Mord in Middle Temple. J. S. Fletcher

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Mord in Middle Temple - J. S. Fletcher

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wie Sie ihn jetzt noch sehen. Ich habe ihn nicht angerührt.“

      Er sprach nicht weiter, sondern verzog das Gesicht bei der Erinnerung an seinen ersten Schrecken. Driscoll nickte verständnisvoll.

      „Sie sind also aufgestanden und haben sich umgeschaut?“

      „Ja, und als ich das Blut sah, bin ich schnell auf die Straße gegangen, um einen Polizisten zu holen.“

      „Das Beste, was Sie tun konnten“, erwiderte Driscoll.

      Sie waren jetzt an dem Eingang angekommen und blieben stehen. Der Schauplatz selbst wirkte ziemlich nüchtern, die Wände waren mit Fliesen verkleidet, der Boden bestand aus Beton. In dem kühlen, grauen Morgenlicht erinnerte die Szene Spargo fast an eine Leichenhalle. Es war deutlich zu erkennen, dass der Mann, der dort lag, nicht mehr lebte.

      Im ersten Augenblick sprach niemand. Die beiden Polizisten schoben unbewusst die Daumen in den Ledergürtel und spielten nervös mit den Fingern. Der Portier rieb sich nachdenklich das Kinn. Spargo hatte die Hände in die Taschen gesteckt und klapperte mit seinen Hausschlüsseln. Jeder machte sich seine eigenen Gedanken beim Anblick dieses Toten.

      „Sie sehen“, sagte Driscoll plötzlich leise, „dass er eine ganz merkwürdige Lage hat. Es sieht fast so aus, als wäre er dort hingelegt worden. Vielleicht hat er zuerst an der Wand gelehnt und ist dann herunter gerutscht.“

      Spargo beobachtete alle Einzelheiten mit berufsmäßigem Interesse. Er sah zu seinen Füßen einen gutgekleideten, älteren Mann liegen, dessen Gesicht der Wand zugekehrt war. An den grauen Haaren und dem fast weißen Bart ließ sich sein Alter ungefähr abschätzen. Der graukarierte Anzug und die dazu passenden Schuhe verrieten guten Geschmack, ebenso die Wäsche. Das eine Bein war halb untergeschlagen, das andere lag ausgestreckt quer über der Türschwelle. Der Oberkörper lehnte gegen die Wand, und an den weißen Fliesen waren Blutspuren zu sehen.

      Driscoll zog die Hand aus dem Gürtel und zeigte auf den Toten. „Er muss wohl von hinten niedergeschlagen worden sein, als er hier herauskam. Das Blut floss aus seiner Nase, als er stürzte. Was meinst du dazu, Jim?“

      Der andere Polizist räusperte sich. „Wir sollten lieber den Inspector herholen. Und einen Arzt und eine Ambulanz. Er ist doch tot, nicht wahr?“

      Driscoll bückte sich und berührte die Hand, die auf dem Boden lag. „Daran ist gar kein Zweifel, er ist schon ganz steif. Also beeil dich mit deiner Meldung auf dem Revier.“

      Spargo wartete bis der Inspector kam und eine Tragbahre gebracht wurde. Es waren auch noch mehrere Polizisten erschienen. Sie hoben den Toten auf, um ihn zum Leichenschauhaus zu bringen. Dabei konnte Spargo das Gesicht des Toten sehen. Er betrachtete es lange und aufmerksam, während die Beamten noch beschäftigt waren. Wer mochte dieser Mann sein? Wie war er zu diesem schrecklichen Ende gekommen? Warum hatte man ihn ermordet? Alle diese Fragen gingen ihm durch den Kopf. Als Zeitungsmann interessierte ihn der Fall natürlich, aber es mischte sich auch ein allgemein menschliches Empfinden in seine Gefühle und er bedauerte, dass einer seiner Mitmenschen auf so tragische Weise ums Leben gekommen war. Die Züge des Toten waren regelmäßig, aber er konnte nichts Besonderes daran entdecken. Der Mann mochte zwischen sechzig und fünfundsechzig Jahre alt sein. Er war glattrasiert und trug einen kurzen, weißen Backenbart, der auf altmodische Weise bis zur Hälfte zwischen Ohr und Kinn herunterreichte. Das einzig Auffallende an dem schlichten Gesicht waren die vielen Falten und Runzeln. Besonders tief hatten sie sich um die Mundwinkel und um die Augen eingegraben. Diesem Mann hatte das Leben sicher schwer mitgespielt und er hatte sowohl körperlich als auch seelisch einiges durchgemacht.

      Driscoll stieß Spargo an und gab ihm einen Tipp. „Gehen Sie doch mit zum Leichenschauhaus“, flüsterte er ihm heimlich zu.

      „Warum denn?“

      „Man wird ihn durchsuchen und es ist doch wichtig für Sie, dass Sie wissen, was er bei sich hatte. Darüber können Sie doch dann in Ihrer Zeitung schreiben!“

      Spargo zögerte. Er war müde und hatte sich auf das Essen und auf sein weiches Bett zu Hause gefreut. Er konnte ja bei der Redaktion anrufen, dass man einen Berichterstatter zum Leichenschauhaus schicken sollte. Er selbst war im Augenblick nicht in der Stimmung, mitzugehen.

      „Das kann eine große Sache für Sie werden“, ermunterte Driscoll ihn. „Es sieht ganz so aus, als ob da noch allerhand Geheimnisse zu klären sind. Man weiß nie, was hinter solchen Dingen steckt.“

      Diese letzte Bemerkung änderte Spargos Entschluss. Der Instinkt des Journalisten erwachte in ihm. „Gut, ich werde mitkommen.“

      Er zündete seine Pfeife wieder an und folgte dem kleinen Zug, der sich durch die ruhigen und verlassenen Straßen bewegte. Während er so vor sich hin ging, dachte er darüber nach, wie schnell und unvorhergesehen der Tod einen Menschen ereilen konnte. Zweifellos war dieser Mann ermordet worden und das hatte mitten in einer der Straßen Londons geschehen können, ohne großes Aufsehen oder Lärm zu erregen. Die Beamten behandelten den Fall professionell, sie waren an so etwas gewöhnt.

      „Meiner Meinung nach“, hörte Spargo plötzlich eine Stimme neben sich, „ist er nicht hier ermordet worden. Man hat ihn nur dort hingelegt.“

      Spargo wandte sich um und sah, dass der Portier neben ihm ging.

      „Ach, Sie glauben ...“

      „Ja, ich bin davon überzeugt, dass sie ihn anderswo niedergeschlagen haben und dann dorthin brachten. Vielleicht ist es in einer der Wohnungen passiert. Es sind schon seltsamere Dinge in London geschehen. Auf alle Fälle ist er diese Nacht nicht an meinem Eingang vorbeigekommen ... soviel kann ich sagen. Ich möchte nur wissen, wer er ist. Dem Aussehen nach gehört er nicht zu den Leuten, die hier verkehren.“

      „Das werden wir ja erfahren, wenn er durchsucht worden ist“, meinte Spargo.

      Aber bald darauf hörte er, dass bei der Durchsuchung nichts gefunden wurde. Der Polizeiarzt stellte fest, dass der Tote zweifellos durch einen furchtbaren Schlag von hinten niedergestreckt worden war und infolgedessen einen Schädelbruch erlitten hatte. Der Tod musste sofort eingetreten sein. Nach Driscolls Ansicht war der Fremde ermordet worden, weil man ihn berauben wollte. Alle Taschen waren leer. Man konnte doch schließlich annehmen, dass ein so gut gekleideter Mann eine Uhr mit Kette besaß, dass er Geld bei sich hatte und Ringe an den Fingern trug. Aber man konnte nichts Wertvolles entdecken und man fand auch nicht den geringsten Anhaltspunkt, um seine Identität zu klären: keine Briefe, keine Papiere, nichts. Offensichtlich hatte der Täter alles an sich genommen. Eine neue, graue Stoffmütze, die neben dem Toten gelegen hatte, war das einzige Stück, das vielleicht irgendwie Aufschluss geben konnte. Sie stammte aus einem vornehmen Geschäft im Westen Londons.

      Spargo machte sich auf den Heimweg. Es hatte keinen Zweck mehr, länger dort zu bleiben. Nachdem er gegessen hatte, legte er sich hin, aber er fand keine Ruhe. Er gehörte nicht zu den Leuten, die leicht aus der Fassung gerieten, aber ihn quälte eine gewisse Unruhe und nach einiger Zeit erkannte er, dass es sein Erlebnis war, das ihn nicht schlafen ließ. Schließlich stand er wieder auf, nahm ein kaltes Bad, trank eine Tasse Kaffee und ging hinaus. Er hatte kein bestimmtes Ziel, als er seine Wohnung verließ, aber nach einer halben Stunde fand er sich auf dem Weg zur Polizeistation, in deren Nähe der Tote im Leichenschauhaus aufgebahrt lag. Dort traf er Driscoll, dessen Dienst gerade zu Ende war. Der Polizist begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln.

      „Sie kommen gerade zur rechten Zeit“, sagte er. „Es ist kaum fünf Minuten her, dass man ein Stückchen graues Papier in der Westentasche des Mannes gefunden hat. Es hatte sich in einer Falte festgesetzt. Gehen Sie nur hinein und

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