Mephisto. Klaus Mann
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Die schöne Stimmung ließ ihn wohlwollend werden, zum Beispiel gegenüber Angelika, die er so häufig demütigte und kränkte. Nun dachte er an sie beinah zärtlich. ›Ein liebes Kind, ein sehr liebes Kind, ich will ihr heute Abend irgendwas schenken, damit sie sich auch einmal freut. Könnte man nicht mit Angelika zusammenleben? Ja, das wäre ein bequemes Dasein – ein viel bequemeres als das mit meiner Juliette.‹ – Bei allem ergriffenen Wohlwollen des Augenblicks mußte er nun doch höhnisch kichern, weil er Angelika mit Juliette verglichen hatte – die arme kleine Siebert mit der großen Juliette, die auf eine schreckliche und genaue Art das war, was er brauchte. Für solchen Frevel bat er Juliette innerlich um Verzeihung, während er vor seiner Haustür angelangt war.
Die altmodische Villa, in deren Erdgeschoß er ein Zimmer bewohnte, lag in einer jener stillen Straßen, die vor dreißig Jahren zu den vornehmsten der Stadt gehört hatten. Mit der Inflation waren die meisten Bewohner der feinen Gegend arm geworden; ihre Villen mit den vielen Zinnen und Giebeln sahen schon recht heruntergekommen aus – verwahrlost, wie die großen Gärten, die sie umgaben. Auch Frau Konsul Mönkeberg, der Hendrik monatlich vierzig Mark für eine geräumige Stube bezahlte, fand sich in bedrängten Verhältnissen. Trotzdem war sie eine tadellose, stolze alte Dame geblieben, die ihre sonderbaren Kostüme mit Puffärmeln und Spitzenumhang würdevoll trug, auf deren glatten Scheitel niemals ein Haar sich widerspenstig zu zeigen wagte und um deren schmale Lippen ironische aber nicht bittere Fältchen spielten. Die Witwe Mönkeberg war überlegen genug, an den Exzentrizitäten und diversen Unartigkeiten ihres Mieters keinen Anstoß zu nehmen, sondern ihnen eher die drolligen Seiten abzugewinnen. Im Kreise ihrer Freundinnen – alten Damen von ähnlicher Feinheit, ähnlicher Armut und fast dem gleichen Aussehen wie sie – pflegte sie mit trockenem Humor von den Narreteien ihres Untermieters zu berichten. »Manchmal springt er auf einem Bein die Treppe hinauf,« sagte sie, und lächelte beinahe wehmütig. »Und wenn er spazierengeht, setzt er sich oft plötzlich aufs Trottoir – denken Sie sich doch: auf das schmutzige Pflaster –, weil er fürchtet, er müsse sonst stolpern und hinfallen.« Während alle Damen ihre grauen Häupter schüttelten und, halb schockiert halb amüsiert, mit den Mantillen raschelten, fügte die Konsulin versöhnlich hinzu: »Was wollen Sie, meine Lieben? Ein Künstler . . . Vielleicht ein bedeutender Künstler –«, sprach die alte Patrizierin langsam, und bewegte die hageren, weißen Finger, an denen sie seit zehn Jahren keine Ringe mehr trug, auf der verblichenen Spitzendecke des Teetisches.
Hendrik fühlte sich unsicher in der Gegenwart der Dame Mönkeberg; ihre vornehme Herkunft und Vergangenheit schüchterten ihn ein. So war es ihm auch jetzt durchaus nicht angenehm, der feinen Alten im Vestibül zu begegnen, nachdem er gerade die Haustür so krachend hinter sich ins Schloß geworfen hatte. Angesichts ihrer imposanten Haltung nahm auch er sich ein wenig zusammen; zupfte sich den roten Seidenschal zurecht und klemmte sich das Monokel vors Auge. »Guten Abend, gnädige Frau, wie geht es Ihnen?« sprach er mit der singenden Stimme, die sich am Ende der Höflichkeitsfloskel nicht hob, wodurch der formelhaft konventionelle und anmutig leere Charakter des Satzes betont ward. Die artige kleine Anrede begleitete er mit einer leichten Verneigung, die, bei aller eleganten Nachlässigkeit, doch beinah höfischen Stil hatte.
Die Witwe Mönkeberg lächelte nicht; nur die Fältchen einer erfahrenen Ironie spielten ihr ein wenig stärker um Augen und schmale Lippen, als sie erwiderte: »Beeilen Sie sich, lieber Herr Höfgen! Ihre – Lehrerin erwartet Sie schon seit einer Viertelstunde.« – Die boshafte kleine Pause, welche Frau Mönkeberg vor dem Wort »Lehrerin« machte, bewirkte, daß Hendrik sein Gesicht heiß werden fühlte. ›Sicher bin ich ganz rot geworden,‹ dachte er, ärgerlich und beschämt. ›Aber sie kann es wohl hier im Halbdunkel nicht bemerken,‹ versuchte er, sich selbst zu beruhigen, während er sich mit der vollendeten Anmut eines spanischen Granden zurückzog.
»Ich danke Ihnen, gnädige Frau.« Er hatte die Türe zu seinem Zimmer geöffnet.
Im Raume herrschte ein rosiges Halbdunkel; es brannte nur die mit buntem Seidentuch verhüllte Lampe auf dem niedrigen, runden Tisch neben dem Schlafsofa. In die farbige Dämmerung hinein rief Hendrik Höfgen mit einer ganz kleinen, demütigen, etwas zitternden Stimme:
»Prinzessin Tebab, wo bist du?«
Aus einer dunklen Ecke antwortete ihm ein tiefes, grollendes Organ: »Hier, du Schwein – wo denn sonst?«
»Oh – danke –,« sagte, immer noch sehr leise, Hendrik, der mit gesenktem Haupt bei der Türe stehen geblieben war. »Ja . . . jetzt kann ich dich sehen . . . Ich bin froh, daß ich dich sehen kann . . .«
»Wieviel Uhr ist es?« schrie die Frau aus der Ecke.
Hendrik versetzte bebend: »Ungefähr vier Uhr – denke ich.«
»Ungefähr vier Uhr! Ungefähr vier Uhr!« höhnte die böse Person, die immer noch im Schatten unsichtbar blieb. »Ist ja drollig! Ist ja ausgezeichnet!« – Sie sprach mit einem stark norddeutschen Akzent. Ihre Stimme war ausgeschrien, wie die eines Matrosen, der sehr viel säuft, raucht und schimpft. – »Es ist ein Viertel nach vier Uhr,« stellte sie fest, plötzlich unheimlich leise. Mit derselben schauerlichen Gedämpftheit, die nichts Gutes verhieß, forderte sie ihn auf: »Willst du nicht eben mal ein bißchen näher an mich ran kommen, Heinz – nur ein ganz klein bißchen! Aber erst mach' das Licht an!«
Unter der Anrede »Heinz« zuckte Hendrik zusammen, wie unter dem ersten Schlag. Er gestattete es keinem Menschen, auch seiner Mutter nicht, ihn so zu nennen: nur Juliette durfte es wagen. Außer ihr wußte es wohl niemand hier in der Stadt, daß sein eigentlicher Vorname Heinz war – ach, in welcher süßen und schwachen Stunde hatte er es ihr anvertraut? Heinz: das war der Name, mit dem alle ihn angeredet hatten, bis zu seinem achtzehnten Jahr. Erst als er sich darüber klar geworden war, daß er Schauspieler und berühmt werden wollte, hatte er sich den gewählteren »Hendrik« zugelegt. Wie schwer war es bei der Familie durchzusetzen gewesen, daß man sich an ihn gewöhnte und ihn ernst nahm – diesen ausgefallenen, anspruchsvollen »Hendrik«! Wie viele Briefe, die mit »Mein lieber Heinz!« begannen, hatte man unbeantwortet gelassen – bis auch die Mutter Bella und die Schwester Josy sich endlich zu der neuen Anrede bequemten. Mit Jugendfreunden, die hartnäckig bei »Heinz« blieben, hatte man den Verkehr rigoros abgebrochen; übrigens legte man ohnedies keinen Wert auf den Umgang mit Kameraden, die peinliche Anekdoten aus einer schalen Vergangenheit mit dem wiehernden Gelächter eines taktlosen Humors hervorzuholen liebten. Heinz war gestorben; Hendrik sollte groß werden. – Der junge Schauspieler Höfgen kämpfte einen erbitterten Kampf mit den Agenturen, den Theaterdirektoren und Feuilletonredaktionen darum, daß man seinen frei erfundenen, preziösen Vornamen richtig schriebe. Er zitterte vor Zorn und Gekränktheit, wenn er sich auf einem Programm oder in einer Rezension als »Henrik« aufgeführt fand. Das kleine »d« in der Mitte seines selbstgewählten Namens war für ihn ein Buchstabe von ganz besonderer, magischer Bedeutung: Wenn er es erst erreicht haben würde, daß ausnahmslos alle Welt ihn als »Hendrik« anerkannte, – dann war er am Ziel, ein gemachter Mann.
Eine so dominierende Rolle spielte der Name – der mehr als eine Personalbezeichnung, nämlich eine Aufgabe und Verpflichtung war – in Hendrik Höfgens ehrgeizigen Gedanken. Trotzdem duldete er es nun, daß Juliette aus ihrer finsteren Ecke ihn drohend anredete mit dem abgelegten und verhaßten »Heinz«.
Er gehorchte ihren beiden Befehlen; bewegte