuerst die Schwelle überschritt, war es ihr, als ob sie zum Tode geführt würde. Aber auch hier kam kein Laut über ihre Lippen, keine Thräne mehr in ihr Auge; still und geduldig ließ sie Alles mit sich geschehen, denn sie hatte ja keinen eigenen Willen, und wie ihr der Ortsvorstand bemerkte, mußte sie der Gemeinde noch dankbar dafür sein, daß diese sich einer solchen, eigentlich gar nicht hierher gehörenden Last angenommen hätte. Er schien auch wirklich eine Art Dank dafür zu erwarten, aber Valerie erwiderte keine Silbe. Schweigend folgte sie ihm in das öde Zimmer zu der alten Frau; schweigend, nur mit einem schüchternen Gruß, legte sie ihr kleines Bündel ab, und kauerte sich dann, beide Ellbogen mit ihren zarten Händen fassend, in der Ecke auf den Boden nieder.
Die alte Frau ließ sie anfangs gewähren und betrachtete /11/ sie nur manchmal kopfschüttelnd; es mochte ihr selber wunderbar vorkommen, ein so zartes Wesen als Genossin im Armenhaus zu erhalten. Aber ihre eigene Bequemlichkeit ging ihr doch zuletzt über jede etwa zu nehmende Rücksicht, und sie sagte nach einer Weile:
„Wie heißt Du, Kind?"
„Valerie," erwiderte das junge Mädchen scheu, und die Alte schüttelte ganz erstaunt wieder den Kopf.
„Wer hat nur je in aller Welt davon gehört, daß Eltern ein Kind Falleri getauft hätten? Falleri fallera singen die Kerle draußen, wenn sie 'was im Kopfe haben; das muß ein komischer Pfarrer gewesen sein, der den Namen in sein Kirchenbuch geschrieben hat. - Aber das schadet nichts, Kind," setzte sie beruhigend hinzu, „er klingt wenigstens lustig, und 'was Lustiges können wir in dem Elend hier gebrauchen, Schatz, das weiß der allmächtige Gott."
Valerie sah scheu zu ihr hinüber; die Alte nickte so heftig und unheimlich mit dem Kopf und sah dabei so stier vor sich hin, daß sie sich ordentlich vor ihr zu fürchten begann; aber die Frau Kunze - wie sie mit Namen hieß - war nur einmal wieder in ihre alten Erinnerungen hinein gerathen, in ihre Jugendjahre, wo sie auch bei fremden Leuten gedient, dann mit dem Schullehrer des Dorfes ein Verhältniß angesponnen, der sie zuletzt hatte heirathen müssen, dann die ganze Jammerzeit ihrer Ehe hindurch in Noth und Kummer hinlebend mit fünf Kindern, die sie alle, eins nach dem andern, begraben mußte, zuletzt mit dem Bescheid des Oberconsistoriums, der ihren Mann noch in seiner besten Lebenszeit emeritirte; dann das Elend nachher und zuletzt der Tod des Gatten, der sie, mit ihrer Pension von achtzehn Thalern jährlich, auf das Gemeinde-Armenhaus anwies, als letzte Zuflucht. Wenn sie das Alles aber bedachte, kam ihr immer der wunderliche Gedanke, wie es denn möglich sei, daß der liebe Gott Menschen auf die Erde setzen könne, denen er auch nicht ein einziges Jahr, ja keinen Tag, keine Stunde des Glückes gebe und die ihr Dasein in Jammer und Leid bis zum Grabe fortschleppen müßten, und daß sie dabei nicht freundlich aussehen konnte, ließ sich denken. /
12/ Aber das Grübeln allein half ihr nichts; das hatte sie das ganze Jahr hindurch alle und alle Tage, und die halben Nächte dazu; es wurde Zeit, daß sie etwas zu essen bekamen, und sie sagte deshalb:
„Komm, Kind, das nützt Alles nichts - das Grübeln bringt uns nicht weiter, und der Kopf wird Einem nur schwer und das Herz auch. - Sieh dich ein bischen in der Küche um - ich zeige Dir, wo Alles steht, und mach' Feuer an, daß wir wenigstens ein paar Kartoffeln bekommen - weiter giebt's nichts, außer Sonntags, da kriegen wir Fleisch - oder manchmal auch keins, wenn es Hirsebrei setzt. Du wirst so jetzt für die Küche sorgen müssen, denn meine alten Knochen wollen nicht mehr recht fort, und es wird auch wohl Zeit, daß ich mich zur Ruhe setze, denn eine Hülfe im Haus hat's mir noch nie abgeworfen. So alt ich bin, ich habe nur immer mir selber und anderen Menschen helfen müssen."
Die Alte murmelte noch immerfort einzelne Worte vor sich hin, stand aber doch jetzt selber auf, um dem Kind seinen neuen Wirkungskreis zu zeigen und die bisher gethane Arbeit auf dessen Schultern zu legen.
Valerie folgte ihr willenlos in die Küche und begriff bald die Behandlung des sehr einfachen Kochherdes, versprach auch, das Geschirr immer hübsch rein und sauber zu halten, was die alte Frau, wie sie selber eingestand, in der letzten Zeit etwas vernachlässigt hatte. Du lieber Gott, „es ging eben nicht mehr recht, und man konnte es nicht verlangen".
Der blinde Schuster war indessen auch schon ungeduldig geworden, machte seine Stubenthür auf und fluchte - obgleich er sonst nur immer Psalmen sang - auf gotteslästerliche Weise heraus, was denn das wäre, ob nicht bald Feuer angemacht würde, und sie heute etwa gar nichts zu essen haben sollten.
Valerie erschrak - der Mann sah gar so böse und so entsetzlich schmutzig und widerlich häßlich aus; aber heute