Sehen will gelernt sein. Wilfred Gerber

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Sehen will gelernt sein - Wilfred Gerber

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die Schweizer Platinarmbanduhr, dass die Zeit bereits knapp geworden war.

      „So spät schon!“ Hastig sprang er aus dem Bett, riss sich die Kleider vom Leib, stellte sich unter die wohltemperierte Dusche, deren warmer Strahl ihn sanft einhüllte und seine Verspannungen löste.

      Plötzlich wurde er aus den Tagträumen gerissen. Dr. Weiß war versehentlich an den Hebel der Armatur geraten, der eiskalte Strahl ergoss sich mit Macht über seinen Körper und ließ ihn erstarren.

      Tropfnass zitternd frottierte er sich hastig ab, stellte sich mit dem Handtuch um die Hüften vor den Waschbeckenspiegel, rasierte sich sorgfältig, „So viel Zeit muss sein“, flüsterte er gutgelaunt, schüttete einen Schuss des teuren Rasierwassers auf die Hand, massierte es genussvoll auf Kinn und Wangen. Wohlgefällig betrachtete er das Spiegelbild, was er sah, gefiel ihm. Genau das richtige Gesicht für sein Vorhaben.

      Der Koffer lag geöffnet auf dem Bett. Zum mausgrauen, maßgeschneiderten Geschäftsanzug wählte er das passende hellblaue Hemd und die rotseidene Krawatte. Die grauen, handgenähten, italienischen Halbschuhe komplettierten die sorgfältig ausgewählte Garderobe. Vollständig bekleidet, innerlich bereit für den Banktermin griff er zum Haustelefon. „Würden Sie mir freundlicherweise ein Taxi bestellen.“ Weiß legte den Hörer zurück, nahm den Aktenkoffer in die linke Hand, nicht ohne sich noch einmal seines Inhalts zu vergewissern, blickte flüchtig auf die Armbandbanduhr, er würde es noch pünktlich schaffen, verließ gemessenen Schrittes, schon ganz auf den bevorstehenden Auftritt fixiert, die Suite. Er hatte nicht die Absicht, obwohl er für zwei Nächte bezahlt hatte, sie je wieder zu betreten.

      Als er die Hoteltür durchschritt, wartete das Taxi in der Auffahrt. „Bitte fahren Sie mich zur Raiffeisenbank am Herrmannsplatz.“ Ohne Gepäck stieg er ein, er würde es nicht mehr brauchen, es konnte getrost zurückbleiben. Der Inhalt erlaubte keine Rückschlüsse auf ihn, außer der Kleidung, die er am Leibe trug, gehörte ihm nichts davon.

      Er zog die Akte aus dem Koffer, vertiefte sich in ihren Inhalt, als die Fahrt begann.

      Der plötzliche Halt beendete das Studium. „Die Raiffeisenbank, der Herr“, lächelte der Taxifahrer. „Das macht dann elf Mark fünfzig. Wünschen der Herr eine Rechnung?“

      „Selbstverständlich, der Rest ist für Sie.“ Dr. Weiß ordnete schnell seine Unterlagen, betrat drei Minuten nach drei die Bank, an deren Eingang Herr Bergmann, der Filialleiter, ihn erwartete.

      Er legte im Büro die notwendigen Papiere vor, und schon nach fünfzehn Minuten verließ er mit 40.000 Mark in der Aktentasche die Filiale.

      Im Inneren des in der Nähe geparkten Transporters wechselte er die Kleidung, setzte sich, nun im blauen Arbeitsanzug, hinter das Steuer, fuhr zügig, unter der Höchstgeschwindigkeit, in Richtung Frankfurter Autobahn. Kurz vor der Auffahrt lenkte er den Wagen an die rechte Seite und hielt vor der Telefonzelle.

      9

      „Lothar, ich komme heute noch nach Frankfurt zurück. Hier hat alles wie am Schnürchen geklappt. Ich habe das Geld. Treffen wir uns um sieben bei dir?“

      Wolfi Wagner hatte sich schon umgezogen, sein Gepäck im Laderaum des Transporters mit der großen Aufschrift, Feuerschutz-und Sicherheitstechnik, verstaut und fuhr nach getaner Arbeit auf der vollen Würzburger Autobahn nach Frankfurt.

      Dass sich gerade die Zellentür des türkischen Gefängnisses hinter seinem besten Freund Reinhard Amper schloss, konnte er nicht ahnen.

      Der blaue Kastenwagen war mit Feuerlöschern, Ersatzteilen und Werkzeugen bis unter das Dach voll beladen.

      Wolfi saß in blauer Arbeitshose, dem dazu gehörenden Kittel hinter dem Steuer und hielt sich während der Fahrt unauffällig an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Oft wurden er und sein Chef Lothar Busse bei den verschiedensten Polizeikontrollen einfach durchgewunken. Er hoffte, auch heute würde es so sein.

      Das Glück blieb ihm treu, außer dem allabendlichen Stau hinter Aschaffenburg verlief die Fahrt ohne Probleme.

      Er kam fast pünktlich, kurz nach sieben, auf Busses Betriebshof an, parkte den Kastenwagen ordentlich in die Lücke, begrüßte seinen Chef, der vor der Haustür ungeduldig auf ihn wartete, mit einem freundlichen: „Hallo!“

      „Komm rein, Wolfi, bring die Auftragszettel mit. Wir wollen mal sehen, ob wir uns die nächsten Tage frei nehmen können.“

      Busse wusste sofort durch Wolfis Gang, dass sich der heutige Tag gelohnt hatte.

      „Die Bareinnahmen sind in der Tasche“, strahlte Wolfi. „Ich lade noch die Koffer in den Kombi, dann können wir die Abrechnung machen. Du kannst es ja kaum erwarten, aber ich muss bald fahren. Heute Abend wartet Helga mit dem Essen auf mich. Ich ziehe mich schnell um, geduscht habe ich schon im Hotel, dann kann´s losgehen. Nimm den Geschäftskoffer mit rein. Mach schon mal ein Bier auf, ich komme gleich nach. So viel Zeit muss sein, Chef, am wohlverdienten Feierabend. Hast du dir etwa Sorgen um mich gemacht? Ich konnte wirklich nicht früher anrufen. Du weißt ja, Lothar, Geduld ist die Tugend der Tüchtigen“, konnte sich Wolfi nicht verkneifen.

      Er war mit sich und dem Erfolg des heutigen Arbeitstages rundum zufrieden. Kein Zweifel nagte an seinem Gewissen. Auf Busse getroffen zu haben, war der reine Glücksfall. Alles sollte so weiter gehen. Seine Gabe, sich in Sprache, Gestalt und Wesen der jeweiligen Situation anzupassen, dass alle dachten, ein anderer stehe vor ihnen, würde schon dafür sorgen.

      Jetzt ist endgültig Feierabend. Das Geld teilen, dann ab zu Helga! sagte sich Wolfi und betrat das Büro.

      Busse war sofort nach ihrer ersten Begegnung die enorme Wandlungsfähigkeit Wolfis aufgefallen. Er bereitete sich auf die Rolle, die er gleich spielen würde, innerlich und äußerlich akribisch vor, nein, er spielte die Rolle nicht nur, er war der Mensch, den er spielte, den zuverlässigen Handwerker, den selbstsicheren Filialleiter der Bank oder gar den Geschäftsführer einer großen Baufirma. Er überließ nichts dem Zufall, wenn er an den Automaten die Konten leer räumte, war er immer ein anderer. Er veränderte die Gesichtsform, die Körpergröße, die Haltung, selbst den Ausdruck und die Farbe der Augen. Busse hätte für sein Geschäft keinen Besseren finden können. Wolfi Wagner war der richtige Mann, auf den er schon lange gewartet hatte. Ohne ihn wäre er nie an das große Geld gekommen. Einen Geschäftsführer zu spielen, sprengte seine Vorstellungskraft. Wolfi konnte es und hatte sogar Spaß daran. Lothar Busse verdiente mit der Feuerschutzfirma und den EC-Karten auch vor Wolfis Eintritt in das Geschäft nicht schlecht, doch mit ihm hatte sich der Umsatz vervielfacht. Wolfis technisches Verständnis und seine praxisnahen Anwendungen machten Automaten, Alarmanlagen, selbst Tresore zum Kinderspiel, außerdem hatte er ein feines Gespür für Verstecke. Nie dauerte es länger als ein paar Minuten, bis er die Karten fand, und die Konten geplündert werden konnten. Wolfi war der talentierteste Mann, mit dem er je zusammengearbeitet hatte, der reine Glücksfall.

      „Susanne, kommst du? Polizeirat Lehmann wartet nicht gern. Die Kollegen aus den Direktionen Weiden, Würzburg, Passau und Garmisch sind vor einer halben Stunde eingetroffen. Also, beeil dich, du sollst doch vortragen.“

      Kriminalhauptkommissar Horst Kruse schloss behutsam die Bürotür der Oberkommissarin Susanne Richter, sie führte ein scheinbar wichtiges Telefonat, eilte, den Aktenordner unter dem Arm, über den leeren Gang des Aschaffenburger Polizeireviers zum gerade eingerichteten Besprechungszimmer der SoKo „Dreist„.

      „Herr Polizeirat.“ Kruse blickte sich im Raum um. „Alle Mitglieder der Soko sind anwesend. Kommissarin Richter wird gleich

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