Nachbarschaft mit kleinen Fehlern. Elisa Scheer
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Читать онлайн книгу Nachbarschaft mit kleinen Fehlern - Elisa Scheer страница 14

Greta saß auf ihrer Schlafmatte und dachte nach. Diese Manuela… wann war die genau gegangen? Warum eigentlich? Hatte es ihr hier nicht gefallen? Hatten die Kurse, die Entspannungsübungen, die Meditation ihr nicht geholfen? War jemand unfreundlich gewesen? Vielleicht Hari? Aber der war halt so, der meinte es nicht so. Vielleicht war es so sogar besser. Hari war ja so etwas wie ein Geistlicher, die sollten vielleicht gar nicht übermäßig charmant sein? Gut, Pranesh war freundlicher, der hatte auch eher den Part der Seelsorge, wenn man in den Begriffen der katholischen Kirche sprechen wollte. Dann war Hari wohl so etwas wie ein strenger Kardinal… Sie kicherte unwillkürlich. Und Silver wäre dann ein Papst? Nein.
Wenn er sich einmal blicken ließ und so verträumt durch die Räume schwebte, hatte er eher etwas von einem Engel. Nicht von dieser Welt. Und wenn man gelegentlich einmal zu ihm geführt wurde, war es tatsächlich, als träte man vor einen Gott, und man fühlte sich hinterher irgendwie – naja – erhaben? gesegnet? Jedenfalls fühlte man sich – besser. Eigentlich merkwürdig…
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Rosi Högl hatte alles beobachtet, von der Ankunft dieser beiden Frauen – die sahen irgendwie aus wie die Kripo in den Vorabendserien – bis zu ihrem Abgang. Von dem Türenknallen wackelte beinahe das Haus! Na, diese komischen Leute, diese Pseudo-Mönche, konnten einen auch wirklich ärgern!
Wenn man sie traf, vor dem Haus oder im Treppenhaus, dann sahen sie durch einen hindurch, als seien sie über gewöhnliches Volk erhaben. Arrogantes G´schwerl…
Jedenfalls sie und den Greifenklau schauten sie immer so an. Die Schmalzl und die Behnisch eigentlich auch? Waren die nur an jungen Dingern interessiert? Man hatte ja über solche Leute schon viel gelesen, nicht wahr?
Was die Polizei bei denen wohl gewollt hatte?
„Tät mich schon interessieren“, murmelte sie und ließ ihren Parkettboden gleich noch energischer ein.
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Anja spielte mit ihrem Sohn; sie stapelte zwei Bauklötze aufeinander und Luca warf den kleinen Turm vergnügt krähend wieder um. Davon bekam er offenbar nie genug. Immerhin wartete er nach einiger Zeit schon, bis sie einen dritten Baustein obendrauf gesetzt hatte, und zerstörte den Turm dann erst. Etwas mechanisch baute Anja den Turm immer wieder auf, während sie überlegte, wer da wohl nebenan eingezogen war.
Ein gutes Haus, das musste man sagen. Solide. Dicke Wände. Hier musste man weinende Kinder nicht hektisch beruhigen, damit sich die Nachbarn nicht beschwerten! Ein großzügiges Treppenhaus, da konnte man den Buggy nach oben tragen, ohne einen entgegenkommenden Nachbarn umzurennen. Ein großer Kellerraum, warm und trocken, dort konnte man alles lagern, was man gerade nicht brauchte, zum Beispiel – sorgfältig verpackt – alle Babykleidung, aus der Luca schon herausgewachsen war. Nein, nie würde sie das weggeben, daran hingen doch Erinnerungen!
Sie holte ihr Handy. „Luca?“ Luca sah auf und lachte und sie drückte auf den Auslöser, mehrfach, auch, als Luca sich schon wieder abwandte und nun selbst den roten Baustein auf den blauen legte. Dann sah er wieder zu ihr, als wollte er sagen Bin ich nicht gut?
„Toll, Luca!“
Luca krähte und streckte die Arme aus. Anja nahm ihn sofort auf den Arm. „Mein Goldschatz…!“
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Desiree stieg müde die Treppen hinauf, immerhin froh darüber, dass sie im Drogeriemarkt nur die Frühschicht gehabt hatte. Was die Leute an einem Samstag alles kauften! Hatten die Angst, am Sonntag ohne Deo, Klopapier oder Wimperntusche dazustehen?
Nein, wahrscheinlich hatten sie nur alle unter der Woche keine Zeit, weil sie da arbeiten mussten. Hektische Zeiten, sie fühlte es ja selbst! Puh, war sie jetzt müde…
Warum mietete eigentlich niemand die Wohnung neben ihrer? Eine Zweizimmerwohnung im Dachgeschoss, in fast schon zentraler Lage, zu einer – naja – wohl nicht gerade niedrigen, aber doch bezahlbaren Miete? Wer war da eigentlich der Eigentümer?
Im zweiten Stock war ja eine Neue… hatte die schon ein Namensschild?
Tatsächlich – ach, stimmte ja, Preuß. Kam die wohl daher? Naja, so aussagekräftig waren Namen wohl auch nicht. Was sollte man dann wohl aus Schmalzl machen? Und warum Desirée? Mama hatte mal gesagt, das bedeute die Ersehnte. So ein Blödsinn, sie war doch wohl ein Unfall gewesen, nach dem, was sich ihre Eltern früher immer gegenseitig an den Kopf geworfen hatten. Gut, dass sie da raus war!
Die Wohnung war ihr eigentlich ein bisschen zu teuer, aber lieber sparte sie anderswo, als am Kreuz West oder in Spitzing West zu wohnen. Da lief sie dann nur ihren Eltern über den Weg – und für die Arbeit hier brauchte sie dann ja auch noch die Löffelkarte. Lieber hier wohnen und sonst nichts haben! Das Haus war so richtig bürgerlich. Gutbürgerlich. Das gefiel ihr, man konnte sich fast einbilden, es weiter gebracht zu haben.
Immerhin war jetzt Samstag – und für ein paar Fünfminutenterrinen hatte es doch noch gereicht. Und Äpfel.
Wochenende!
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Seine Wohnung war eigentlich eine Zumutung, fand Herr von Greifenklau. Auf diesen Namen legte er durchaus Wert, aber deshalb brachte man ihm hier auch nicht mehr Respekt entgegen.
Seine Familie hatte Jahrhunderte lang erst eine trutzige Burg auf der Schwäbischen Alb bewohnt und dann, als die Burgen so gar nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprachen, ein hübsches kleines Schloss in der Nähe von Neu-Ulm gehabt. Aber in den letzten Generationen war das Vermögen immer stärker geschrumpft. Das lag natürlich an dieser sich immer schneller verändernden Gesellschaft, in der man gewisse Standards kaum noch aufrecht erhalten konnte. Ein Greif von Greifenklau konnte schlecht ein Tätowierstudio aufmachen oder im Supermarkt Regale auffüllen. Taxifahren verbot sich auch von selbst, ein Greifenklau war doch kein Lohnkutscher!
Im Idealfall lebte man von den Erträgen seiner Güter, aber sogar ihm war klar, dass das schon seit dem Ersten Weltkrieg kaum noch möglich war. Aber: Privatgelehrter, wie sein Großvater, der noch im Schloss gelebt hatte?
Nun hatte der Großvater, so nobel die Profession noch gewesen war, eigentlich nur am Stammbaum der Greif von Greifenklau geforscht und viel Geld für Dokumente vertan, die er sich schicken ließ, um dann Dinge zu erfahren, die er zumeist schon wusste.
Sein Vater war zwar auch stolz auf den vornehmen Stammbaum gewesen, hatte sich aber doch etwas moderneren Berufen zugewandt und war Historiker geworden. Über den sogenannten Akademischen Mittelbau war er nie hinausgekommen, denn sein Arbeitsgebiet war doch recht begrenzt; mehr als den Wandel des Rittertums hin zu einem neuzeitlichen Adel und dessen Gefährdung durch diverse Revolutionen der Neuzeit bis hin zu dem Verlust von Gütern und Schlössern „im Osten“ hatte er nicht zu bieten gehabt. Wahrscheinlich war die Universität Leisenberg froh gewesen, als man Clemens Greif von Greifenklau im Jahr 1981 endlich in den Ruhestand schicken konnte, da sich kaum noch Studierende für seine Seminarangebote interessierten.
Vornehme Interessengebiete garantierten mittlerweile kein ausreichendes Einkommen mehr. Er selbst hatte als Bürochef in einem recht angesehenen Notariat gearbeitet, wo seine gerade Haltung, sein vornehmes Flair und sein wohlerzogener Ton angemessen gewürdigt wurden. Im Gehalt hatte sich das freilich nicht unbedingt niedergeschlagen, so dass es heute gerade so für eine gemietete Dreizimmerwohnung in dieser doch recht armseligen Gegend reichte. Auch Geldanlagen waren heute gar so kompliziert – kein Wunder, dass er da einen hübschen Teil seiner Ersparnisse eingebüßt hatte. Dieser windige